Moskau Undercover: Wie sich die Stadt durch Tarnung vor Luftangriffen der Deutschen schützte

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Im Zweiten Weltkrieg hat der Kreml insgesamt acht Luftangriffe überstanden. Zahlreiche Bomben und sogar ein Öltank trafen Moskaus mittelalterliche Festung während des Krieges. Doch nennenswerte Schäden blieben aus. Wie war das möglich?

Der Kreml wurde eins mit der Stadt

Von Kriegsbeginn an dachte Nikolai Spiridonow, der von 1938 bis 1953 Kommandant des Moskauer Kremls war, darüber nach, wie er den historischen Mittelpunkt der Stadt vor militärischen Angriffen schützen könne. Der Kreml war nicht nur die Festung der Sowjetregierung sondern auch ein spirituelles Symbol des Landes. Spiridonow schickte eine geheime Botschaft an den berühmt-berüchtigten Volkskommissar für innere Angelegenheiten Lawrenti Beria. Dieser gab umgehend die Tarnung des Gebäudes in Auftrag. Das war keine leichte Aufgabe, denn es galt nicht nur 28 Hektar Fläche vor dem Feind zu verbergen, sondern auch die Türme, unter anderem den Glockenturm Iwan der Große. Am 22. Juli 1941 traf eine 250 kg schwere deutsche Bombe den Palast, doch es handelte sich nur um einen Blindgänger.

Die Türme des Kremls erhielten einen neuen farbigen Anstrich und bekamen eine Verkleidung aus Holz. Alle Dächer innerhalb der Anlage wurden rostbraun gestrichen, so dass sie nicht von den übrigen Dächern der Stadt zu unterscheiden waren. Auf das Kopfsteinpflaster wurde Sand geschüttet. Auch die Gartenanlagen wurden mit Holz abgedeckt, so dass sie aus der Luft wie Dächer aussahen. All diese Maßnahmen sollten die deutschen Piloten verwirren. Das Gebiet des Kremls sollte wie der Rest der Stadt aussehen. Diesen Plan hatte der wohl bedeutendste Architekt der Sowjetzeit, Boris Iofan, ausgearbeitet.

Eines der wichtigsten strategischen Ziele des Feindes, das Lenin-Mausoleum, wurde ebenfalls unter einer Holzabdeckung versteckt. Der Leichnam Lenins wurde aus der Hauptstadt gebracht und kehrte erst nach 1945 zurück.

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Die Festung Moskau

Natürlich sollten auch die Wohnviertel vor Bombenangriffen geschützt werden. In der ganzen Stadt galten strenge Sicherheitsmaßnahmen. Damals lebten rund 4,6 Millionen Menschen in der Stadt, nach der Evakuierung nur noch 2,1 Millionen. Schon vor Kriegsbeginn hatten viele Moskowiter eine Zivilschutzausbildung absolviert. Nun war es leider an der Zeit, dass sie ihr Wissen anwenden konnten. Brandbomben wurden gelöscht, die Fenster mit Klebeband abgedichtet und eine strenge Ausgangssperre eingehalten. Von Mitternacht bis 5 Uhr früh war jeglicher Verkehr untersagt, auch Fußgänger durften nicht unterwegs sein. Über 200 Fabriken wurden aus der Stadt verlegt. Die Verbleibenden produzierten Nachschub für die Front. 200 000 Freiwillige meldeten sich zum Dienst bei der Feuerwehr.

Hunderttausende errichteten Barrikaden in der Stadt. Teilweise wurden die Menschen für diese Arbeit von der Regierung verpflichtet. Lohn gab es dafür nicht. Außerhalb der Stadt wurden zwei riesige Verteidigungswälle erbaut. Die Überreste findet man heute noch in den Wäldern der Stadt. Überall im Stadtgebiet wurden Gebäude getarnt und falsche zur Ablenkung geschaffen. Straßen und Wege wurden so gestaltet, dass sie aus der Luft wie Erde aussahen. In unbewohnten Gebieten wurden dagegen falsche Straßen aufgemalt. Die Autobahn zwischen Leningrad und Moskau war von großer strategischer Bedeutung, daher wurde sie besonders sorgfältig versteckt und mit Holz verkleidet, so dass der Eindruck von Hausdächern entstand.  

„Meine Mutter löschte ständig Brandbomben auf dem Dach”

Nikolai Werschbizkij lebte zu Kriegszeiten in Moskau. Er erzählt: „Es war der 7. November 1941, der Jahrestag der Oktoberrevolution. Auf der Straße ist ein Umzug. 200 Männer und Frauen tragen Schaufeln und Brechstangen. Es ist kalt, windig und es schneit heftig. Die Menschen stehen in langen Schlangen für Brot und Kartoffeln an. Das Radio hatte am Morgen eine Störung. Es heißt, die Deutschen seien dafür verantwortlich. Mehrere hundert Panzer nehmen an der Parade auf dem Roten Platzt teil. Sie beruhigt einige Moskowiter, doch andere fragen sich, warum die Panzer nicht an der Front sind, wo sie gebraucht werden. Stalin erklärte, der Krieg könne mehrere Monate dauern, ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes...”

Um strategisch bedeutsame Fabriken zu schützen, wurden außerhalb der Stadt aus Glas und Pappe ganz ähnliche Gebäude errichtet und Tag und Nacht beleuchtet. In der Region Nischni Nowgorod war diese Maßnahme sehr erfolgreich. Die Deutschen bombardierten dort das falsche Automobilwerk und die echte Fabrik blieb verschont.

Insgesamt wurden in Moskau 95 deutsche Luftangriffe bei Nacht und 30 am Tag von 7200 Kampfflugzeugen ausgeführt. Den Bürgern wurden bestimmte Tätigkeiten übertragen, zum Beispiel das Löschen von Brandbomben. Tamara Rybakowa erinnert sich: „Bomben fielen in der Nähe und trafen auch das Dach unseres Hauses. Sie wurden von den Erwachsenen, auch von meiner Mutter, vom Dach gefegt, die dort Wache hielten. Nach jedem Angriff räumten meine Freunde und ich Trümmer von den Straßen und brachten sie zu den Sammelstellen. Es war sehr beängstigend, wenn die Sirenen heulten. Dann eilten alle in die Luftschutzbunker. Ich war traurig, dass meine Mutter nie mit uns kam. Sie blieb immer auf dem Dach und löschte die Brandbomben.”

Das heißt jedoch nicht, dass in der Stadt das Leben zum Erliegen kam. Nachdem die unmittelbare Bedrohung vorüber und die Tarnung aufgehoben war, öffnete das Moskauer Konservatorium wieder. An der Moskauer Universität wurde auch während des Krieges weitergearbeitet. Zwischen 1941 und 1945 wurden 106 Doktortitel und 520 Diplome verliehen. Bibliotheken, Kindergärten, Theater und Kinos, in denen vor allem patriotische Werke gezeigt wurden, blieben geöffnet. Ab April 1942 wurden durch deutsche Luftangriffe 19 Fabrikanlagen (316 beschädigt), 69 kommunale Gebäude (110 beschädigt) sowie 226 Häuser (641 beschädigt) zerstört. Über 2000 Menschen verloren ihr Leben. 1400 deutsche Kampfbomber wurden über Moskau abgeschossen. Zum Glück war es das letzte Mal, dass Moskau in so großer Gefahr war.   

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