Heimkehr nach Russland: Die Corona-Edition

Maria Stambler
Reisen im „Corona-Jahr“ 2020 ist eine Herausforderung. Das musste auch unsere Social-Media-Managerin, russische Staatsbürgerin mit einer EU-Aufenthaltserlaubnis, erleben, die von Budapest zurück in die Heimat wollte.

Ein Direktflug von Budapest nach Moskau dauert normalerweise etwa zwei Stunden und 15 Minuten. Er kostet zwischen 20 und 150 Euro. Normalerweise starten vier bis sieben Flüge pro Tag. Unnötig zu erwähnen, dass es in diesem Jahr bislang fast unmöglich und alles andere als unkompliziert und schnell war, von A (Budapest) nach B (Moskau) zu gelangen.

Letzter Ausweg Baltikum 

Nachdem drei Flüge abgesagt worden waren, die für Anfang August geplant waren, wurde mir klar, dass ich über den Tellerrand hinaus denken musste, wenn ich es zurück schaffen wollte, bevor die zweite Welle möglicherweise zu einem erneuten Reiseverbot führte. Ich habe mich zuerst mit den naheliegenden Optionen auseinandergesetzt, doch es stellte sich heraus, dass der einzige leicht zu realisierende Weg nach Hause, nach Russland, über das Baltikum führen würde. 

Zwischen den Hauptstädten Riga und Tallinn sowie Moskau und St. Petersburg war eine Art Busverbindung wieder aufgenommen worden. Sehr entmutigend war jedoch, dass der Bus von Riga/Tallinn nach Moskau 18 (!) Stunden brauchen sollte, inklusive eines dreistündigen Halts an der Grenze mitten in der Nacht. Also habe ich mich für die kürzere Strecke von Tallinn nach St. Petersburg entschieden. Die normalerweise sechsstündige Fahrt sollte nun jedoch elf Stunden dauern, unter anderem, weil ein Grenzübergang angeblich zwischen 1 Uhr morgens und 4 Uhr morgens nicht besetzt sei. 

Aber was sollte mich daran hindern, die Reise von Tallin nach St. Petersburg auf eigene Faust zu unternehmen? In verschiedenen Internet-Foren hatte ich gelesen, dass man von Narwa aus (drei Stunden Busfahrt ab Tallin) über eine kleine Brücke, die über einen Fluss führt, nach Iwangorod (zweieinhalb bis drei Stunden Busfahrt nach St. Petersburg) laufen könne. Soweit die Theorie! Aber war das auch praktisch möglich? Die Regeln für die Ausreise aus der EU und die Einreise nach Russland „in Zeiten von Corona“ sind nicht ganz klar und wechseln ständig. Ich rief bei den Grenzschutzbehörden an, um mich zu informieren. Ich rief bei der Föderalen Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor der Region Leningrad an, ich rief die Stadtverwaltung von Iwangorod an, weil es eine Hochsicherheits-Grenzstadt ist und nicht jeder dort ohne Sondergenehmigung hineindarf. 

Die Reise beginnt 

Von Wien aus gab es günstige Flüge nach Tallinn, aber sie starteten bereits sehr früh am Morgen und es gab keine Busse von Budapest zum Flughafen von Wien, die mich pünktlich dorthin bringen würden. Die Route sah schließlich so aus: Budapest-Bratislawa-Flughafen Wien-Flughafen Tallinn-Busbahnhof Tallinn-Narwa und dann der Versuch über die Grenze nach Iwangorod zu gelangen. 

Ich bekam das Ergebnis meines Covid-19-Tests: negativ. Die Reise konnte beginnen. Am 8. August ging es los mit einer Fahrt von Budapest nach Bratislawa und einer Übernachtung in der slowakischen Hauptstadt. Am Morgen des 9. bekam ich den Bus zum Flughafen Wien und ab da lief zunächst alles ziemlich reibungslos, bis ich nach Tallinn kam.

Jeder, der aus dem Flugzeug aus Wien ausstieg, wurde von bewaffneten estnischen Polizisten und Mitarbeitern der Einwanderungsbehörde „begrüßt“. Sie teilten mit, dass jeder, der nach Estland einreist, sich einer obligatorischen 14-tägigen Quarantäne unterziehen müsse.

