Vier russische Beiträge, die unterschiedlicher nicht sein könnten
Der seit drei Jahren in der Heimat von Regisseur Alexej German Jr. mit Spannung erwartete Film „Dowlatow“ über einige schicksalhafte Tage im Leben des russischen Emigranten und Schriftstellers ist im Hauptwettbewerb im Rennen um den Goldenen Bären. Im Berlinale-Forum feiert „Syn“ („Sohn“) des sibirischen Regisseurs Alexander Abaturow Weltpremiere. Im Programm „Generation Kplus“ wird der sprachlose Kurzfilm „Wdol i poperjok“ („Zwischen den Streifen“) von der Moskauer Animationsfilmerin Maria Konewa vorgestellt und im „Panorama Special“ wird „Profile“ von Timur Bekmambetow erstmals gezeigt, der nach dem Buch "In der Haut eines Dschihadisten“ von Anna Erelle die Geschichte einer Undercover-Journalistin erzählt, die sich über die sozialen Netzwerke in die Welt der Terroristen einschleichen will.
Außer diesen Beiträgen russischer Filmemacher aber ist auch Russland selbst Thema anderer Filme in Berlin. In der „Retrospektive“ läuft beispielsweise der 90 Jahre alte deutsche Schwarz-weiß-Film „Heimkehr“ (1928) von Joe May. Darin fliehen zwei Deutsche als Freunde 1917 aus russischer Kriegsgefangenschaft. Die Frau des Einen in Hamburg erreicht jedoch nur der Freund. Als der Andere dann verspätet auch sein Heim erreicht, sind die beiden schon ein Paar und es entwickelt sich eine emotionale Dreiecksbeziehung…
Und auch der zweite Film mit Russland-Motiv dreht sich um Grenzüberschreitungen: Die Doku „Wanderungen“ läuft als Gast der Perspektive Deutsches Kino bei der Berlinale und zeigt am Beispiel des Berliner Rosa-Luxemburg-Platzes in Zusammenschnitten aus mehreren kleinen Filmchen, wie Nachbarschaft, Heimat und Herkunft unsere heutige Gesellschaft beeinflussen.
Das russische Berlinale-Flaggschiff „Dowlatow“
Vor drei Jahren hatte der russische Regisseur Alexej German Jr. die Arbeit an dem Streifen über den berühmten russischen Schriftsteller Sergej Dowlatow, der, nachdem seine Werke in der Sowjetunion der Zensur zum Opfer fielen, in die USA auswanderte, begonnen.
„1971 war die spannendste Zeit der sowjetischen Geschichte“, sagte German damals im Interview mit der „Rossijskaja Gaseta“. „Wir wollen keinen Film über die Schrecken der Sowjetzeiten machen. Nein, für uns ist es interessanter einen Film über das Glück der Jugend zu machen. Außerdem wird es ein Film über eine unglaubliche Liebe sein.“
„Ich habe Dowlatow erst spät gelesen – mit 26-27 Jahren, dafür alles auf einmal in einem Zug“, erinnerte sich German Jr. nun im Vorfeld der Berlinale-Aufführung seines neuesten Werkes. „Damals schon dachte ich mir, dass es wunderbar wäre, einen Film über ihn zu drehen. Aber lange Zeit hatte ich keine Vorstellung, wie.“ Germans eigener Weg von Dowlatows Werken zum eigenen Film dauerte damit fast 15 Jahre. „Dowlatow ist eines der unstrittigen Symbole des letzten Viertels des 20. Jahrhunderts. Er ist ein Superstar der russischen Literatur. Riesig, schmal, unglaublich talentiert; schade, dass solche bei uns heute nicht mehr gemacht werden.“
Die Pressekonferenz mit German Jr. in Berlin können Sie in englischer Sprache hier sehen.
Drei gute Gründe, für „Dowlatow“ ins Kino zu gehen
1 Kurz vor zwölf: Wie wenige Tage die Weichen eines Literatenschicksals stellten
Die Verfilmung der Lebensgeschichte des russischen Schriftstellers Sergej Dowlatow (1941 – 1990) konzentriert sich auf wenige Tage des Jahres 1971, als er noch in Leningrad (heute Sankt Petersburg) lebte. Der Film porträtiert die enge Beziehung der beiden Autoren: Beide hatten bereits Publikationsverbot in ihrer Heimat, litten darunter und mussten bald gänzlich vor der Zensur ins Ausland fliehen. Laut German war eben jene Zeitspanne ausschlaggebend für Dowlatows weiteren Werdegang, obwohl er – wie sein Schriftstellerkollege Josef Brodskij – bis dato noch nicht aus der Sowjetunion ausgewandert war.
