Fahrerlose Autos von Yandex, Russlands größtem IT-Unternehmen, haben bereits eine Million Kilometer auf russischen Straßen zurückgelegt. Diese Taxis benötigen keinen Fahrer. Der Mensch kann sich zurücklehnen und die Fahrt genießen.
Wie sehen die fahrerlosen Yandex-Taxis aus?
Die überwiegende Mehrheit der Fahrzeuge der selbstfahrenden Flotte von Yandex basiert auf dem Toyota Prius mit Schrägheck. Auf der Straße sind sie an der leuchtend rot-weißen Lackierung leicht zu erkennen. Yandex hat von 2014 bis 2019 rund 90 gebrauchte Fahrzeuge mit Automatikgetriebe gekauft und bislang 50 davon auf autonomen Fahrbetrieb umgerüstet.
„Der Umbau dauert nur ein paar Tage”, sagt Julia Schweiko, Sprecherin von Yandex Self-Driving Cars. „Bis Ende 2021 wird es tausende dieser Fahrzeuge geben.”
Um dieses Ziel zu erreichen, muss Yandex auch mit anderen Automobilherstellern zusammenarbeiten. Seit Frühjahr gibt es eine Kooperationsvereinbarung mit Hyundai Mobis, einer Tochtergesellschaft von Hyundai Motors, die Ersatzteillieferung und Wartung für die führerlosen Fahrzeuge übernimmt. Eine autonome Hyundai-Sonata-Limousine ist bereits im Einsatz. Yandex möchte die Flotte zudem um weitere Fahrzeugtypen wie SUVs oder Minibusse erweitern.
Jedes der Fahrzeuge hat einen eigenen Namen, der ursprünglich auf die Androiden aus der Sci-Fi-Fernsehserie „Westworld” zurückgeht: Wyatt, Bryan, Christopher oder Dolores.
„Es gibt mehr Autos als Namen in ‚Westworld’, daher haben unsere Ingenieure ein spezielles neuronales Netzwerk entwickelt, das neue Namen generiert, die zu den bereits existierenden passen”, so Julia Schweiko.
Wo sind die autonomen Taxis unterwegs?
Yandex testet seine Fahrzeuge in Tatarstan, Moskau und auf den Straßen der israelischen Stadt Tel Aviv. Zunächst aber fahren die Autos auf einer Teststrecke in einem Moskauer Vorort mit Tunneln, Ampeln und einer für eine Stadt typischen Verkehrsführung. Rund um die Uhr sind die Wagen in Bewegung. Der Mensch kommt nur zum Einsatz, wenn der Kraftstoff ausgegangen ist. Noch können sich die Fahrzeuge nicht selbst betanken, doch bis es soweit ist, ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit.
In der Praxis verfügen die Fahrzeuge über die SAE-Stufe 4-Autonomie, die nur im Notfall eine Person erfordert (gemäß der allgemein anerkannten Klassifizierung der Society of Automotive Engineers International, SAE, die von Stufe 0 bis 5 reicht).
Die russischen Behörden erteilten (rus) im Herbst 2018 die Zulassung autonomer Autos im realen Verkehr. Dafür braucht es eine Genehmigung, für die die Autos einen langen staatlichen Zertifizierungsprozess durchlaufen müssen. Von 50 Yandex-Fahrzeugen erhielten bisher 35 Autos eine Zulassung.
Eine weitere Voraussetzung ist, dass ein Qualitätssicherungsingenieur während der gesamten Fahrt auf dem Fahrersitz sitzt und jederzeit eingreifen kann. Dabei geht es nicht darum, eventuellen Hindernissen ausweichen zu können, das schafft das autonome Fahrzeug selbständig. Der Grund ist simpler: Ganz ohne den Menschen geht es noch nicht. Das Fahrzeug hält sich strikt an seine Vorgaben. Erkennt es ein Hindernis, stoppt es ohne Wenn und Aber, um Kollisionen zu vermeiden, erklärt die Yandex-Sprecherin. Doch manchmal wäre es besser, dem Hindernis auszuweichen. Das kann das Fahrzeug noch nicht erkennen und der Ingenieur muss übernehmen.
