Nostalgie vor Ort: Warum die Russen ihre Heimatkundemuseen mögen

Alexander Ryumin/TASS
Heimatkundemuseen gelten häufig als Kultstätten der russischen Vergangenheit und sind oft die einzigen Orte, an denen Exponate zu sehen sind, die zwar nicht so große Bedeutung, aber dennoch einen nostalgischen und ästhetischen Wert haben mögen.

Am Ende des Dorfes steht ein Haus, das, egal ob es alt und baufällig oder restauriert ist, ungefähr die gleichen Exponate, wie ausgestopfte Hasen und Bären oder getrocknete regionale Kräuter und Zweige, enthält. In einem schwach beleuchteten Raum hängen zudem noch ein paar verblichene Plakate, die etwas die Ortsgeschichte erzählen, und ein paar Porträts von Prominenten, die vor dem Jahr 1950 geboren sind. Zwischendurch sieht man einen korpulenten Administrator mit Brille und eine Hausmeisterin mit einem rußigen Waschlappen in der Hand durchs Haus huschen.

Das Nationalmuseum in Naltschik, Kabardino-Balkarien

In Russland gibt es mehr als 800 solcher Heimatkunde- sowie über 130 Haus- und Wohnungsmuseen, die an das Leben von Schriftstellern, Erfindern, Wissenschaftlern und Revolutionären erinnern. Manchmal besitzen diese Museen kein einziges Möbelstück oder persönlichen Gegenstand ihrer Helden, sondern versuchen, „die Atmosphäre der Epoche nachzuahmen“.

Auf Befehl des Zaren

Wie viele Ideen, wurde auch die der Bewahrung des kulturellen Erbes auf Geheiß Peter des Großen etabliert. Er befahl dem russischen Volk beispielsweise, alte und ungewöhnliche Gegenstände, einschließlich Knochen und Waffen, dem Senat gegen eine Belohnung zu überlassen. So wollte der Zar seine Kunstkammer, die Russlands erstes Museum wurde, füllen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann schließlich die Russische Akademie der Wissenschaften ethnographische Expeditionen in die entfernten Regionen des Landes durchzuführen und befahl den örtlichen Behörden, ihnen Informationen über Wälder, Flüsse, Seen, Mineralien, Messen und Mühlen zuzusenden. Auf dieser Art und Weise kamen die ersten Beschreibungen dieser Regionen und im Jahr 1782 die Eröffnung des ersten Heimatmuseums in Irkutsk zustande.

Die Kunstkammer in Sankt Petersburg

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts haben nur wenige Menschen die Bedeutung der Bewahrung örtlicher Geschichte verstanden. Später verpflichtete Nikolaus der Erste die Behörden aller Gouvernements dazu, Lokalzeitungen herauszubringen und regte Amateurhistoriker dazu an, Überlieferungen und Erinnerungsstücke zu sammeln und Artikel darüber zu schreiben. Auch die örtlichen Kirchen sammelten regionale Artefakte und Relikte. Die bedeutendsten Kunstschätze befanden sich jedoch in den Landgütern des Adels.

Revolution: Die Mutter aller Museen

Nach der Revolution wurden die Kirchen geschlossen und die Luxusgüter verstaatlicht. Jene Schätze des Adels, die nicht während des russischen Bürgerkrieges zerstört worden waren, kamen in den Staatsbesitz und die „Beute“ der Adelshöfe, Kirchen und Klöster wurde zu Ausstellungsobjekten örtlicher Museen. Da die bolschewistischen Staatsdiener jedoch nicht das Wissen hatten, wie man ein Museum leitet, wandten sie sich an „ehemalige“ Mitarbeiter, die in der Zarenzeit ausgebildet worden waren und in der Lage waren, die Arbeit fortzusetzen. Einige Mitglieder der Adelsfamilien wurden auf diese Weise zu Leitern der Museen, die sich in ihren ehemaligen Wohnräumen befanden.

Das Museum-Reservat Schuschenskoje on der Region Krasnojarsk

Zu Beginn der 1930er Jahre begann der sowjetische Staat mit der systematischen Unterdrückung dieser Leute. Die örtlichen Museen versuchten indessen mit ihren Ausstellungen vor allem, den Weg zum Kommunismus sowie die bevorstehende kommunistische Zukunft zu verherrlichen und „die Produktionskraft sowie die natürlichen Ressourcen des Landes zu studieren“, anstatt die Vergangenheit zu bewahren.

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Die „Tauperiode“ und heute

Nach dem Krieg kehrte die Geschichte Russlands in Form von Wachsfiguren der Dorfbewohner, die Volkstrachten trugen und ihre tägliche Arbeit verrichteten, in die örtlichen Museen zurück. Oftmals wurden die Gesichter der Wachsfiguren sogar nach den Gesichtern der echten Dorfbewohner modelliert und machten die Museen zu Gedenkstätten der russischen Bauernschaft.

Architektonisches und ethnographisches Museum-Reservat Kischi

Nach der Perestroika wurde das sowjetische Alltagsleben von den Heimatkundemuseen thematisiert und sowjetische Küchengeräte, die typische Pionierkleidung zusammen mit den roten Fahnen ausgestellt.

Am beliebtesten sind bis heute jene Museen, die den großen russischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts gewidmet sind. Russland Beyond hat mit Lilija Tichonowa, ehemalige Leiterin des Tarchany Anwesens, auf dem der Dichter Michail Lermontow seine Kindheit an der Seite seiner Großmutter Elisaweta Arsenjewa verbracht hatte, darüber gesprochen. Wir erfuhren, dass dort heute im Rahmen einer Führung die örtlichen Traditionen wieder zum Leben erweckt werden.

Staatliches Lermontow-Museum Tarchany

Des Weiteren sind Hausmuseen auch Orte, an denen private Traditionen gepflegt werden können. „Elisaweta Arsenjewa, Lermontows Großmutter, liebte es beispielsweise, in einer abgelegenen Rotunde in ihrem Garten Tee zu trinken. Und auch heute bieten die Mitarbeiter des Museums zu besonderen Anlässen, wie Lermontows oder Arsenjewas Geburtstag, dort ihren Besuchern Tee an“, erklärt Tichonowa und sagt, dass diese Traditionen dabei helfen, nicht nur das Museum, sondern auch das Haus am Leben zu erhalten.

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