Coronavirus: So reagieren die Moskowiter auf die neuen Beschränkungen

Kirill Kuchmar/TASS
Seit September hat sich in Russland die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus verdreifacht. Sie stieg von 5.000 auf 15.000. 30 Prozent aller Fälle wurden in Moskau und der Region Moskau registriert. Die Stadt hat neue Beschränkungen angeordnet. Die Bewohner reagieren genervt.

Die Beschränkungen betreffen vor allem Bars, Clubs und andere Veranstaltungsorte, die vor allem abends geöffnet haben. Seit dem 19. Oktober 2020 ist der Zutritt zwischen 0 Uhr und 6 Uhr nur noch möglich, wenn Sie sich registrieren lassen. Das gilt für Mitarbeiter wie Gäste gleichermaßen. In der Region Moskau ist der Unterhaltungsbetrieb zwischen 0 und 8 Uhr gänzlich untersagt

„Beim Betreten der Räumlichkeiten müssen die Gäste entweder einen QR-Code scannen oder eine SMS an eine spezielle Nummer senden“, schrieb der Moskauer Bürgermeister Sergei Sobjanin in seinem Blog. Wenn später festgestellt wird, dass ein Gast an Covid erkrankt war, werden alle übrigen Gäste zu einem Test aufgefordert. 

Zu Hause eingesperrt  

Alevtina, die 16-jährige Tochter des Freundes meiner Mutter, ist in ihrem letzten Schuljahr. Sie bereitet sich gerade auf die Prüfung vor, die zur Bewerbung an der Universität erforderlich ist. Seit April 2020 hat sie Fernunterricht. 

Alevtina findet die Schule jetzt viel entspannter. Außerdem verlängerte Sobjanin die Schulferien von einer auf zwei Wochen. Sie endeten am 18. Oktober. Sie hatte also viel Freizeit und jobbte nebenbei bei McDonald's. Als Alevtinas Mutter Irina erfuhr, dass die höheren Klassen (6. bis 11. Schuljahr) bis zum 1. November weiter zu Hause unterrichtet werden, hätte sie am liebsten geweint. 

„Meine Tochter lernt überhaupt nicht und hängt auf der Straße rum, so wie die meisten Kinder. Viele Schüler aus ihrer Klasse kommen mit dem Lernformat gar nicht zurecht Die Kinder bleiben auf der Strecke“, klagt sie. 

Damit die Kinder auch zu Hause bleiben, wurden auf Anweisung des Moskauer Bürgermeisters bis zum 18. Oktober alle Ticket-Ermäßigungen für Schüler und Studenten im Reiseverkehr aufgehoben. Gleiches galt für ermäßigte Fahrkarten für Reisende über 65 Jahre. Grundschüler (bis 6. Schuljahr) dürfen seit dem 19. Oktober wieder vergünstigt fahren. Wer älter ist, auch die Senioren, hat noch nicht wieder Anspruch auf Ermäßigung. 

„Meine Tochter besucht eine Schule in der Region Moskau, die keinen Fernunterricht anbietet. Sie muss zurzeit den vollen Fahrpreis bezahlen, obwohl sie einen Rechtsanspruch auf ein ermäßigtes Ticket hat. Wer erstattet diese zusätzlichen Kosten?“, fragt Galina Izkowa empört. Die Mutter von drei Kindern verdient im Monat gerade einmal knapp über 10.000 Rubel (etwa 125 Euro). Sie hat sich über die Hotline beschwert, aber noch keine Antwort erhalten. 

Sobjanin hat außerdem Sportgruppen und Vereinssport untersagt. Diese bieten nun Online-Sportangebote. Die Zweizimmerwohnung von Natalia Schipowa, einer alleinerziehenden Mutter von vier Kindern, ist zu einem Kampfsportstudio geworden.

„Zwei der Kinder besuchen die Sekundarschule, die 6. und 7. Klasse, und beide machen begeistert Karate. Jeden Tag wird ihnen per Webcam gezeigt, welche Übungen sie machen sollen. Wir schieben die Sofas zusammen und stellen die Tische zur Seite. Während ich an meinem Schreibtisch arbeiten muss, bekomme ich ihre Kämpfe mit“, klagt Schipowa. 

