Vor- und Nachteile: Wie lebt es sich im größten Land der Welt?

Legion Media
Zehn Kilometer zur Arbeit oder zur Schule laufen, Internet nur an wenigen Orten verfügbar, Inlandsflüge, die mehr als ein Monatsgehalt kosten: In einem Land mit einer Fläche von 17,1 Millionen Quadratkilometern ist alles möglich.

Eine Inlandsreise kostet ein Vermögen  

Der Flughafen des kleinen Polardorfes Tscherski im Nordosten Jakutiens ist oft leer. Warum? Weil ein einfaches Ticket bis zur nächstgelegenen Stadt, Jakutsk, in derselben Region, etwa 2.500 km entfernt, 35.000 bis 40.000 Rubel (ca. 390 bis 445 Euro) kostet. Von Moskau nach Jakutsk (8.200 km) kostet ein Flug nur rund 10.000 Rubel (111 Euro) und nach Wladiwostok (9.000 km) 13.000 Rubel (144 Euro). Dies sind staatlich subventionierte Angebote mit begrenzten Sitzplätzen.  

„Das letzte Mal, dass ich in den Urlaub geflogen bin, war vor einem Jahr mit meiner Familie in Gelendschik, einem Ferienort in Südrussland. One-Way-Tickets kosten pro Person 100.000 Rubel (1.113 Euro). Ich verdiene im Monat sehr viel weniger“, berichtet Karina Chan-Tschi-Ik, die für die lokale Verwaltung arbeitet. Karina würde gerne öfter fliegen, aber sie hat nur alle zwei Jahre Anspruch auf eine Flugreise, die ihr Arbeitgeber bezahlt. Sie selbst verdient nicht genug, um regelmäßig fliegen zu können.  

Selbst einige Moskauer können es sich nicht leisten, durch Russland zu reisen. Die Reisebloggerin Natalja Popowa war in den letzten fünf Jahren in 43 Ländern und hat 23 Regionen Russlands besucht (von insgesamt 85), aber einige Orte in Russland sind für sie aus finanziellen Gründen bisher unerreichbar. 

„Von Moskau aus kann man recht günstig in nahe gelegene beliebte Städte wie Kasan, St. Petersburg, Rostow am Don, Jekaterinburg und Samara fliegen. Aber die schönsten Orte in Russland wie Baikal, Kamtschatka und Sachalin sind zu teuer und ich kann sie mir noch nicht leisten“, so Popowa.

Dikson

Die Reisebloggerin Maria Belokowilskaja stimmt ihr zu. Als ich mit ihr schrieb, war sie gerade in Dikson, einem der nördlichsten Dörfer Russlands.

„Dies ist eine winzige Siedlung in der arktischen Wüste mit 300 Einwohnern. Ein einfacher Flug kostete 70.000 Rubel (779 Euro). Für diesen Betrag hätte ich auch nach Botswana fliegen können. Ich bereue es nicht, mich für Dikson entschieden zu haben. Aber es wäre schön, wenn Tickets zu entlegenen Orten in Russland für Russen erschwinglicher wären“, sagt (rus) sie.

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Lange Schulwege 

„Sanja, warte!“, ruft (rus) eine Frau, die einen Mann mit dem Handy filmt. Der Mann versucht mit einer Schaufel auf dem zugefrorenen Fluss einen Weg für sein Boot freizumachen.

Region Wologda

Es ist Leonid Chwatow aus dem Dorf Pachtalka in der Region Wologda, der seine beiden Söhne zur nächstgelegenen Schule bringt: zuerst mit dem Boot über einen Fluss, dann zwei Kilometer zu Fuß über ein Feld. Die örtliche Verwaltung weigert sich aus finanziellen Gründen, eine Brücke zu bauen, und ein Schulbus ist ebenfalls keine Option, da es keine Straße gibt.

