Pockennarben, fehlende Finger: Unter diesen körperlichen Einschränkungen litten russische Herrscher

Wolfgang Kumm/dpa/Global Look Press
Informationen über körperliche Anomalien der Menschen, die Russland regierten, unterlagen aus Sicherheitsgründen immer der Geheimhaltung. Interne als auch externe Staatsfeinde hätten sich solches Wissen leicht zunutze machen können.

In der Vergangenheit hielt das Volk seine Führer für unfehlbar und unverletzlich. Der Zar galt als Abgesandter Gottes. Hätte das Volk gewusst, dass der Zar oder Herrscher Entstellungen oder körperliche Einschränkungen vorzuweisen hätte, hätte das seine Autorität untergraben und beim Volk für Unsicherheit und Ängste gesorgt.  

Doch einige russische bzw. sowjetische Herrscher konnten ihre körperlichen Beeinträchtigungen nur schwer verbergen.

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  1. Peter der Große – Marfan Syndrom (vermutlich) 

Die nach seiner Totenmaske angefertigte Skulptur des Kopfes von Peter dem Großen

Peter der Große (1672-1725) war knapp über zwei Meter groß (2,03 m). Beide Elternteile waren größer als der Durchschnitt. Doch Peter war zudem noch ungewöhnlich hager, was Aufsehen erregte. Er war nicht kräftig gebaut, sondern hatte schmale Schultern und für seine Größe kleine Füße mit Schuhgröße 40.

Die Stiefel von Peter dem Großen

Kein einziges populäres Porträt von Peter spiegelt seine wahre Erscheinung wider. Zeitgenossen haben häufig seine langen Gliedmaßen und den kleinen Kopf des Zaren beschrieben. 

Hypothetisch könnte Peter das Marfan-Syndrom (eng) gehabt haben - eine genetische Störung, bei der das Bindegewebe betroffen ist. Menschen mit Marfan-Syndrom sind in der Regel groß und hager, mit langen Armen, Beinen, Fingern und Zehen. Sie haben typischerweise auch extrem flexible Gelenke und Skoliose, eine Verkrümmung der Wirbelsäule. 

Peter war dafür bekannt, obsessiv aktiv zu sein. Schon als Kind konnte er nicht lange stillsitzen. Höfische Zeremonien, die oft stundenlang dauerten, waren eine Qual für ihn. Als Erwachsener fiel er durch Rastlosigkeit auf: er aß schnell, er ging schnell und sorgte dafür, pausenlos etwas zu tun zu haben. 

Kaftan (Jacke) von Peter dem Großen

In Bezug auf Skoliose gibt es zahlreiche Aufzeichnungen darüber, dass Peter sich oft bückte und den Kopf zur Seite neigte. Bei Menschen mit Marfan-Syndrom ist auch eine Deformität der vorderen Brustwand bekannt, und Peters Gehröcke waren geschneidert für eine Person mit einer bemerkenswert langen und dünnen Brust.

Menschen mit Marfan-Syndrom sind oft unruhig und schnell gereizt. Peter litt zudem unter Anfällen, bei denen sich sein Gesicht verzog, er den Kopf schief hielt und mit Schultern und Armen zuckte. 

Eines der wenigen Gemälde, das versucht, die wahre Statur von Peter dem Großen und die Geschwindigkeit seiner Bewegungen einzufangen.

Manche Menschen mit Marfan-Syndrom sind hochintelligent. Auch Peter intellektuelle Fähigkeiten waren zweifelsohne bemerkenswert.  

Es gibt zwar keine Beweise, doch es ist bekannt, dass Peter der Große körperliche Abnormitäten aufwies, die nicht auf Verletzungen, sondern auf einen Gendefekt zurückzuführen waren. 

  1. Alexander I. – Taubheit 

Großherzog Alexander, der zukünftige Kaiser Alexander I.

Großfürst Alexander (1777-1825) war der Enkel von Katharina der Großen, die eine herausragende Zukunft für den Jungen plante. Fast unmittelbar nach der Geburt nahm Katharina der Mutter den Säugling weg und zog ihn selbst an ihrem Hof auf. 

Peter III., Katharinas Ehemann, der 1762 ermordet wurde, hatte noch als Erwachsener Angst vor Kanonenschüssen. Katharina, die ohnehin Probleme mit ihrem Gemahl hatte, verachtete sein in ihre Augen kindisches Verhalten und besonders die Spielzeugsoldaten, mit denen sich Peter so gerne beschäftigte.