Während Dowlatow in seinen schriftstellerischen Arbeiten aufrichtig und unverblümt schrieb – wofür sie dann wohl auch verboten wurden –, war Dowlatow als sowjetischer Journalist das genaue Gegenteil: ruhig, loyal und nicht bereit, die Sicherheit seines Jobs zu gefährden. Dowlatow befand sich wie zahlreiche seiner Zeitgenossen in einer schmerzenden Zwickmühle. Bevor er auswandern konnte, zwang ihn die Ideologie dazu, seine moralischen Prinzipien aufzugeben. Doch während andere solche Heuchelei und moralische Unterwürfigkeit selbst viel später nicht eingestanden, widmete Dowlatow sich dieser schmerzvollen Erfahrung in seinem Buch „Der Kompromiss“.
Und so kommen Sie durch den Film dem Menschen nah, der sich in seinem Leben in so vielen Rollen ausprobierte: als sowjetischer Dissident mit jüdisch-armenischen Wurzeln, Freund des späteren Nobelpreisträgers Brodskij, als sowjetischer Emigrant in den USA sowie als Chefredakteur des „New American“, wichtigster Journalist der russischen Einwanderer, erfolgreicher Kolumnist des The New Yorker sowie jeweils 12 eigener Bücher, die in Europa und den USA publiziert wurden, nachdem Dowlatow die Sowjetunion bereits verlassen hatte.
2 Stillstand und Kommunalka: Eintauchen ins Sankt Petersburg der 70er Jahre
Der Regisseur German Jr. aber hatte noch ein weiteres Anliegen mit seinem Film, wie er in zahlreichen Interviews betont: Er lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auch auf die besondere Zeit der 70er Jahre in der Sowjetunion. Laut German zeichnen sich die Vertreter jener Zeit durch außergewöhnlichen Maximalismus und gleichzeitig besondere Vornehmheit aus. Aufgewachsen in den 60er Jahren von Chruschtschows „Tauwetter“-Periode lag eine Freiheit in der Luft, die die Kreativität der jungen Leute anspornte. Doch dann kam die Stagnation der 70er mit all ihrer Angst, Zensur und Einschüchterung.
Im Film dann treffen die wildesten Träume der Schriftsteller – Dowlatow, Brodskij und ihrem Freundeskreis – auf eben jene triste Realität. Dowlatow spricht mit Breschnew und Fidel Castro und beschwert sich über sein Publikationsverbot. Dann bietet ihm Moskau plötzlich die Mitarbeit an einem Werk an oder doch die Rückkehr in ein Arbeitscamp als Aufseher? Dowlatows Träume mischen sich mit den Kommunalkas des sowjetischen Leningrads und münden in eine surrealistisch anmutende Satire, die wiederum Dowlatows eigenen prägnanten, ironischen und spitzfindigen Schreibstil widerspiegelt.
3 Wenn Talente Talente spielen: Cineastische Höchstleistungen in ausgezeichneter Besetzung
Germans “Dowlatow” gehört zu den meisterwarteten Filmen in Russland in diesem Jahr, die Kritiker halten ihn schon im Vorhinein für Germans besten Film. Dabei waren auch die Vorgänger schon international erfolgreich. „Unter Stromwolken“ (2015) ging schon bei der 65. Berlinale im Hauptwettbewerb ins Rennen, sein „Papiersoldat“ (2008) gewann einen „Silbernen Löwen“ beim Internationalen Filmfestival in Venedig, bei dem zuvor auch „Garpastum“ (2005) und „Letzter Zug“ (2003) gezeigt worden waren.
Die Hauptrolle des Sergej Dowlatow spielt der serbische Schauspieler Milan Maric, der sich durch eine starke Ähnlichkeit mit Dowlatow auszeichnet. Er erschuf in dem Streifen ein Bild eines starken, schlagfertigen, aber noch nach seinem Weg suchenden Dowlatow mit einer fantasievollen und verletzlichen Innenwelt.
Die künstlerische Leiterin Elena Okopnaja wiederum zeichnete dafür verantwortlich, dass sich der Zuschauer dank der liebevoll ausgesuchten Details und humoristisch gewählter Elemente des Alltags wirklich im Leningrad der 70er Jahre angekommen fühlt.
Am Samstag, dem 24. Februar 2018, findet in Berlin die Preisverleihung der heißbegehrten Berlinale-Bären statt. Wir drücken German, Dowlatow & Co. die Daumen!
Wenn Sie nun richtig Lust auf russisches Kino bekommen haben, dann empfehlen wir: