Anders als die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland sind die wirtschaftlichen wieder im Aufwind. 2017, nach drei Jahren des Rückgangs, stiegen die russischen Importe aus Deutschland um fast ein Viertel, auf umgerechnet 19,7 Milliarden Euro an. Der russische Export nach Deutschland wuchs im selben Zeitraum um 21,1 Prozent. Damit ist Deutschland mit einem Anteil von 8,6 Prozent am russischen Außenhandel nach China der zweitgrößte russische Handelspartner. Wobei die russischen Importe aus China 2017 mit 48 Milliarden US-Dollar etwa doppelt so hoch wie die aus Deutschland waren – auch ein Ergebnis der westlichen Sanktionspolitik.
Wie wenig die russische Realität dem verbreiteten Bild einer auf den Export von Energie- und anderen Rohstoffen fixierten Volkswirtschaft entspricht, zeigt sich an den Ausstellern der diesjährigen Hannover-Messe. Gleich dreifach ist die Russische Föderation bei der weltweit wichtigsten Industriemesse vertreten: durch das Russische Exportzentrum, durch die Stadt Moskau und durch die Teilrepublik Tatarstan. Die Marken „Made in Russia“ und „Made in Moscow“ werden propagiert. Das Programm "Made in Russia" begann im Jahr 2017 und wird von der AG "Russisches Exportzentrum" realisiert.
Beeindruckend sind die Gespräche mit den Ausstellern vor Ort. Wobei die Großunternehmen sich bei dieser Messe bewusst im Hintergrund halten, da russische Staats- und Oligarchenfirmen in Deutschland derzeit nicht sonderlich beleumundet sind. Dafür brillieren die Start-ups unter dem Dach der vielfältigen Förder- und Sonderzonen, deren Inbegriff das Innovationszentrum Skolkowo bei Moskau ist.
Ein Beispiel ist die schon 1991 in Moskau gegründete Gesellschaft Applied Technologies Company (ATC). Mit ihrer international einmaligen Technologie gewinnt APC den Meereswellen die Energie zur Stromerzeugung ab. Derartige Konzepte werden derzeit überall mit Nachdruck verfolgt. Schon ein winziger Teil der Kraft, die in Meeresströmungen, in Wellen und Gezeiten steckt, könnte das Menschheitsproblem der Energieversorgung für alle Zeiten lösen. Insgesamt arbeiten etwa 30 Firmen, die meisten davon in Europa, an diesem Ziel. Die Zahl der Patente liegt bei rund 2000.
Die ATC-Technologie ist insoweit einzigartig, da sie allein auf das Heben und Senken der Wasseroberfläche abstellt. Zylindrische Metallkörper schwimmen senkrecht im Wasser und werden mit festen Trossen zu ganzen Netzwerken verbunden. Das Wirken der Schwerkraft beim Auf und Ab im Wellenstrom erzeugt Energie, die ein vergleichsweise simpler Generator in jedem einzelnen Metallzylinder in Elektrizität umwandelt. Sergej Temejew, ATC-Direktor und geistiger Vater des russischen Techno-Start-ups, spricht in Hannover von einem Wirkungsgrad von 54 Prozent bereits in der Laborphase.
Bedingt durch den modularen Aufbau könnten dereinst also Kraftwerke fast beliebiger Größe entstehen, wobei die Leistung eines einzelnen Zylinders bis zu 50 Kilowatt betragen soll. 20 Zylinder ergäben dann ein Megawatt. Zum Vergleich: Die riesigen Windmühlen, die derzeit in den englischen und britischen Offshore-Parks zum Einsatz kommen, liegen bei sechs bis acht Megawatt das Stück.
Inoventica Technologies ist ein Moskauer Hightech-Unternehmen mit dem Schwerpunkt Internet. In Hannover ist es durch seinen Vertriebsdirektor Artur Sarkisow vertreten. Das Paradeprodukt ist ein Abwehrsystem gegen sogenannte DDoS-Angriffe. DDoS ist ein Klassiker unter den Cyberattacken, wobei ein Angreifer einen bestimmten Server durch massenhafte, computergenerierte Anfragen buchstäblich außer Gefecht setzt. Die Lösung der Inoventica ist das Abwehrsystem invGuard, das auf Basis des Datenvolumens einen möglichen bevorstehenden Angriff erkennt und den betreffenden Server in Sekundenbruchteilen vom Netz nimmt.
In mehreren Ländern ist das System bereits im Einsatz. Als rein russische Technologie ist es besonders für solche Kunden interessant, die von US-amerikanischen Systemen unabhängig sein wollen. Das betrifft durchaus auch Anwender in Ländern, die mit der Weltmacht USA verbündet sind. Inoventica verkauft sein System daher nicht nur nach Serbien oder Kuba, sondern zunehmend auch in Deutschland, in Großbritannien und anderen europäischen Ländern. Daraus, dass die Gesellschaft von den westlichen Sanktionen, die in Russland eine Welle des Importersatzes ausgelöst haben, profitiert, macht Sarkisow kein Hehl. Wie die meisten anderen jungen Firmenvertreter am russischen Gemeinschaftsstand sieht er die Rivalität mit dem Westen in erster Linie als sportliche Herausforderung.
Inoventica gehört im Übrigen zu den Top fünf der russischen Anbieter von Daten-Clouds, also von Speichervolumen in der „Datenwolke“, und verfügt über ein eigenes Glasfasernetz, das russische Großstädte von Sankt Petersburg bis zum Fernen Osten verbindet.
Nextouch ist ein anderer Hightech-Betrieb in Moskau, der mit rund 80 Mitarbeitern schon lange kein Start-up mehr ist. Die Gesellschaft entwickelt und produziert interaktive Systeme, bei denen ein Touchscreen-Monitor im Mittelpunkt steht. Rund 60 Prozent des Umsatzes entstammen dem Bildungsbereich: Tafeln und Tische mit interaktiven Monitoren für den Einsatz von der Kita bis zur Universität. Die maximale Größe der eingesetzten Monitore entspricht dem jeweiligen Stand der TV-Technologie.
Finanzdirektor Walerij Makowezki erklärt, dass die Wertschöpfung – Design, Korpus, Software - zum größten Teil im eigenen Haus erfolgt. Lediglich die LED-Matrix, die weltweit nur an sehr wenigen Standorten produziert wird, stammt aus China oder Korea. Nextouch arbeitet auch für das russische Militär und die Rüstungsindustrie; dort wird ein Fünftel des Umsatzes erwirtschaftet.
Exportkunden sitzen in Weißrussland, Polen, Deutschland, Österreich und Kasachstan. Geholfen hat dem Unternehmen der Rubelverfall seit 2014. Aufgrund des hohen lokalen Wertschöpfungsanteils, so Makowezki, kann Nextouch seitdem auch mit den Preisen der asiatischen Wettbewerber mithalten. Angesichts der deutschen Digitalisierungsoffensive will Makowezki mit seinem Unternehmen auch hierzulande noch bekannter werden.
In diesem Jahr war Russland auch endlich wieder bei der "Grünen Woche" in Berlin vertreten. Hier lesen Sie, was Jakutien, Moskau und andere russische Regionen dort präsentierten!
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