Es gibt viele interessante Fakten über das Volk der Nanai. Zum Beispiel die Nachnamen. Es gibt nur 30 von ihnen! Die Nanai haben sich, wie die meisten Angehörigen der kleinen Völker, fast vollständig in die russische Kultur assimiliert. Nur wenige Menschen sprechen die Nanai-Sprache, geschweige denn gebrauchen sie sie im Alltag. Aber schließlich sind die Nanai nach wie vor die Ureinwohner des Fernen Ostens – diejenigen, die hier lebten, bevor die Chinesen und dann die Russen hierher kamen.
Woher die Nanai ursprünglich stammen, ist den Forschern immer noch ein Rätsel. Einige glauben, dass die Vorfahren der Nanai ursprünglich auf dem Gebiet der Mandschurei (im Nordosten des heutigen Chinas) lebten und dann in das Tal des Unteren Amur und des Ussuri-Flusses zogen. Andere, wie der Ethnograph Lew Sternberg, glauben, dass das Volk der Nanai aus einer Mischung verschiedener Stämme entstanden ist. Diese Theorie wurde durch die genetische Analyse des Nanai-Volkes bestätigt. Es stellte sich heraus, dass sich die verschiedenen Nanai-Klans in ihrer ethnischen Zusammensetzung deutlich voneinander unterscheiden – die genetischen Spuren der einen gehen auf China zurück, die der anderen auf die Türken, Mongolen oder Tungusen.
Und obwohl die erste Erwähnung einer Nanai-Siedlung in Russland erst aus dem 17. Jahrhundert stammt, leben sie schon seit Jahrhunderten in diesem Gebiet. Wörtlich übersetzt bedeutet Nanai so viel wie Mensch der Erde. Zur Zeit der russischen Kolonisation nannte man sie Inoródzy – Fremdstämmige (wie damals alle Vertreter der nicht-russischen Völker bezeichnet wurden). Heute nennt man sie malyj naród – kleines Volk, was sich eher auf die Zahl der Angehörigen des Volkes als auf deren Bedeutung oder physische Größe bezieht.
Laut der Bevölkeruzngszählung von 2010 leben 11.671 Nanai in Russland. Weitere 4.600 Angehörige dieses Volkes leben im Nachbarland – durch den Pekinger Vertrag von 1860 wurde die Staatsgrenze entlang der Flüsse Amur und Ussuri gezogen und dieser Teil des Siedlungsgebiets der Nanai gehört seitdem zu China.
Als die Russen in den Fernen Osten kamen, wurde die einheimische Bevölkerung vor die Wahl gestellt, die russische Autorität zu akzeptieren oder das Gebiet zu verlassen. Das Volk der Nanai entschied sich, in seinem historisch angestammten Land zu bleiben. Heute leben über 92 % der russischen Nanai in der Region Chabarowsk, in Chabarowsk selbst und in Dörfern beiderseits der Flüsse Amur und Ussuri, die in einer Entfernung von bis zu vier Stunden Fahrt von Chabarowsk entfernt sind.
Dem kleinen Volk wurde erneut ein Ultimatum gestellt, als deren Angehörigen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Heidentum zur Orthodoxie bekehrt wurden. Die Nanai glaubten an eine beseelte Natur, mit der sie durch Schamanen und mithilfe von Hunden in Kontakt treten. Hunde übernahmen dabei die Rolle von Führern und Helfern, durch die die Schamanen „gestohlene“ menschliche Seelen fanden.
Für die Seelen der Verstorbenen wurde auf eine andere Weise gesorgt: Dem Verstorbenen wurde ein Latz mit einem Muster in Form von Därmen genäht, damit die Seele atmen und sich ernähren konnte. An die Fersen des Verstorbenen wurde ein Stein in den Sarg gelegt, um zu verhindern, dass er sich nicht zu den Seelen der Lebenden erheben konnte. Zu diesem Zweck wurde der Verstorbene durch eine Öffnung oder ein zerbrochenes Fenster aus dem Haus getragen, aber keinesfalls durch die Tür, damit er nicht nach Hause zurück finden würde. Die Nanai glaubten, dass die Seele des Verstorbenen ein Jahr lang in einer pané, einer kleinen Holzpuppe, „lebt“. Jeden Tag wurde die Puppe gefüttert und nach einem Jahr schickte der Schamane die Seele ins Jenseits. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beerdigten die Nanai ihre Toten in „Häusern“, dann gingen sie dazu über, die Toten in der Erde zu begraben.
Die traditionelle Kleidung der Nanai - ein Kittel, dessen einer Schoß über den anderen geschlagen wird, und eine Hose – ist mit Mustern bestickt, die immer eine bestimmte Bedeutung haben: Schutz vor bösen Geistern, Gesundheit, ein guter Fang, usw. „Sehen Sie diesen Latz? Den habe ich selbst gemacht. Er soll böse Geister abwehren. Je mehr Metall-Ornamente darauf sind und je lauter sie klimpern, desto besser. Früher trug man einen solchen Latz unter der Kleidung, jetzt ist es üblich, ihn offen zu tragen“, erklärt Jelena aus dem Dorf Sikatschi-Aljan.
