Ira, eine junge Russin aus Moskau, und ihr Freund planen einen Urlaub in Deutschland. Über ein langes Wochenende wollen sie sich Nürnberg und die Rennstrecke „Norisring“ ansehen, denn Iras Freund ist Motorsport-Fan.
Für ihre Reise beantragen Ira und ihr Freund im deutschen Konsulat in Moskau ein Visum. Sie erhalten daraufhin ein Schreiben, dass der Visumantrag ihres Freundes abgelehnt wurde, da seine Rückkehrwilligkeit nicht ausreichend belegt sei: „Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.“
Iras Freund hat eine Wohnung in Moskau und kann Vermögen auf seinem Konto nachweisen. Außerdem besitzt er ein gutes Auto und ein Motorrad. Für drei Wochen ist ihr Freund nicht angestellt. Er kann aber belegen, dass er danach wieder in einem Arbeitsverhältnis steht.
Die beiden sind frustriert und verunsichert, was zu tun ist. Flug und Hotel sind bereits gebucht und können nicht storniert werden. Ira hatte noch nie Probleme bei der Visumbeantragung und ist von dem negativen Bescheid überrascht. Sie meint, die Deutsche Botschaft gelte als eine der strengsten im Schengenraum – zumindest für Russen. Es sei einfacher, ein Visum für Griechenland zu beantragen: Seit 2016 bietet Griechenland Russen Langzeitvisa für den Schengenraum an.
Laut des Schreibens vom Konsulat kann Iras Freund den abgelehnten Visumantrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe von der Auslandsvertretung in Moskau prüfen lassen. Unabhängig von einer sogenannten Remonstration kann er Klage beim Berliner Verwaltungsgericht einlegen.
Ira und ihr Freund reichen den Antrag erneut ein und stellen noch einmal klar, dass ihr Freund bald wieder berufstätig sein wird. Dem Antrag wird daraufhin stattgegeben, sodass sie nach Nürnberg fliegen können.
Was sagt die Statistik?
Sind die deutschen Auslandsvertretungen in Russland wirklich so streng? Laut des Auswärtigen Amts wurden durch die Auslandsvertretungen Deutschlands in der Russischen Föderation 2016 etwa 278.000 Visumanträge (für Schengen-Visa und nationale Visa) bearbeitet, davon rund 175.000 durch die Botschaft Moskau. 95 Prozent der bearbeiteten Anträge betrafen Schengen-Visa, die maximal für Aufenthalte bis zu drei Monaten pro Sechs-Monats-Zeitraum gelten. Nationale Visa sind erforderlich für Einreisen nach Deutschland für Aufenthalte über drei Monate, zum Beispiel zum Familiennachzug, zur Erwerbstätigkeit oder zum Studium.
2016 wurden in Moskau 167.341 Schengen-Visa geprüft, von denen 162.626 genehmigt wurden. Aus der Statistik des Auswärtigen Amts ist ein deutlicher Einbruch bei den Anträgen für Schengen-Visa zu verzeichnen. Während 2014 in Moskau 268.754 Schengen-Visa beantragt wurden, lag die Zahl 2015 bei nur noch 188.855 und 2016 bei 167.341 bearbeiteten Anträgen.
Gefälschte Unterlagen sind häufigster Ablehnungsgrund
Die Bearbeitungsdauer bei den Visumanträgen ist kurz: Dem Auswärtigen Amt zufolge hängt die Bearbeitung von den Umständen des Einzelfalls ab. Über Anträge auf Schengen-Visa wird bei der Botschaft Moskau aber in der Regel in weniger als zehn Kalendertagen entschieden.
Ein fehlender Beleg der Rückkehrwilligkeit scheint nicht der Hauptgrund für die Ablehnung eines Visums zu sein: Häufigster Ablehnungsgrund sind gefälschte Unterlagen. Die Ablehnungsquote bei Anträgen auf Schengen-Visa liegt bei den deutschen Auslandsvertretungen in der Russischen Föderation bei maximal rund 2 Prozent. Im Falle einer Ablehnung des Visums kann der Antragsteller entweder eine Remonstration einreichen, Klage beim Berliner Verwaltungsgericht erheben oder einen neuen Antrag vorlegen.
