Warum war Archangelsk jahrhundertelang der wichtigste Hafen Russlands?

Bevor Peter der Große ein „Fenster nach Europa“ anhand der Ostsee schuf, diente die Stadt Archangelsk an der Küste des Arktischen Ozeans als ein solches „Fenster“.

Arktischer Ozean. Murmansk. 1913, Konstantin Korowin.

Obwohl Russland heute von 13 Meeren umgeben ist, war dies nicht immer der Fall. Jahrhunderte lang hatte das Land nur Zugang zum Nordpolarmeer und kämpfte verbissen darum, an der Ostsee Fuß zu fassen. Unter diesen Bedingungen war der Handel mit Westeuropa, der für die Entwicklung des Reiches von entscheidender Bedeutung war, äußerst schwierig.

Im Jahr 1581, während des Livländischen Krieges, besetzten schwedische Truppen Narwa -  den einzigen großen russischen Hafen an der Ostseeküste. Iwan IV. hatte keine andere Wahl, als die Nordroute auszubauen. Zu dieser Zeit hatten englische Händler bereits ihren Weg zu den russischen Siedlungen an der Küste des Weißen Meeres gefunden. Aber die kleinen Anlegestellen dort waren für einen effizienten Handel zu klein; man benötigte einen richtigen großen Hafen.

Das Kloster St. Michael der Erzengel, 1900.

Am 4. März 1583 ordnete der Zar die Gründung einer Stadt neben dem Erzengel-Michael-Kloster an der Mündung der Nördlichen Dwina, 30 Kilometer vom Weißen Meer entfernt, an. Im folgenden Jahr wurde dort die Festung Nowoje Cholmogory gegründet, die ab dem 17. Jahrhundert auch unter anderem als Archangelsk bezeichnet wurde. Die Festung ist „aus aneinander befestigen Masten gebaut; sie sind so geschickt zugeschnitten, dass sie ohne Nägel oder Keile zusammenhalten – die architektonische Leistung ist somit hervorragend vollbracht worden, obwohl sie mit einer einzigen Axt ausgeführt wurde. Jedoch selbst die besten und geschicktesten Zimmerleute könnten nichts Besseres schaffen“, schrieb der französische Kaufmann Jean Sauvage.

Basar an der Mole in Archangelsk. 1896, Konstantin Korowin.

Archangelsk entwickelte sich schnell und rasant. Ein großer Hafen wurde gebaut und ebenso Handelszentren für ausländische Kaufleute namens Gostiny Dwor. Engländer, Holländer und andere „Deutsche“ brachten Stoffe wie Samt und Spitze, Wein, Edelsteine, Schießpulver und Kanonen und exportierten im Gegenzug Weizen, Schweinefleisch, Talg, Zobel, Teer und andere Waren. Praktisch der gesamte russische Handel mit den westlichen Ländern wurde zu dieser Zeit über diese nördliche Stadt abgewickelt.

Peter I. besuchte Archangelsk im Jahr 1693 und war fasziniert von dem was er sah.. Die Anzahl und Vielfalt der ausländischen Schiffe beeindruckte den jungen Zaren. Auf seinen Befehl hin wurde in der Stadt die Solombala-Werft gegründet, in der unter anderem der Bau der russischen Militär- und Handelsflotte begann. Am 25. Juni 1701, gleich zu Beginn des Großen Nordischen Krieges gegen Schweden, versuchte der Feind, die Stadt einzunehmen. Er wurde aber in der Festung Nowodwinsk, die die Zugänge zur Stadt kontrolliert, besiegt. Es war der erste große Sieg der russischen Truppen in diesem Krieg.

Hafen von Archangelsk an der Dvina. 1894, Konstantin Korowin.

Zu Beginn seiner Regierungszeit hat Peter I. viel für die Entwicklung von Archangelsk getan, aber letztlich war er auch wiederum für den Niedergang dieses russischen Handelszentrums verantwortlich. Als sich der Krieg zu einem Wendepunkt zu Gunsten Russlands entwickelte, leitete der Zar die Handelsströme bewusst von Archangelsk nach St. Petersburg um, das 1703 gegründet worden war. Während 1718 nur ein Drittel der Exporte über den Nordhafen abgewickelt wurde, hielt die Stadt an der Newa nach dem Ende des Krieges fast den gesamten Handel mit den Westmächten in ihrer Hand.

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Unter Katharina der Großen stellte Archangelsk kein Hindernis mehr für die Entwicklung von St. Petersburg dar und die Zarin hob die von Peter eingeführten Beschränkungen auf. Dennoch erlangte die Stadt ihre übliche Stellung nicht mehr zurück und blieb neben Riga und Revel (Tallinn) die Hauptstadt des Reiches. Der alte Hafen verlor noch mehr an Boden, als 1916 das eisfreie Murmansk an der Küste der Barentssee gegründet wurde.

Blick auf die Stadt Archangelsk. Teil des Dammes mit der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit

Als jedoch der Erste und Zweite Weltkrieg große Probleme für die Schifffahrt in der Ostsee und im Schwarzen Meer mit sich brachten, wurde Archangelsk zu einem echten Lebensretter. Weizen, Holz und andere Rohstoffe gelangten über sie in die Häfen der Alliierten, während Waffen und Munition in die andere Richtung gelangten. Der erste alliierte Arktis-Konvoi  mit strategischer Fracht namens „Derwisch“ traf am 31. August 1941 in Archangelsk ein.

Seehafen in Archangelsk. Im Hintergrund ist die Michailo-Archangelsky-Kathedrale zu sehen, links der Eisbrecher Dixon.

Archangelsk ist schon lange nicht mehr der wichtigste Seehafen Russlands und dient nicht mehr als „nördliches Tor“ des Landes, sondern überließ diese Ehre der Stadt Murmansk. In einem Bereich hat sie ihre Stellung jedoch keineswegs verloren: Wie auch im 18. Jahrhundert spielt die Stadt selbst heute noch eine entscheidende Rolle bei der Organisation von Forschungsreisen zur Erforschung der Arktis.

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