Alexander I.

Vielleicht setzte sie daher alles daran, aus Alexander einen „richtigen Mann“ zu machen, der vor Kanonenfeuer nicht erschrickt. 

Russische Historiker sind sich sicher, dass dies der Grund für Alexanders bekannte Taubheit war. Auf einem Ohr hörte er gar nichts und auf dem anderen war er schwerhörig. Der Grund könnte darin liegen, dass er schon früh dem Lärm von Kanonen ausgesetzt wurde und dabei sein Trommelfell geplatzt ist. Im 19. Jahrhundert gab es dagegen noch keine Behandlung. 

Im Gespräch mit Menschen neigte Alexander instinktiv den Kopf und wandte seinem Gesprächspartner seine rechte Seite zu. Er sprach auch sehr leise, um „nicht taub zu wirken“.

  1. Josef Stalin – zusammengewachsene Gliedmaßen und Muskelatrophie 

Dies ist eines der seltenen Fotos von Stalin, auf denen Pockennarben auf seinem Gesicht zu sehen sind.

Josef Stalin hatte Syndaktylie - seine zweiten und dritten Zehen waren zusammengewachsen. Im Alter von fünf Jahren erkrankte Stalin an Pocken. Er behielt auffällige Flecken im Gesicht zurück. Retuscheure mussten Fotos des Generalsekretärs für Zeitungsveröffentlichungen stundenlang bearbeiten. 

Wjatscheslaw Molotow erinnerte sich in seinem Buch „140 Gespräche mit Molotow“ an Stalin, der ihm erzählte, dass die Dorfbewohner ihn 1913 im Exil im Bezirk Turuchansk in der Region Krasnojarsk ihn den „rauen Os’ka“ (Verniedlichung von Josef) nannten, vielleicht wegen seiner Pockennarben. Außerdem hatte er einen schwachen linken Arm.

Josef Stalin mit seiner Tochter Swetlana

Im Alter von sechs Jahren wurde Stalin beim Überqueren der Straße angefahren und trug schwere Verletzungen am linken Arm und am Kopf davon.  Sein linker Arm entwickelte sich nie so wie der rechte: er konnte ihn nicht richtig anheben oder gerade halten. Mit zunehmendem Alter spürte er auch ständigen Juckreiz und Schmerzen in den Fingern seiner linken Hand.

  1. Boris Jelzin – zwei fehlende Finger 

Der erste Präsident der Russischen Föderation verlor als Teenager zwei seiner Finger. Jelzin schrieb darüber in seiner Autobiografie „Aufzeichnungen eines Unbequemen“ (1990). 

„Während des Krieges (Jelzin war zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges von 1941 bis 1945 10 Jahre alt, Anm. d. Red.) wollten alle Jungs an die Front, aber niemand ließ uns. Wir haben Waffen, Gewehre und sogar eine Kanone gebaut. Wir haben beschlossen, einige Granaten zu beschaffen und zu zerlegen, um sie zu studieren und zu verstehen, wie sie aufgebaut sind. 

Nach Einbruch der Dunkelheit schlich ich mich durch drei Stacheldrahtzäune zum Munitionsdepot. Während der Wachposten auf der anderen Seite des Gebäudes war, zersägte ich die Gitter an den Fenstern. Ich habe es hineingeschafft, zwei RGD-33 Handgranaten genommen und konnte unbemerkt entkommen. Das war Glück, der Wachposten hätte ohne Vorwarnung geschossen.

Wir gingen in den Wald und begannen, die Granaten auseinanderzunehmen. Ich sagte den Jungs, sie sollen sich hundert Meter weiter wegstellen und nahm einen Hammer. Die Granate lag auf einem Felsen. Ich wusste nicht, dass ich zuerst die Sicherung hätte herausnehmen müssen… Die Finger waren weg. Die anderen Jungs waren in Sicherheit. 

Während der Fahrt in die Stadt wurde ich mehrmals ohnmächtig. Im Krankenhaus wurde ich mit der schriftlichen Zustimmung meines Vaters operiert (es hatte bereits Wundbrand eingesetzt). Die Stummel wurden amputiert, ich ging mit einem weißen Verband um die Hand wieder in die Schule.“ 

Sein ganzes Leben lang hat er sich für diese Hand geschämt und bevorzugte Posen, die ihm halfen, sie zu verbergen. Wladimir Sokownins Porträt von Jelzin fängt eine seiner Lieblingshaltungen mit versteckter verletzter Hand ein.

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