Geschichte Tag für Tag: 22. Dezember

Unser täglicher Geschichtsrückblick zeigt Ihnen, was am heutigen Tag in der Geschichte Russlands und der Welt vor sich ging.

1917: Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk

Drei Monate später: Die ersten zwei Seiten des Friedensvertrages von Brest-Litowsk in den Amtssprachen der Signatarstaaten (von links nach rechts): Deutsch, Ungarisch, Bulgarisch, Türkisch (in osmanischer Schrift), Russisch

Am 22. Dezember 1917 begannen in Brest-Litowsk die Friedensverhandlungen zwischen den Mittelmächten und Räterussland, welches zu jener Zeit im Revolutionschaos zu versinken drohte. Schon damals war ein klarer Streitpunkt die Ukraine. Kiew erklärte sich 1918 unabhängig von dem Russlands der Oktoberrevolutionäre. Am Ende jedoch blieb die Unterstützung der westlichen Staaten aus.

Der Erste Weltkrieg gilt insgesamt als die wohl größte Katastrophe für das Russische Reich, die im Oktober 1917 zu seinem völligen Zusammenbruch führte. Die 1,7 Millionen Kriegsopfer waren erst der Anfang weiterer Gemetzel. Obwohl Russland am 3. März 1918 mit dem Frieden von Brest-Litowsk den Krieg beendete, stürzte der anschließende Bürgerkrieg das Land in noch größere Gewalt und Zerstörung.

Wegen seines Separatfriedens mit den Mittelmächten erhielt Russland keinen Sitz bei den Friedensverhandlungen, obwohl sein Verdienst für den Sieg beträchtlich war. Am Ende verlor Russland rund 842 000 Quadratkilometer, 15,4 Prozent seines gesamten Gebiets, in dem 31,5 Millionen Menschen lebten. Damals waren dies 23,3 Prozent der Bevölkerung des Russischen Reiches.

Gleichzeitig beendete Brest-Litowsk auch den Konflikt mit den Osmanen. Der Streitpunkt an sich jedoch ist weiter aktuell: So wurden Aserbaidschan und Armenien sicher auch darum Teilrepubliken der Sowjetunion, um sich vor türkischen Invasionen zu schützen. Und die Rolle Russlands in den Balkanstaaten spielt auch vor dem Hintergrund der neuen EU-Mitgliedsländer in der Region immer wieder eine große Rolle im Diskurs um West und Ost.

1849: Dostojewskij entrinnt nur knapp dem Erschießungsbefehl

Für die Scheinhinrichtung wurden die Verurteilten in Dreiergruppen eingeteilt. Dostojewski, Pleschtschejew und Durow bildeten die (im Bild nicht dargestellte) zweite Gruppe.

Der Zusammenarbeit mit den angeblich revolutionären Petraschewzen beschuldigt war der Schriftsteller Fjodor Dostojewskij zunächst festgenommen und dann mit weiteren „Revolutionären“ zum Tode verurteilt worden. Am 22. Dezember 1849 sollte das Urteil ausgeführt werden. als die Verurteilten bereits in Leichenkleidern auf dem Paradeplatz in Sankt Petersburg vor dem Erschießungspeloton standen, wurde plötzlich ein Erlass verlesen. Die ersten Verurteilten und Rädelsführer der revolutionären Umtriebe, Petraschewski, Speschnjeff, Mombelli, waren da bereits an den Pflöcken festgebunden. Zar Nikolaj I. begnadigte den Autor und schickte ihn „nur“ für vier Jahre „Festungshaft“, eine besondere Haftform ohne Arbeitszwang für angesehene Verurteilte, in die Verbannung. Danach sollte er als gemeiner Soldat dienen.

