Die Toltschkowo-Fresken – überwältigende geistliche Kunst in Jaroslawl

Reise
WILLIAM BRUMFIELD
Diese farbenfrohen orthodoxen Wandbilder überdauerten die Jahrhunderte – und werden glücklicherweise gerade restauriert.

Jaroslawl ist eine der historisch reichsten Gegenden Russlands. Die Goldene-Ring-Stadt liegt etwa 200 Kilometer nordöstlich von Moskau an der Wolga und ist heute ein Industriezentrum mit rund 650.000 Einwohnern. Aber bereits im Mittelalter war Jaroslawl eine der größten Städte der Alten Rus und vor allem ein religiöses Zentrum.

Die Stadt hatte ihre eigene Ikonenmalerei-Schule und vom 16. bis ins 19. Jahrhundert die größte Kirchen- und Kirchenkunstdichte im Land. Dazu gehören auch zahlreiche Fresken: die beeindruckendsten orthodoxen Wandmalereien finden Sie in der Toltschkowo-Kirche, einem einzigartigen Gotteshaus aus dem  17. Jahrhundert.

Diese finden sich unter anderem auch in den berühmten Gemälden des Malers Wassilij Wereschtschagin wieder. Dabei hat der Künstler nicht nur die religiöse, fast schon magische Aura der Wandikonen festgehalten, sondern sie immer auch in Beziehungen zu ihren Betrachtern gesetzt. So ist beispielsweise in seiner Darstellung der nördlichen Galerie eine elegante Dame zu sehen, die fast schon einer Tschechow’schen-Kurzgeschichte entsprungen sein könnte.

Die Johannes-der-Täufer-Kirche im heutigen Stadtteil Toltschkowo an dem kleinen Wolga-Arm Kotorosl wurde sechzehn Jahre lang – von 1671 bis 1687 – gebaut. Beteiligt waren sowohl einfache Gemeindemitglieder als auch die Unternehmerbrüder Rodion und Leontij Jeremin, die Ledermanufakturen in der Gegend Umsatz betrieben.

Zum Bauplan gehörte sowohl eine geschlossene Galerie über drei Seiten der rechteckigen Grundfläche sowie je zwei Kapellen im Ostflügel. Die Ziegelfassade wurde mit Säulen und dekorativen Elementen wie kleinen Miniaturbögen aus gemustertem Ziegel über den Säulen geschmückt.

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Zur Toltschkowo-Kirche gehörten außerdem noch einige Zusatzgebäude, zum Beispiel eine kleinere Winterkirche. Gebaut zwischen 1659 und 1665, überstand sie jedoch nur knapp 300 Jahre: In den sowjetischen 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie zugunsten einer neuen Fabrik abgerissen. Glücklicherweise überstand das Gotteshaus selbst diese Zeit – auch wenn es zeitweise von jener Chemiefabrik als Lagerstätte genutzt wurde.

Über die Meister, die Fresken gestalteten, liegen derweil nur bruchstückhaft Informationen vor. Der Hauptraum wurde demnach von Juni 1694 bis Juli 1695 von einer Gruppe aus 16 Künstlern aus der Werkstatt des Jaroslawler Meisters Dmitrij Grigorjew Plechanow und Fjodor Ignatjew gestaltet. Letzterer zeichnet außerdem für die Ausgestaltung der Seitenkapellen im Jahr 1700 verantwortlich.

Plekhanov hatte zuvor bereits an der Erzengel-Kathedrale im Moskauer Kreml und weiteren großen Kirchen in Rostow und Wologda gearbeitet. Die Fresken in der Toltschkowo-Kirche bestehen aus insgesamt 500 Segmenten mit über 2000 Motiven. Damit ist das das größte Fresken-Ensemble in Jaroslawl.

Die Toltschkowo-Fresken in den Galerien und dem Hauptraum zeigen deutliche Einflüsse deutscher und holländischer Bibelillustrationen des 16. und 17. Jahrhunderts. Das ist kein Wunder, da die Kaufmannsstadt Jaroslawl damals enge Handelsbeziehungen nach Westeuropa unterhielt und sich zahlreiche Geschäftsleute  aus dem Ausland in der Stadt aufhielten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Susdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich.

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