Kontrollierter Absturz, verkaufen oder Umbau: Was wird aus der ISS?

Roskosmos
In den letzten 20 Jahren war die ISS der einzige Ort, an dem Menschen längere Zeit im Weltraum bleiben konnten. 2024 soll die ISS aufgegeben werden. Was geschieht dann mit der Raumstation?

Option 1: Absturz über dem Meer  

Im vergangenen Jahr hat sich der technische Zustand der ISS verschlechtert. Im August trat ein Riss im Rumpf auf, der zu einem Druckabfall in der Station führte. Im September berichtete Roskosmos, dass sich der Riss im russischen Swesda-Modul befand. Dies ist ein Schlüsselmodul der gesamten Station: Über ihre Docking-Knoten wird die ISS betankt und mit Trinkwasser aufgefüllt. Zusätzlich ist dieses Modul für die Anpassung an die Umlaufbahn verantwortlich.

Das russische Raumfahrtunternehmen RSC Energia trifft eine düstere Prognose: „Es gibt bereits eine Reihe von Elementen, die ernsthaft von Schäden betroffen sind und außer Betrieb gehen. Viele von ihnen sind nicht austauschbar“, sagte (rus) der stellvertretende Generaldirektor Wladimir Solowjow. 

Insbesondere das Swesda-Modul selbst kann nicht ersetzt werden - seine Produktion hat die Perestroika nicht überstanden, was bedeutet, dass es von Grund auf neu entwickelt werden müsste, basierend auf anderen Technologien, und das Testen würde viel Zeit in Anspruch nehmen.

All dies deutet darauf hin, dass die ISS das Schicksal anderer massiver Weltraumobjekte teilen könnte, die das Verfallsdatum erreicht haben: Ein Absturz über dem Pazifik. Ein Weltraumobjekt verbrennt teilweise in der Atmosphäre und die Trümmer fallen ins Wasser. So wurde sein Vorgänger, die russische Station Mir, 2001 desorbiert.

Obwohl noch niemand über das zukünftige Schicksal der ISS entschieden hat, scheinen die teilnehmenden Länder sehr daran interessiert zu sein, die Lebensdauer der Station zu verlängern. „Der Hauptgrund dafür ist, dass keiner der Programmteilnehmer einen Ersatz für die ISS hat“, sagt (rus) Witali Jegorow, ein unabhängiger Experte.

Option 2: Die ISS geht in Privatbesitz über 

Im Juni 2019 präsentierte (eng) die NASA das LEO-Programm und schlug vor, die ISS für das kommerzielle Geschäft zu öffnen. Das Programm fördert private Astronautenmissionen zur ISS, die von privaten Unternehmen finanziert werden, und den Bau privater Raumstationen.

Für Roskosmos wurde eine ähnliche Option nie ernsthaft in Betracht gezogen. Erstens gibt es in Russland keinen privaten Raumfahrtsektor, alle Raumfahrtprogramme werden vom Staat durchgeführt. Zweitens wurde die ISS, wie der Industrieexperte Leonid Schasanow betont, im Laufe der Jahre hauptsächlich für die Erforschung des außerirdischen Raums und für die Wissenschaft genutzt. Dies ist ihr Hauptzweck. „Diese Experimente sind nur möglich, wenn staatliche Mittel zur Verfügung stehen“, meint (rus) er. 

Es dürften also nur amerikanische Module zum Verkauf angeboten werden, während russische in Staatsbesitz blieben. Das Sarja-Modul wurde in Russland hergestellt und in den 1990er Jahren von der NASA als Teil eines informellen amerikanischen Programms zur Unterstützung der russischen Kosmonautik finanziert (rus) und gehört daher auch der NASA. „Russland müsste ein neues Docking-Modul bauen, um Zugang zu seinen eigenen Modulen zu erhalten. Und ohne Docking-Modul wird kein privater Eigentümer die ISS wollen“, so Jegorow.

Option 3: Nutzung als Lager  

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die ISS in ein Lager für Material für Mondmissionen umzuwandeln. Die ISS könnte also als „Bereitstellungsposten“ dienen. Das wäre billiger, als Raketen direkt zum Mond zu fliegen.

In diesem Fall gibt es viel mehr Akteure, die die ISS in dieser Funktion betreiben möchten: Mondprogramme (oder zumindest Ambitionen) werden sowohl von Raumfahrtagenturen als auch von privaten Einrichtungen wie SpaceX, Boeing und dem russischen Unternehmen S7 betrieben.

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Option 4: Russland baut seine Module ab 

Sobald das Abkommen über den gemeinsamen Betrieb der ISS im Jahr 2024 ausläuft, können alle teilnehmenden Staaten nach Belieben handeln. Das scheint für Russland zunächst interessant, ist jedoch nicht leicht umsetzbar. 

Zum Beispiel verfügt das russische Schlüsselmodul Swesda, das eine Ausrichtung und Umlaufbahnanpassung erfordert, nicht über eigene Gyroskope für Steuermomente (spezielle Rotoren für die Höhensteuerung). Russische Progress-Frachtraumschiffe, die am hinteren Teil des Moduls angedockt sind, schalten manchmal ihre Triebwerke ein, um die Umlaufbahn zu korrigieren. Wenn die Motoren jedoch ständig verwendet werden, geht der Kraftstoff schnell zur Neige. Jegorow weist darauf hin, dass die Kombination von amerikanischen Kontrollmomentgyroskopen und russischen Lagesteuerungsmotoren ein Schlüsselelement der ISS ist und eine Trennung der beiden Segmente im Grunde unmöglich macht. Die Risse in der Station müssten in jedem Fall behoben werden. 

Option 5: Bau einer neuen nationalen Raumstation 

Die Option, die bisher am meisten Beachtung gefunden hat, ist die Idee, eine nationale russische Raumstation zu bauen, um die ISS zu ersetzen - die Russian Orbital Service Station (ROSS). Laut Roskosmos-Leiter Dmitri Rogosin könnte die neue Station im Gegensatz zur ISS Schiffe und Satelliten betanken und so ihre Lebensdauer verlängern. Es ist auch geplant, eine Werkstatt für die Montage von Raumfahrzeugen einzurichten, die zum Mond, Mars und Asteroiden fliegen, sowie ein Hauptquartier für die Kontrolle der gesamten Orbitalgruppe. Eines der Module soll kommerziell sein. Es heißt, alle Module für die ROSS könnten mit Angara-A5-Trägerraketen in die Umlaufbahn gebracht werden.  

Ein großer Vorteil dieser ROSS wäre eine unbegrenzte Lebensdauer dank austauschbarer Module. Russische Experten halten die ROSS jedoch nur für ein Gedankenspiel. „Russische Pläne ändern sich sehr oft, daher gehe ich nicht davon aus, dass Russland nach der ISS tatsächlich eine eigene Raumstation bauen wird“, sagt der Ingenieur Alexander Schajenko, der die Trägerraketen Angara-A5 und KSLV entwickelt hat.

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