„Im Frühling und Herbst stehen die Kinder hüfthoch im Schlamm und im Winter ebenso tief im Schnee, weil die sogenannte Straße direkt über ein Feld führt. <...> Die Kinder überqueren zweimal täglich den Fluss. Im Winter über das Eis und im Herbst und Frühling nehmen wir das Boot. <...> Zu bestimmten Jahreszeiten ist es uns nicht möglich, medizinische oder sonstige Unterstützung zu erhalten“, berichtet (rus) Leonid Chwatow dem Webportal „NewsVo“.

Jeden Herbst und Frühling hört man von Kindern in diesem oder jenem russischen Dorf, die nicht zur Schule gehen können.

Während der Coronavirus-Pandemie in diesem Frühjahr legte  die Grundschullehrerin Swetlana Dementjewa aus der Region Kursk sieben bis acht Kilometer (rus) zu Fuß zurück, um Kindern in der Selbstisolation und ohne Internetzugang, Aufgaben zu bringen.  

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Kein Mobilfunksignal, kein Internetzugang 

Im Jahr 2020 sind oft nur wenige Klicks erforderlich, um ein Meme an einen Freund zu senden, online Informationen abzurufen oder einen Film im Internet anzuschauen. Für den 43-jährigen Alexander Gurjew aus dem Dorf Bolschije Sanniki im Gebiet Chabarowsk mit nicht mehr als 400 Einwohnern ist das jedoch nicht so einfach.  

Jedes Mal, wenn Gurjew im Internet surfen wollte, fuhr er etwa 700 km (acht bis zwölf Stunden) in die nächstgelegene Stadt Chabarowsk, wo er mobilen Empfang hatte. Erst seit Herbst 2020 gibt es in Gurjews Dorf eine eigene Internetverbindung.  

Bolschije Sanniki

Das Dorf Salba im Gebiet Krasnojarsk war bis März 2020 ohne Internet- oder Mobilfunkanbindung. Marina (Name geändert) findet, dass man auch gut ohne zurechtgekommen sei. 

„Hast du eine Vorstellung davon, wie das Leben auf dem Land ist? Wir haben praktisch keine Freizeit, nur Arbeit. Internet brauchen wir nur, um mit Verwandten in Kontakt zu bleiben. Uns geht es auch gut ohne“, versichert Marina.

Im Jahr 2019 gab es mehr als 25.000 russische Siedlungen (rus) mit 100 bis 250 Einwohnern ohne Internet- und Mobilfunkverbindung. Wie viele im Jahr 2020 noch immer offline sind, ist nicht bekannt.

Häufiger im Ausland als in Moskau 

Für die in Kaliningrad lebende Autorin Jekaterina Sinelschtschikowa ist es nicht ungewöhnlich, am Wochenende ins Auto zu steigen und zum Einkaufen oder zur Freizeitgestaltung nach Polen oder Deutschland zu fahren (natürlich nicht ohne den Reisepass mit Schengen-Visum).

Kaliningrad

„Vor den Sanktionen im Jahr 2014 als ein Lebensmittelembargo gegen Russland eingeführt wurde reisten wir regelmäßig nach Polen - wir überquerten die Grenze, fuhren zum nächsten Supermarkt ein paar Kilometer entfernt und deckten uns mit Lebensmitteln ein. Selbst unter Berücksichtigung der Benzinkosten war das günstiger“, erzählt Sinelschtschikowa.

Sie sagt, dass es schneller und einfacher war, nach Europa zu gelangen als nach Moskau. Zu Neujahr reisten viele Menschen in europäische Städte. Dennoch würden sich viele Russen wünschen, trotzt der Nähe zu Europa ihrem Provinzleben zu entfliehen und in Moskau zu leben.  

„Aber in Moskau lernen Sie, die Vor- und Nachteile von Kaliningrad abzuwägen. Viele Leute, die ich kenne, kehrten schließlich zurück. Sie wissen den Wald, das Meer und den Platz mehr zu schätzen. Im Moskau findet sich nichts, was damit zu vergleichen wäre“, so Jekaterina.

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