Viele zeitgenössische Nanaier haben zwei Glauben: Sie gehen in die Kirche, aber gleichzeitig füttern sie die Geister des Flusses, weil dies Glück bringen soll, und hinterlassen Münzen bei einem Sewen (einer rituellen Skulptur) – für den Fall der Fälle.
Als in der Sowjetunion für die Angehörigen der Nanai Heimatpässe (die den Personalausweisen in Deutschland entsprechen) ausgestellt wurden, mussten sie sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Familiennamen zulegen – bis 1974 hatten sie nämlich keinen. Das Gesetz, das für die gesamte Bevölkerung des Landes (mit Ausnahme der Militärangehörigen) den Besitz eines Heimatpasses vorschrieb, erschien ein halbes Jahrhundert nach der Gründung der UdSSR. Die Angehörigen dieses kleinen Volkes dachten sich ihre Nachnamen nach einer ganz einfachen Logik aus: Sie nahmen den Namen des Clans an, dem sie angehörten. Insgesamt entstanden so 30 Nanai-Nachnamen: Possar, Aimka, Digor, Nuer, Jukomsan usw.
Die Familie Beldy aus dem Dorf Daerga,1987.
Dmitry Korobeinikov/SputnikDie Häuser und das Leben der modernen Nanaier unterscheiden sich kaum von denen der typischen Russen. Internetzugang, Haushaltsgeräte, Autos, moderne Bootsmotoren und tragbare Stromgeneratoren, die es ihnen ermöglichen, überall eine Energiequelle zu haben – all das wird von den Nanaiern selbst in abgelegenen Dörfern genutzt. Allerdings leben die meisten, vor allem die jungen und arbeitsfähigen Menschen, nicht in den Dörfern, sondern in den Städten, wo sie eine ethnische Minderheit sind.
Lehrerin Anna Onenko.
Shlyakhov A./TASS„Es ist gut, ein Nanaier in einem Nanai-Dorf zu sein und auf eine Nanai-Schule zu gehen, aber nur wenige Menschen tun das. Und wenn man in der ganzen Schule der einzige Nanaier ist, glaubt jeder, dass er dich das spüren lassen muss. Es gab sogar eine Beleidigung: Bist du etwa ein Nanaier?“, erzählt Leonid Sungorkin, Vorsitzender der Vereinigung für den Schutz der Kultur, Rechte und Freiheiten indigener Minderheiten der Amur-Region.
Nanai Ehepaar Iwan und Maria Beldy, 11. Juli 1990.
Sayapin Vladimir/TASS/TASSSogar der Fischfang, die traditionelle Lebensgrundlage dieser Menschen, wird den modernen Gegebenheiten untergeordnet. In Russland ist gesetzlich festgelegt, welche indigenen Völker das Recht auf Fischfang haben und wie viel Fisch sie fangen dürfen. Für die Nanai sind das 50 Kilogramm Fisch pro Person und Jahr, für eine kinderreiche Familie sogar 100 Kilogramm. Dies ist der „größte“ Vorteil, der aber nach Meinung der Nanaier kaum etwas bringt. Die Stadtbewohner haben so gut wie nichts davon: Sie haben kein Boot, keine Netze, sie sind zu alt oder haben einen Job und keine Zeit zum Fischen. Einen finanziellen Ausgleich für nicht gefangene Fische gibt es jedoch nicht.
„Den Nanai steht auch Holz zum Bau eines Hauses zu. Aber auch das ist eine komplizierte Geschichte, denn sie bekommen das Holz irgendwo weit weg zugewiesen und es wird erwartet, dass sie selbst an diesen Ort in die Taiga gehen, die Bäume fällen, säubern und dann all diese Stämme transportieren und erst dann ihr Haus bauen. Aber das ist unrealistisch“, meint Sungorkin.
Odo Beldy, 92 Jahre alt, ist die älteste Einwohnerin des Dorfes Naichin, 1987
Dmitry Korobeinikov/SputnikEinige Nanaier haben dennoch einen Weg gefunden, aus ihrer Herkunft Kapital zu schlagen. In den 2010er Jahren begannen sie, den Ethno-Tourismus zu entwickeln und die Nanai-Kultur zu einer Attraktion für Touristen zu gestalten.
„Reisen zu den Nanai-Siedlungen werden immer gefragter. Wir arbeiten seit 2016 in diesem Bereich und der Wunsch, eine solche Tour zu unternehmen, lässt nicht nach. Und die Menschen kommen von überall her – aus unserer Region, aus den Nachbarregionen und sogar aus Moskau [das 8.240 km von Chabarowsk entfernt ist] und anderen westlichen Regionen Russlands“, berichtet Olga Pomitun, Vertreterin des Reiseunternehmens Voyage in Chabarowsk.
Im Nanai-Dorf können die Touristen Bogen schießen, lernen, wie man die traditionellen Speisen des Volkes zubereitet (und sie natürlich auch probieren), Spiele der Nanai spielen und kunsthandwerkliche Erzeugnisse kaufen.
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