In Moskau werden die autonomen Fahrzeuge seit Sommer 2019 eingesetzt. Das Unternehmen plant, dieses Auto auch in anderen Städten einzuführen, darunter St. Petersburg und Nischni Nowgorod. Seit Juni 2019 fährt ein Fahrzeug auf den Straßen Tel Avivs. Wie in Moskau sitzt ein Ingenieur am Steuer, der bei Bedarf die Kontrolle übernimmt.
Unterscheiden sich die russischen autonomen Fahrzeuge von anderen?
Technisch sind alle fahrerlosen Fahrzeuge der Welt mehr oder weniger gleich. Am Fahrzeug angebrachte Sensoren, Kameras und Lidars (kurz für Light Detection und Ranging) scannen die Umgebung mit einer Reichweite von bis zu 300 Metern dutzende Male pro Sekunde. Auf diese Weise bestimmt das Auto seine Position relativ zu anderen Objekten und wählt die optimale Route aus, wobei diese je nach Verkehr angepasst wird.
Um aber auch vorausschauend fahren zu können, wie es ein geübter menschlicher Fahrer macht, muss das Auto lernen. Dazu muss es erst Zehntausende von Kilometern zurücklegen und in viele unterschiedliche Verkehrssituationen geraten. In einer Datenbank werden die Erfahrungen gesammelt und Reaktionen erarbeitet.
Yandex betont, dass es kein „automatisiertes Fahrerhilfesystem wie Tesla entwickelt, sondern einen Roboter, der in der Lage ist, selbst Entscheidungen zu treffen“. Daher testet das Unternehmen Autos unter verschiedenen Straßen- und Wetterbedingungen. Der einzige Unfall mit einem selbstfahrenden Yandex-Auto ereignete sich laut Julia Schweiko im Juli 2018 in der Trubetskaja-Straße im Zentrum von Moskau, als ein unaufmerksamer Fahrer an einer Ampel auf ein autonomes Fahrzeug auffuhr.
In nur zwei Jahren haben die Yandex-Autos eine Million Kilometer ohne Fahrer zurückgelegt. Nur die US-amerikanischen Unternehmen Waymo und Uber sowie das chinesische Unternehmen Baidu können mit solchen Zahlen aufwarten. Neben Yandex testen die Staatliche Technische Universität für Kraftfahrzeuge und Straßenbau in Moskau, das Aurora Design Büro (spezialisiert auf Robotik), der Lkw-Hersteller KamAZ sowie die Universitäten Innopolis und Taganrog autonome Fahrzeuge in Russland, aber bisher ohne großen Erfolg - sie haben nur wenige Prototypen.
Wie sehen die Zukunftspläne aus?
Laut Yandex plant das Unternehmen, in den kommenden fünf Jahren in verschiedenen Städten Russlands selbstfahrende Taxis einzuführen. Innerhalb von zwei oder drei Jahren sollen diese Taxis in verschiedenen Regionen Moskaus auf die Straße gebracht werden.
„Für die Kunden wird es günstiger, die Fahrten werden rund um die Uhr angeboten und es fallen keine Lohnkosten für Fahrer an”, heißt es bei Yandex.
Die Kosten für ein autonomes Fahrzeug sinken kontinuierlich, allein in den letzten beiden Jahren um ein Drittel: „Als wir 2017 starteten, kostete die Entwicklung unseres ersten fahrerlosen Autos 9,5 Millionen Rubel (134 000 Euro, einschließlich der Kosten für das „Spenderauto“), und jetzt sind es 6,5 Millionen Rubel (92 000 Euro)”, erklärt das Unternehmen. Wie hoch die Gesamtinvestitionen sind, verrät Yandex nicht. Den größten Teil machten dabei die Kosten für die Ingenieure aus.
Laut einer aktuellen Studie (rus) der USB Bank könnte das fahrerlose Transportgeschäft von Yandex bis 2030 einen Wert von mehr als 6,4 Milliarden US-Dollar (5,8 Milliarden Euro) haben. UBS ist der Ansicht, dass Yandex das Potenzial hat, sowohl den fahrerlosen Personen- als auch den Güterverkehr zu entwickeln und auf dem Markt eine Monopolstellung einzunehmen.