Der Erfolg einer Remonstration hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Alle nachvollziehbaren Gesichtspunkte werden eingehend geprüft. Dies kann aber unter Umständen sehr lange dauern. Eine Klage beim Berliner Verwaltungsgericht ist nicht sehr aussichtsreich. Im Falle der Botschaft Moskau werden jährlich bis zu 15 neue Klagen beim Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Nur einer geringen Anzahl wird von den Gerichten stattgegeben.
Aus der Statistik des Auswärtigen Amts ist also nicht ersichtlich, dass Visumanträge übermäßig abgelehnt werden. Auch die Bearbeitung scheint schnell und gründlich zu erfolgen. Allerdings findet sich in der Statistik keine Anmerkung dazu, ob die erteilten Visa direkt oder erst nach einer Remonstration genehmigt wurden.
Ein Visum kann eine Hürde für junge Menschen sein
Deutschland war für Russen einmal das zweitbeliebteste Urlaubsland nach der Türkei. Seit der Wirtschaftskrise 2014 ist der Markt für russische Touristen jedoch stark eingebrochen. Erst Anfang 2017 gab es wieder einen Zuwachs von Gästen aus Russland.
Laut Petra Hedorfer, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Zentrale für Tourismus, ist Shopping ein wichtiges Motiv für die Reise nach Deutschland. So gehörten die Düsseldorfer Königsallee oder die Münchener Maximilanstraße ebenfalls zu beliebten Reisezielen. Besonders Münchens Ansehen sei bei russischen Touristen im ersten Halbjahr 2017 deutlich gestiegen.
Jedoch benötigen Russen nicht nur für touristische Zwecke ein Visum für Deutschland. Nadja stammt ebenso wie Ira aus Moskau. Auch sie beabsichtigt einen Aufenthalt in Deutschland, denn sie möchte in Berlin Sozialpädagogik studieren. Dafür muss sie kein Schengen-Visum, sondern ein nationales Visum für Deutschland beantragen. Sie hat bereits in der Vergangenheit in Berlin als Au-Pair gelebt und spricht ausgezeichnet Deutsch. Sie mag Berlin und vor allem, dass es dort ruhiger als in Moskau ist.
Nadja steht vor dem Problem, dass sie auch als Studentin ihre Rückkehrwilligkeit nachweisen muss. Dies kann beispielsweise durch ein Sperrkonto bei der Deutschen Bank erfolgen. Aber die Eröffnung eines solchen ist mit weiteren bürokratischen Hindernissen verbunden. Zur Kontoeröffnung ist eine Unterschriftsbeglaubigung durch eine deutsche Auslandsvertretung erforderlich. Wie die Deutsche Botschaft Moskau auf ihrer Internetseite schreibt, ist dies „aufgrund des weiterhin gültigen deutsch-sowjetischen Konsularvertrags vom 25. April 1958 in der Russischen Föderation nicht möglich“. Ersatzweise stellen die deutschen Auslandsvertretungen daher gegen eine Gebühr von 25 Euro eine konsularische Bescheinigung aus.
Auf dem Sperrkonto muss die Summe von 8640 Euro nachgewiesen werden. Als Studentin verfügt Nadja nicht über diesen Betrag und muss Freunde bitten, ihr den Betrag zu leihen. Auch kann sie dann ihren Freunden das Geld nicht gleich zurückzahlen: Monatlich können von dem Sperrkonto nur 1/12 (also 720 Euro) verfügt werden.
Alternativ könnte ein deutscher Staatsangehöriger bei der zuständigen Ausländerbehörde am jeweiligen Wohnort eine Verpflichtungserklärung für Nadja abgeben, die als Finanzierungsnachweis dient. Der Antragsteller verpflichtet sich, für alle aufgrund des Aufenthaltes des Ausländers in Deutschland entstehenden Kosten, einschließlich eventueller Krankenbehandlung und Rückführung nach Russland, aufzukommen.
Wenn man jedoch keinen Kontakt in Deutschland hat, kann es sich schwierig gestalten, einen Bürgen zu finden. Jungen Menschen, die nicht über eine ausreichende finanzielle Unterstützung durch ihre Eltern verfügen, wird so eine Chance genommen, einer Ausbildung ihrer Wahl nachzugehen.
Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst auf Ostexperte.de.