Ich begann dem Polizisten zu erklären, dass ich keine Pläne hatte, in Estland zu bleiben, dass ich nur versuchte, nach Russland zurückzukehren, dass ich einen negativen Covid-19-Test vorweisen könne und dass die Verpflichtung zur Quarantäne zu diesem Zeitpunkt zum Glück nicht für russische Staatsbürger auf Heimreise gelte. Schließlich konnte ich meinen Koffer nehmen und fuhr mit einem Uber-Taxi zum Busbahnhof. Dort kaufte ich eine Fahrkarte für den Bus nach Narwa. Nach etwa dreieinhalb Stunden stieg ich dort im Stadtzentrum wieder aus.  

Zu Fuß nach Russland  

Man konnte sofort erkennen, wer hier war, um nach Russland zurückzukehren. Ich und fünf andere Leute stiegen aus dem Bus und zogen ihre Telefone heraus, um auf die Karte zu schauen und herauszufinden, wo die Grenze war. Ich unterhielt mich mit einem der anderen Reisenden. Der Mann war von München aus hierher gelangt. Der Weg vom Stadtzentrum von Narwa bis zur Grenze ist sehr kurz.

Wir erreichten die estnisch-russische Grenze und der Augenblick der Wahrheit war gekommen. Ich hatte umfassend recherchiert, mit allen möglichen Behörden gesprochen, doch all das war keine Garantie, dass ich tatsächlich aus der EU nach Russland einreisen durfte. Die estnische Seite versuchte zunächst, uns vom Gehen abzuhalten und warnte, dass sie nicht wüssten, ob die Russen und ins Land lassen würden. Sie hatten wohl Sorge, dass wir, sollten wir zurückgeschickt werden, in ihrer Stadt „herumlungern“ würden. Dabei konnte von „Herumlungern“ keine Rede sein, schließlich waren wir alle im Besitz von EU-Aufenthaltsgenehmigungen oder Pässen, wir wären dort legal. Aber ich schweife ab. Nach einigem Hin und Her ließen uns die Esten die Grenze passieren. 

Es dauerte zwei Minuten, um die Freundschaftsbrücke zur russischen Seite zu überqueren. Dort empfing man uns recht entspannt. Wir mussten unsere Kontaktinformationen in einem Formular eintragen und auf den Arzt von Rospotrebnadzor warten, der unsere Testbescheinigungen überprüfen sollte. Wer keinen Test vorweisen konnte, musste sich schriftlich verpflichten, diesen innerhalb von 72 Stunden nachzuholen und das Ergebnis online zu übermitteln oder sich 14 Tage freiwillig in Quarantäne zu begeben. Dann durften wir durch die Passkontrolle. 

Die letzte Etappe 

Da war ich also - eine Person, die buchstäblich nach Russland ging. Ich konnte nicht recht glauben, dass es funktioniert hatte, ich war mir sicher, dass irgendetwas furchtbar schief gehen würde. 

Ich durfte nicht in Iwangorod bleiben, weil selbst Russen eine Sondergenehmigung brauchen, um dort zu sein. Glücklicherweise hatte der Mann, der aus München gekommen war, sich von seiner Mutter abholen lassen. Sie fuhren nach Sestroretsk, einem Vorort von St. Petersburg. Ich versuchte, so nah wie möglich an St. Petersburg heranzukommen und stieg dann in eine Marschrutka, einen Kleinbus, der mich bis zur U-Bahn-Station „Newski Prospekt“ brachte. Dort fand ich eine einfache Unterkunft zur Nacht. Nach einer solchen Reise brauchte ich eine Pause und verbachte zwei Tage in St. Petersburg, um mich mit Freunden zu treffen. 

Und schließlich, am 11. August, fünf Tage nachdem ich in Budapest gestartet war, kam ich abends mit dem Sapsan-Schnellzug in Moskau an.

Obwohl eine solche Reise für einen Kontrollfreak wie mich zunächst eine echte Herausforderung war, muss ich im Nachhinein sagen, dass es mir viel Spaß gemacht hat.  Es war eine Erfahrung, die mich gelehrt hat, dass ich möglicherweise nicht alles unter Kontrolle haben kann und das ist völlig in Ordnung.

>>> FAQ: Wie funktioniert die Reise von und nach Russland?

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