Ronald Reagan, Präsident der USA von 1981 bis 1989, sagte: „Ich verstehe gar nichts!“, nachdem er das Melodram Moskau glaubt den Tränen nicht von Wladimir Menschow mehrmals (manche Quellen sprechen von acht Mal) angesehen hatte. Er selbst erklärte, dass er in einer Zeit der Annäherung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, am Vorabend des Treffens mit Michail Gorbatschow, endlich sein Verständnis für die „rätselhafte russische Seele“ vertiefen wollte. All dies hat sich jedoch als vergeblich erwiesen.
Der Film mit dem metaphorischen Titel gewann 1980 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Für mehrere Generationen von Sowjetbürgern wurde er zum Kultfilm, aber der Ausspruch Moskau glaubt den Tränen nicht wurde ausschließlich mit dem Film in Verbindung gebracht. Was bedeutet er aber wirklich?
Die Wahrheit über die „grausame“ Stadt
In dem Film kommen drei junge Frauen aus der Provinz nach Moskau, um sich an einer Hochschule einzuschreiben. Sie teilen sich ein Zimmer im Wohnheim und wollen in der großen Stadt Erfolg haben. Im ersten der beiden Teile des Films gibt sich die Hauptfigur Jekaterina nach dem Vorbild ihrer Mitbewohnerin als Tochter eines Professors aus und beginnt eine Affäre mit einem gut aussehenden Moskauer aus einer etablierten Familie. Bald wird sie schwanger, der Betrug fliegt auf und er lässt sie sitzen.
Der zweite Teil, der 20 Jahre später spielt, zeigt Jekaterina, die sich zu einer erfolgreichen Frau entwickelt hat, von einer Weberin in einer Fabrik zur Direktorin eines großen Betriebs aufgestiegen ist und ihre Tochter allein großgezogen hat. Das Einzige, was sie nicht auf die Reihe bekommen hat, ist ihr Privatleben.
Dieses sowjetische Märchen hat natürlich ein Happy End: Die Geschichte der Selfmade-Woman aus einfachen Verhältnissen endet so, wie sie begonnen hat – sie trifft den Mann ihrer Träume.
Der Film wird immer noch wegen seiner Lebensnähe geschätzt. In die Hauptstadt zu ziehen und dort Fuß zu fassen, ist auch heute ein großer Traum vieler Menschen aus der Provinz. Die Methoden der Eroberung sind dieselben geblieben.
Moskau glaubt den Tränen nicht sagt man, wenn die Tränen, Beschwerden und Probleme eines Zugereisten kein Mitgefühl bei den Einheimischen erwecken. Die Megapolis kennt keine Gnade.
Wladimir Dal hat in seinem Werk Sprichwörter des Russischen Volkes (Ausgabe von 1989) den Ausspruch als Sprichwort aufgeführt, mit der Erklärung, „Niemanden wird bemitleidet. Jeder ist ein Fremder“. Und in der Erzählung Die Kampfnatur von Nikolaj Leskow aus dem Jahr 1866 gibt es einen solchen Monolog der Heldin:
„Seht meine meine Tränen!“, sagt er. „Nun, mein Freund“, sage ich, „Tränen? Was sind schon Tränen? Ich habe sogar Mitleid mit dir, aber Moskau glaubt den Tränen nicht, sagt ein Sprichwort. Dafür bekommst du kein Geld.“
Tatarischer Tribut
Der Ausdruck ist viel älter als die Erzählung Leskows – etwa vier oder fünf Jahrhunderte.
Einer Version zufolge geht er auf die Zeit des alten russischen Fürsten Iwan Kalita zurück, der für seine exzessiven Ausschreitungen berüchtigt war. Es war das 13. Jahrhundert, als Dschingis Khans Enkel Batu die russischen Fürstentümer besiegte. Es war eine Zeit der feudalen Zersplitterung in Russland, in der es keine einheitliche Zentralregierung gab: Die voneinander isolierten Fürstentümer wetteiferten um Gebiete und Einfluss. Unter dem Joch der Goldenen Horde kämpften einige Fürstentümer gegen die Eindringlinge und wurden dabei immer schwächer, während andere versuchten, sich mit den Eroberern zu einigen, um sich von diesen zerstörerischen und blutigen Übergriffen zu befreien.
