Wussten Sie, dass Sigmund Freud, der Pionier der Psychoanalyse, einmal einräumen musste, dass seine Methode auf die Charaktere in Fjodor Dostojewskis Büchern nicht anwendbar sei? Franz Kafka las seinem Freund Max Brod mit großer Begeisterung Auszüge aus dem „Jüngling“ Dostojewskis vor. James Joyce sagte über Dostojewski: „…er ist der Mann, der mehr als alle anderen die moderne Prosa geschaffen hat und sie auf dem heutigen Spielfeld verschärfte.“
Für Virginia Woolf waren Dostojewskis Werke „ein brodelnder Whirlpool, kreiselnder Sandsturm und Wasserhosen, die uns aufsteigen lassen, weichkochen und sich uns einverleiben. Sie sind völlig aus dem Stoff der Seele gemacht. Gegen unseren Willen werden wir hineingezogen, herumgewirbelt, erstickt und gleichzeitig mit schwindelerregender Entrückung erfüllt.“
Gabriel García Márquez und Haruki Murakami waren in ihrer Jugend Dostojewski-Fans. Allein Wladimir Nabokow scheint seinen berühmten Landsmann vollständig ignoriert zu haben…
Viele Literaturhistoriker sehen in Dostojewskis “Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ ein Tagebuch eines Verrückten und eines der ersten Werke des zunehmenden Existenzialismus. Als Vater der modernen Philosophie gilt zwar der Däne Søren Kierkegaard, aber Dostojewski beeinflusste zu jener Zeit all diese tiefsinnigen, klugen Köpfe der europäischen Kultur. Friedrich Nietzsche beispielsweise nannte die „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ ein „psychologisches Meisterwerk“.
Nietzsche hatte allgemein großes Interesse an der Russischen Literatur, er las Puschkin, Lermontow und Gogol. Aber Dostojewski nannte er einmal die „glücklichste Entdeckung“ seines Lebens.
„Kennen Sie Dostojewski? Außer Stendhal hat mich niemand so positiv überrascht wie er, niemand machte mir so eine Freude. Er ist ein Psychologe, mit dem ich eine gemeinsame Basis gefunden habe.“
Eine Legende besagt, Nietzsche habe Dostojewskis „Erniedrigte und Beleidigte“ gar mit Tränen in den Augen gelesen. Sicher ist, dass der deutsche Philosoph dem russischen Schriftsteller größten Respekt entgegenbrachte, nachdem er das Buch gelesen hatte. Ebenso schätzte er sehr: „Schuld und Sühne“, „Der Idiot“ – dessen Protagonist Fürst Myschkin als Gegenstück Nietzsches spätere Antichrist-Theorien formte – sowie „Aufzeichnungen aus einem toten Hause“, das er jedoch für Dostojewskis Russland-Pessimismus kritisierte.
Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit William Faulkners Faszination für Dostojewski. Der Amerikaner nannte den russischen Klassiker immer wieder als eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen – neben der Bibel und Shakespeare. „Die Brüder Karamasow“ war das für Faulkner wichtigste Dostojewski-Werk, das er immer wieder neu las. Dem amerikansichen Poeten Hart Crane schrieb er einmal in einem Brief, dass es in der gesamten amerikanischen Literatur nichts Vergleichbares gebe.
Der Faulkner-Experte Dr. Robert Hamblin schreibt:
„Wie Dostojewski interessierte sich Faulkner sehr für Studien persönlicher Krisen bei Menschen, die sich selbst inmitten einer gesellschaftlichen Krise befanden. Die beliebige Familie, die Faulkner beschreibt, steht für Stimmungen und Zustände einer ganzen Nation – des amerikanischen Südens, um genau zu sein. Das ist dasselbe Pribzip wie bei Dostojewski, dessen Charaktere sich immer wieder an Kreuzungen von Moral, Glaube und Emotionen wiederfinden.“
“Dostojewski schrieb einmal: ‘Wenn Gott nicht existierte, dann wäre doch alles erlaubt.‘ Und das ist der Ansatzpunkt des Existenzialismus.“
Dies wiederum schrieb Jean-Paul Sartre in seinem weltberühmten Werk „Existenzialismus ist Humanismus“. Das Zitat stammt aus Iwan Karamasows anti-klerikalen Ansichten. In Sartres Interpretation bedeutet es, dass die Menschheit für alles die Verantwortung trägt, ohne jegliche Ausrede oder Chance, eine höhere Macht vorzuschieben.
Die Russische Literatur suchte lange vor dem europäischen Existenzialismus nach dem Schlüssel zum Verstehen der menschlichen Seele. Und Dostojewski stellt diese Suche an vorderste Front seiner Werke und versuchte eine Lösung des Mysteriums zwischen Eigenverantwortung und der Gottes sowohl in der Person des Raskolnikow in „Verbrechen und Strafe“ (siehe „Schuld und Sühne“) sowie des Iwan Karamasow.
Der große Unterschied zur westlichen Philosophie jedoch ist Dostojewskis Antwort auf all diese Fragen: Für ihn liegt sie stets und klar im Glauben.
Hemingways Position gegenüber Dostojewski zeigt sich in seinem Werk “Paris – Ein Fest fürs Leben“:
„Bei Dostojewski gab es Glaubhaftes und Unglaubliches, von denen Manches aber so wahr schienen, während man sie liest; Gebrechlichkeit und Geisteskrankheit, Bosheit und Güte, die Verrücktheit des Glücksspiels waren da wie die Landschaft und Straßen bei Turgenew, und das Ziehen der Truppen, das Territorium und die Offiziere und die Männer und der Kampf bei Tolstoi.“
Nach dieser Lobeshymne allerdings ergänzte Hemingway auch noch:
„Ich habe viel über Dostojewski nachgedacht. Wie kann ein Mann so schlecht, so unglaublich schlecht schreiben und Sie doch so tief fühlen machen?“
Viele Russen meinen in diesem Satz erkennen zu können, das Hemingway Dostojewski stark beneidete.
Pamuk äußerte zwar, dass Lew Tolstoi der bessere Romanist gewesen sei, sieht in Dostojewski jedoch dir größeren Inspiration für sich selbst. Bei einer Vorlesung in Sankt Petersburg sagte Pamuk, dass sich sein Leben mit der ersten der „Brüder Karamasow“ grundlegend verändert habe. Dostojewski habe ihn darin direkt angesprochen und ihm etwas über die Menschen und das Leben eröffnet, das sonst niemand wissen kann.
Mit etwa 20 Jahren las Pamuk dann den politischen Roman „Böse Geister“, der ihn gleichzeitig erschreckte und erstaunte. Ihn beeindruckten die Leidenschaft für Macht, das Vergeben können und der Glaube. Das Verlangen nach Schmutz und Heiligkeit mit einem Mal ließen Pamuk tief über das Leben grübeln – etwas, das seine späteren Romane ebenfalls aufgriffen.
Dostojewski hat überall seine Spuren hinterlassen:
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