Anschnallen bitte: Wie sicher ist das Fliegen in Russland?

Jewgeni Odinokow/Sputnik
Flugzeuge stürzen nur selten ab, doch wenn, gibt es weltweit riesige Schlagzeilen. In Russland gab es in diesem Jahr leider schon einige Flugzeugunglücke.

Von der Tragödie des Suchoi Superjets 100 bis zur Notlandung eines Flugzeugs in einem Getreidefeld, bei der es zum Glück keine Todesopfer gab - solche Geschichten sind für die russische Zivilluftfahrt nicht gerade imagefördernd. Doch sollte man russische Fluggesellschaften deshalb meiden? 

Kein Grund zur Sorge? 

Statistisch gesehen ist das Fliegen mit dem Flugzeug die sicherste Art zu reisen und die Anzahl schwerer Unfälle ist im Vergleich zur Gesamtzahl der Flüge gering. Im Jahr 2018 flogen nach Angaben (eng) der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) 4,4 Milliarden Passagiere auf 46,1 Millionen Flügen. Es ereigneten sich elf Unfälle mit 523 Todesopfern unter Passagieren und Besatzung. Damit gab es 2018 zwar fast doppelt so viele schwere Unglücke mit Todesopfern wie 2017 (sechs tödliche Unfälle), doch noch immer bedeutet das statistisch betrachtet, dass ein Mensch 16 581 Jahre lang einmal täglich fliegen kann, bevor er und alle seine Mitreisenden bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen. 

Im Jahr 2018 beförderten (rus) die Fluggesellschaften Russlands 116,1 Millionen Passagiere - eine Steigerung von 10,7 Prozent gegenüber 2017.

Nach Angaben des russischen Büros des Zwischenstaatlichen Luftfahrtkomitees (Interstate Aviation Committee, IAC) wurden 42 Vorfälle gemeldet, bei 22 davon gab es Todesfälle zu beklagen. 128 Menschen verloren ihr Leben.

Auf den ersten Blick widersprechen diese Zahlen denen der IATA, doch der IAC-Bericht umfasst alle Arten von Flugzeugen, einschließlich Leichtflugzeuge und schwere Maschinen, ebenso wie Hubschrauber und alle Arten von Flügen, reguläre und außerplanmäßige Passagierflüge sowie „sonstige Flüge. Die IATA klammert dagegen Unfälle im Militär-, Exekutiv- und Business-Jet-Betrieb, bei Trainingsflügen, Wartungs- oder Testflügen in ihrer Statistik aus. Darüber hinaus sind darin nur Unfälle mit turbinengetriebenen Flugzeugen mit einem Höchstabfluggewicht (MTOW) von mindestens 5 700 kg enthalten. 

„Die wichtigsten Akteure auf dem russischen Luftverkehrsmarkt arbeiten seit vielen Jahren eng mit internationalen Partnern zusammen und sind Teil globaler Allianzen. Es wäre falsch zu sagen, dass das Sicherheitsniveau in Russland niedriger sei als in Europa“, sagt Dmitri Inogorodski vom Internationalen Finanzzentrum Moskau. Aeroflot und S7 sind beispielsweise Mitglieder der Allianzen Skyteam und Oneworld und zählen Maschinen von Airbus und Boeing zu ihrer Flotte.

„Darüber hinaus haben unsere Fluggesellschaften renommierte europäische Auszeichnungen erhalten und unsere technischen Spezialisten und Piloten genießen im Ausland einen guten Ruf”, fügt Inogorodski hinzu. 

Wie schneidet Russland im Vergleich mit den USA ab? 

Auch wenn diese Zahlen kein ganz so düsteres Bild der russischen Luftfahrt zeigen, so gibt es immer Raum für Verbesserungen. In der Statistik des Flugsicherheits-Netzwerks (Aviation Safety Network, ASN), einer Webseite der Flight Safety Foundation, einem internationalen Verein, der sich die Förderung der Sicherheit in der Luftfahrt zum Ziel gesetzt hat, belegt Russland nach der Anzahl der tödlichen Unfälle von 1945 bis heute den zweiten Platz (eng) unter 25 gelisteten Ländern.

In diesem Zeitraum ereigneten sich in dem Land 525 Unfälle mit insgesamt 8 453 Todesopfern. Übertroffen wird Russland nur von den USA mit 846 Unfällen und 10 792 Todesfällen. Angesichts des höheren Passagieraufkommens in den USA ist ein Vergleich jedoch nicht gerecht. 2017 beförderten die USA 849,4 Millionen (eng) Passagiere, während Russland 105 Millionen (rus) Passagiere beförderte, so die Föderale Agentur für Lufttransport der Russischen Föderation (Rosaviation).

Herausforderungen

Russland ist das größte Land der Welt und muss mit großen Entfernungen, die mit dem Flugzeug überbrückt werden sowie extremen Wetterbedingungen fertig werden. Und das ist noch nicht alles. Inogorodski glaubt, dass das höhere Flug- und Passagieraufkommen auch zu mehr Unfällen führt. Aeroflot gab an, im ersten Halbjahr 2019 17,8 Millionen (rus) Passagiere befördert zu haben, 9,7 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die IATA prognostiziert (eng), dass sich die Passagierzahlen weltweit bis 2037 auf 8,2 Milliarden verdoppeln werden.

Eine weitere Herausforderung für Russland ist der Mangel an qualifizierten Piloten, meint Gennadi Nikolajew von der Akademie für Finanz- und Investitionsmanagement. „Erfahrene Profis entscheiden sich oft für ausländische Unternehmen und das liegt nicht nur an den niedrigen Gehältern selbst bei Russlands größter Fluggesellschaft Aeroflot, sondern auch an den äußerst schwierigen Arbeitsbedingungen der Piloten, die oft mehrere Einsätze am Tag haben. Die Mehrzahl der Unfälle der letzten Zeit hätte vermieden werden können, wenn ein erfahrenerer Pilot geflogen wäre”, ist er überzeugt. 

Erschreckend ist, dass das Zwischenstaatliche Luftfahrtkomitee schätzt, dass 75 Prozent (rus) der tödlichen Unfälle in den postsowjetischen Ländern auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. 

Noch schlimmer ist die Situation bei kleinen Fluggesellschaften, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, um ihre Piloten gut auszubilden. „Nicht jedes Unternehmen verfügt über einen eigenen Flugsimulator. Dieser kostet fast so viel wie ein richtiges Flugzeug. Daher werden die Pilotenanwärter zu Ausbildungszentren im ganzen Land geschickt”, berichtet Nikolajew. Den Behörden seien die Probleme bekannt und sie arbeiten an Gegenmaßnahmen. 

Tatsächlich schlug das Verkehrsministerium im August der Regierung vor, die Finanzierung für die Ausbildung russischer Piloten drastisch zu erhöhen (rus) - auf vier Milliarden Rubel (56 Millionen Euro) plus 450 Millionen Rubel (6, 3 Millionen Euro) für Verpflegung und Uniformen.

Darüber hinaus schlug das Ministerium nach der Tragödie des Suchoi Superjet 100, die offiziell auf menschliches Versagen (rus) zurückzuführen war, vor, Piloten für die SSJ100 an speziellen Flughochschulen auszubilden und wieder Militärabteilungen an Flugschulen einzurichten. 

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