Fürst Iwan Kalita von Moskau war ein Befürworter von Verhandlungen mit der Goldenen Horde. Er traf eine Vereinbarung mit dem Khan und sammelte er für ihn so viele Tribute wie möglich von den russischen Fürsten ein und sorgte somit dafür, dass diese im Gegenzug von Strafaktionen verschont blieben. Den Chronisten zufolge hatte das neue System der Beziehungen zwischen Russland und der Goldenen Horde jedoch auch seine Vorzüge: Vierzig Jahre lang gab es keine Tatarenüberfälle! Während der Zeit des „Großen Schweigens“ konsolidierten und stärkten sich die Fürstentümer, um dann die Tataren zurückzuschlagen.
Die ganze Zeit über wurden sie jedoch durch die Abgaben zur schier zur Verzweiflung getrieben. Die genaue Höhe der Zahlungen ist nicht bekannt, aber Historiker gehen davon aus, dass sie mit dem Haushalt eines kleinen Staates vergleichbar waren. Um eine so hohe Summe aufzubringen, mussten sich die Fürsten zum Teil Geld von Kaufleuten leihen, auch von ausländischen. Manchmal konnten sie das Geld bis zu ihrem Tod nicht zurückzahlen und die Schulden gingen auf die Erben über. Sie nannten dies „Besermanen-Schuld“ (die Russen bezeichneten alle Muslime als Besermanen).
Kalita, der einen enormen Einfluss auf die anderen Fürsten hatte, verlangte zusätzlich zu den ohnehin schon hohen Tributen weiteres Geld für die Bedürfnisse des Moskauer Fürstentums. In der Bevölkerung sorgte das für Streit – wie viel stand dem Moskauer Fürsten zu? Deshalb begannen die so genannten Tschelobítschiki (dt.: Bittsteller) aus den einzelnen Fürstentümern nach Moskau zu kommen. Unter Tränen flehten sie Kalita an, die Abgaben zu senken, aber der Moskauer Fürst blieb unnachgiebig. Mehr noch: Er unterdrückte nationale Unruhen rigoros und bestrafte die Bittsteller öffentlich. Daher stammt der AusdruckMoskau glaubt den Tränen nicht.
Kalita regierte bis 1340 und häufte während seiner Herrschaft große Reichtümer an, die er für den Erwerb neuer Ländereien ausgab. Der Name Kalita, mit dem er in die Geschichte einging, bedeutete übrigens im Altrussischen Geldbörse.
Moskauer Tyrannei
Die zweite Version der Herkunft des Ausdrucks bezieht sich auf die Zeit nach dem Mongolenjoch, im 15. Jahrhundert – auf Zar Iwan III., auch bekannt als Iwan der Große. Der Beiname war wohlbegründet: Sein Hauptverdienst war die endgültige Befreiung Russlands von der Herrschaft der Goldenen Horde im Jahr 1480.
Unter Iwan III. fand die Zersplitterung ein Ende und Russland wurde zu einem geeinten Staat. Das Territorium des Landes wuchs um das Sechsfache und war damit größer als jedes andere Land in Europa. Der Zar erwarb die Eigentumsrechte an den Ländereien zurück, indem er sie an Moskau angliederte oder sie eroberte. Und Moskaus wichtigster territorialer Erwerb in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war die Republik Nowgorod. Das dünn besiedelte Nowgoroder Land mit seinen natürlichen Reichtümern und seinem Zugang zum Meer verlor mit der Eroberung seine Unabhängigkeit und wurde fortan von Moskau regiert.
Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich die Redewendung (länger und in abgewandelter Form, als sie sich bis heute erhalten hat): Moskau tritt mit der Fußspitze und sieht einem die Tränen nicht nach. Das Zutreten mit der Fußspitze war im Spätmittelalter ein Trick beim Faustkampf, mit dem der Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, so dass er nach hinten umfiel.