Stefan Zweig schreibt später über die Fast-Hinrichtung Dostojewskijs in Versform:

Nachts haben sie ihn aus dem Schlaf gerissen, 
Säbel durchklirren die Kasematten, 
Stimmen befehlen; im Ungewissen 
Zucken gespenstisch drohende Schatten. 
Sie stoßen ihn vorwärts, tief gähnt ein Gang, 
Lang und dunkel, dunkel und lang. 
Ein Riegel kreischt, eine Türe klirrt; 
Dann spürt er Himmel und eisige Luft, 
Und ein Karren harrt, eine rollende Gruft, 
In die er eilig gestoßen wird.

(…)

Nebel umfloren mit grauem Tuch 
Das Hochgericht, 
Und nur um die goldene Kirche streift 
Der Morgen mit frostig blutendem Licht.

Schweigend treten sie alle an. 
Ein Leutnant liest ihren Urteilsspruch: 
Tod für Verrat durch Pulver und Blei, 
Tod! 
Das Wort fällt wie ein wuchtiger Stein 
In den frostigen Spiegel der Stille hinein, 
Es klingt 
Hart, als schlüge etwas entzwei, 
Dann sinkt 
Der leere Schall ins lautlose Grab 
Der eisigen Morgenstille hinab.

Wie im Traum 
Fühlt er alles mit sich geschehen 
Und weiß nur, dass er jetzt sterben muss. 
Einer tritt vor und wirft ihm stumm 
Ein weißes, wallendes Sterbehemd um. 
Ein letztes Wort grüßt die Gefährten, 
Und heißen Blicks, 
Mit stummem Schrei, 
Küsst er den Heiland am Kruzifix, 
Den der Pope ihm ernst und mahnend hinbietet; 
Dann werden 
Sie alle zehn, je drei und drei, 
Mit Stricken an ihre Pfähle genietet.

(…)

Da schnüren sie ihm die Nacht um den Blick.

(…)

Und da 
Spürt er, wie einer auf ihn zutritt, 
Spürt einen schwarzen, schweigenden Schritt, 
Nah, ganz nah, 
Und wie er die Hand ihm aufs Herz hinlegt, 
Dass es schwächer .. und schwächer ... und gar nicht mehr schlägt – 
Noch eine Minute – – dann ist es vorbei. 
Die Kosaken 
Formen sich drüben zur funkelnden Reih ... 
Die Riemen schwingen ... die Hähne knacken ... 
Trommeln rasseln die Luft entzwei. 
Die Sekunde macht Jahrtausende alt.

Da ein Schrei: 
Halt! 
Der Offizier 
Tritt vor, weiß flackt ein Papier, 
Seine Stimme schneidet hell und klar 
In die harrende Stille: 
Der Zar 
Hat in der Gnade seines heiligen Willens 
Das Urteil kassiert, 
Das in mildere Strafe verwandelt wird.

(…)

Da bricht 
Er ins Knie wie gefällt. 
Er fühlt mit einmal die ganze Welt 
Wahr und in ihrem unendlichen Leid. 
Sein Körper bebt, 
Weißer Schaum umspült seine Zähne, 
Krampf hat seine Züge entstellt, 
Doch Tränen 
Tränken selig sein Sterbekleid. 
Denn er fühlt, dass, erst seit 
Er die bittern Lippen des Todes berührt, 
Sein Herz die Süße des Lebens spürt. 
Seine Seele glüht nach Martern und Wunden, 
Und ihm wird klar, 
Dass er in dieser einen Sekunde 
Jener andere war, 
Der vor tausend Jahren am Kreuze stand, 
Und dass er, wie Er, 
Seit jenem brennenden Todeskuss 
Um des Leidens das Leben liebhaben muss.

Soldaten reißen ihn weg vom Pfahl. 
Fahl 
Und wie verloschen ist sein Gesicht. 
Schroff 
Stoßen sie ihn in den Zug zurück. 
Sein Blick 
Ist fremd und ganz nach innen gesenkt, 
Und um seine zuckenden Lippen hängt 
Das gelbe Lachen der Karamasow.

Am 24. Dezember trat Dostojewskij seine Reise nach Sibirien an, wo er 23. Januar 1850 im Omsker Katorga eintraf.

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