Die Tu-104: Das gefährlichste Passagierflugzeug der Sowjetunion (BILDER)

Wissen und Technik
BORIS JEGOROW
Mit dem sowjetischen Verkehrsflugzeug Tu-104 startete die zivile Luftfahrt. Doch die Unglücksrate der Maschine war überdurchschnittlich hoch.

Die Tu-104 war eines der ersten Düsenflugzeuge der Welt und ein Pionier der kommerziellen sowjetischen Luftfahrt. Es sollte der Stolz der Sowjetunion sein, doch dieser Erwartung wurde die Maschine nicht gerecht.

Im Gegenteil, die Tu-104 wurde zum gefährlichsten sowjetischen Passagierflugzeug der Geschichte. Von 201 produzierten Maschinen stürzten 37 ab, das ist rund ein Fünftel. 1 137 Menschen verloren bei diesen Flugzeugkatastrophen ihr Leben.

Wie viele andere Passagierflugzeuge, die in den 1950er Jahren in der Sowjetunion entwickelt wurden, basierte die Tu-104 auf einem Militärflugzeug, in diesem Fall auf dem strategischen Bomber Tu-16.

Nikita Chruschtschow war sehr stolz auf die Maschine. Bei einem Besuch in London im Jahr 1956 ließ er drei Tu-104 in die britische Hauptstadt fliegen. Die Europäer waren schockiert, zeigte dies doch, dass die Sowjetunion einen großen Schritt vorwärts in der zivilen Luftfahrt gemacht hatte.

Chruschtschow selbst wollte in einer Tu-104 in London landen, doch das bislang nur unzureichend getestete Flugzeug beunruhigte die Sicherheitskräfte und sie redeten es dem sowjetischen Führer aus.

Die nachfolgende Verwendung der Tu-104 zeigte, dass das Flugzeug alles andere als perfekt war. Während des Fluges war die Tu-104 sehr unzuverlässig und schlecht zu kontrollieren. Häufig trat die sogenannte Holländische Rolle auf, ein unerwünschtes Schwingungsverhalten der Maschine. Die Tu-104 war auch sehr anfällig für Motorprobleme bei niedrigen Geschwindigkeiten. Außerdem ließ die Qualität der Bordelektronik zu wünschen übrig.

Die Piloten beschwerten sich massiv über die Probleme des Flugzeuges. Beim Flugzeughersteller Tupolew ignorierte man diese Beschwerden und warf den Piloten stattdessen vor, unprofessionell zu sein. Das änderte sich erst 1958 nach dem Absturz einer Tu-104, die auf dem Weg von Peking nach Moskau war.

Die Maschine geriet in einen starken Aufwind. Die Folge war ein unabwendbarer Sinkflug. Während das Flugzeug immer weiter herunterging, beschrieb Flugkapitän Harold Kusnezow der Flugsicherung ruhig alle Aktionen der Besatzung und alle Vorgänge an Bord. Seine Bemerkungen waren von großem Wert, um später viele der technischen Mängel der Maschine beseitigen zu können. Dennoch blieb die Zahl der Abstürze und Zwischenfälle hoch.  

Mehrere Tu-104 wurden wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt, in denen Kosmonauten auf ihren Einsatz im All vorbereitet wurden, so auch Juri Gagarin und Alexej Leonow, der erste Mensch, der einen Weltraumspaziergang absolvierte.

Obwohl die sowjetische Führung versuchte, die Berichte über die Abstürze geheim zu halten, hatte die Tu-104 einen schlechten Ruf in der Bevölkerung. In den 1960er Jahren erschien ein Song mit dem ironisch gemeinten Titel „Die Tu-104 ist das beste Flugzeug". Im Text heißt es: „Die Tu-104 ist das schnellste Flugzeug. Es bringt Sie in zwei Minuten bis ins Grab.”

1960, nur fünf Jahre nach Beginn, wurde die Produktion der Tu-104 wieder eingestellt. Eine neue Generation von Düsenflugzeugen ging an den Start. Die sowjetische Führung sah jedoch keinen zwingenden Grund, die Tu-104 nicht weiter einzusetzen. 19 Jahre lang stiegen die gefährlichen Maschinen noch in die Luft. Es gab weiterhin viele Unglücke und Zwischenfälle. Erst 1979, nach einem erneuten schweren Unglück wurde die Maschine für die Zivilluftfahrt aus dem Verkehr gezogen.

In der Sowjetunion war es üblich, dass das Militär ausgemusterte Zivilflugzeuge übernahm. Die Tu-104 hatte jedoch nur eine kurze Karriere bei der sowjetischen Armee. Im Jahr 1981 stürzte eine der Maschinen im Gebiet von Leningrad ab. Die gesamte Führungsriege der Pazifikflotte, darunter 16 Admirale, kam ums Leben. Das war beim Militär das Aus für die Tu-104.

Trotzdem hatte die Einführung der gefährlichen Tu-104 auch positive Auswirkungen. Der Start des sowjetischen Passagierflugverkehrs erforderte Maßnahmen zur Verbesserung der Flughafeninfrastruktur und stellte höhere Ansprüche an den Komfort. Viele Flughäfen wurden ausgebaut und verbessert. Passagiere konnten sich über bequeme Sitze und ein Angebot an warmen Speisen und Getränken freuen.

Die Tu-104 war alles andere als ein perfektes Flugzeug. Doch die Maschine war der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer neuen Generation von Düsenflugzeugen wie zum Beispiel der weitaus erfolgreicheren Tu-154.  

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