Außerdem können die Lehrer nicht jedem Schüler aus der Ferne den neuen Stoff erklären. Es werden nicht mehr als 20 Minuten für die Erklärung neuer Inhalte eingeplant. Die Noten sind wenig aussagekräftig. Es ist kaum möglich, zu beurteilen, wie viel die Kinder gelernt haben. „Das ist ein verschwendetes Schuljahr. Es ist schwierig, nicht emotional zu werden. Die Situation ist verzweifelt und unbefriedigend“, so Schipowa. 

Heimarbeit 

In Moskau müssen ältere Schüler, Senioren und Menschen mit chronischen Krankheiten zu Hause bleiben. Außerdem hat das Moskauer Bürgermeisteramt angeordnet, dass 30 Prozent aller Mitarbeiter von Moskauer Unternehmen ab dem 5. Oktober 2020 von zu Hause aus arbeiten sollen.

Unternehmen werden mit einer Geldstrafe von bis zu 300.000 Rubel (ca. 3.500 Euro) belegt,  wenn sie die Regelung nicht umsetzen. Wird ein Mitarbeiter krank, steigt die Geldstrafe auf eine Million Rubel (ca. 11.000 Euro). Larisa Martinenko, Inhaberin eines kleinen Einzelhandelsunternehmens, weiß nicht, wen sie ins Homeoffice schicken soll. Sie hat nur wenige Mitarbeiter und einer ist zugleich Kassierer. Lagerarbeiter und Verkäufer. 

„Wie soll man von zu Hause aus Regale bestücken, Kunden bedienen und an der Kasse arbeiten? Könnte jemand vom Büro des Bürgermeisters genau erklären, wie das gehen soll?  Was sollen kleine Einzelhandelsunternehmen in dieser Situation tun? Werden wir mit einer Geldstrafe belegt?“, fragt Larissa auf der persönlichen VKontakte-Seite des Bürgermeisters. 

Das Büro des Bürgermeisters verlangt außerdem seit 12. Oktober von den Unternehmen, wöchentlich die Telefon-, Fahrzeugregistrierungs- und Fahrkartennummern der von zu Hause aus arbeitenden Mitarbeiter anzugeben. Geschieht dies nicht, droht den Unternehmen je nach Größe eine Geldbuße zwischen 30.000 und 50.000 bis 100.000 und 300.0000 Rubel. 

Der stellvertretende Leiter der IT-Abteilung der Stadt Moskau, Dmitri Iwanow, stellte klar, dass die Daten nicht personalisiert werden würden.

„Die Informationen werden nicht gesammelt, um die Bewegungen oder den spezifischen Standort eines Mitarbeiters zu überwachen. Die Daten werden benötigt, um eine Bewertung der Veränderungen der gesamten Bewegungsströme und der Wirksamkeit der von den Arbeitgebern ergriffenen Maßnahmen zur Heimarbeit zu ermöglichen“, erklärte Iwanow.  

Trotzdem vertrauen nicht alle Betroffenen dieser Erklärung. „Alle unsere Mitarbeiter sind Bauarbeiter, Reinigungskräfte und Büroangestellte, die nicht von zu Hause aus arbeiten können", beklagt sich Jelena (ihr Name wurde auf eigenen Wunsch geändert), eine Buchhalterin in einem kleinen Unternehmen, das Garagen baut. „Darüber hinaus funktioniert die Mos.ru-Website, über die wir diese Listen bereitstellen sollen, nicht. Die Server sind ausgefallen (der Ausfall trat am 12. Oktober 2020 auf). Wir überlegen, die Listen der Personalfahrzeuge nicht bereitzustellen und warten dann mal ab, was passiert.“ 

Auf die Bitte von „Russia Beyond“ um eine Stellungnahme zur negativen Reaktion der Moskauer auf die neu verabschiedeten Maßnahmen gab es bisher keine Antwort seitens der Stadtverwaltung. 

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