Rudolf Nurejew: Der erste sowjetische Superstar im Westen und sein tragisches Schicksal

Kultur
ALEXANDRA GUSEWA
Nurejew war in vielerlei Hinsicht ein Pionier. Er war der erste sowjetische Künstler, der nicht von einer Tour ins Ausland zurückkehrte, der Erste, der im Westen zum Star wurde, der Erste, der sich öffentlich als homosexuell bekanntgab und der Erste, der offen über AIDS redete. An dieser Krankheit starb er im Alter von 54 Jahren.

2017 wurde das kontroverse Ballett Nurejew unter der Regie von Kirill Serebrennikow im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt. Ein Jahr darauf feierte auch Ralph Fiennes Film Die weiße Krähe seine Premiere. Dokumentationen und fiktionale Werke, die sich um Nurejew drehen, sind sehr populär. Warum?

Eine schwierige Kindheit

Rudolf Nurejew war halb tatarischer und halb baschkirischer Herkunft. Er kam am 17. März 1938 an Bord eines Wagons der transsibirischen Eisenbahn zur Welt. In Biografien wird dieses Ereignis oft als Vorbote für sein späteres Leben interpretiert, das tatsächlich mindestens genauso außergewöhnlich war, wie die Umstände seiner Geburt.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Familie Nurejew von Moskau nach Ufa evakuiert. Dort litt sie unter extremer Armut, Hunger und Kälte. Da die Familie kaum Geld hatte, musste der kleine Rudolf die alte Kleidung seiner Schwester tragen. In der Schule wurde er dafür massiv gehänselt. Vermutlich rührt seine Charakterstärke daher.

Als Rudolf sechs Jahre alt war, ergatterte die Mutter mit etwas Glück Karten für das Ballett. Der kleine Junge war so begeistert von den Eindrücken, dass er fortan davon träumte, selbst Tänzer zu werden. Sein Vater, ein Muslim, lehnte das ab. Seiner Meinung nach sollte sich Rudolf mehr auf die Schule konzentrieren. Doch der rebellische Junge blieb hartnäckig. Er nahm Tanzstunden und hielt diese vor seinem Vater geheim.

Die Tanzlehrer in Ufa erwiesen sich als fähige, intelligente Menschen. Sie entdeckten das Potential des kleinen Tänzers und schätzten sein Temperament. Neben Ballett brachten sie ihm auch die Schauspielerei näher, zeigten ihm Djagilews Ballette und die großen Ballerinen.  

Als sie merkten, dass Rudolf es mit seiner Ballettkarriere ernst meinte, empfahlen die Tanzlehrer ihm die Waganowa-Ballettakademie in Leningrad, auf der sie einst selbst gelernt hatten. Sie glaubten, dass es die beste Tanzschule der ganzen Sowjetunion sei.

Ähnlich schwierige Teenagerjahre

Im Alter von 17 Jahren verließ Rudolf seine Familie und besuchte tatsächlich die Waganowa-Akademie. Auch dort eckte er an. Seine Mitschüler ärgerten ihn wegen seiner „provinziellen Verhaltensweisen“. Dafür hatte Rudolf erneut Glück mit seinen Lehrern. Der berühmte Tänzer Alexander Puschkin, inzwischen Professor an der Waganowa-Akademie, nahm ihn unter seine Fittiche. Nurejew lebte sogar für einige Zeit in Puschkins Wohnung, um dem Mobbing in seinem Schlafsaal zu entgehen.

Rudolf widmete sich voll und ganz seiner Kunst. „Jeder Schritt soll mit deinem eigenen Blut besiegelt sein“, hat der junge Tänzer einmal gesagt.

Direkt nach seinem Abschluss wurde Nurejew als Solokünstler im Ballettensemble des Kirow-Theaters für Oper und Ballett (heute Mariinski-Theater) engagiert. 1958 spielte er in Schwanensee seine erste Rolle auf der großen Bühne.

Die Flucht

Drei Jahre später ging das Ensemble auf Tour nach Paris. Das Pariser Publikum war von seiner Performance kein bisschen weniger begeistert als das Sowjetische.

Nurejew ignorierte alles, was die Aufpasser des KGBs über das Verhalten von Künstlern auf Auslandsreisen gesagt hatten. Er unterhielt sich mit den französischen Tänzern und Tänzerinnen, genoss das Leben in Paris und kehrte erst spät ins Hotel zurück.

Obwohl das Ensemble eigentlich nach London weiterreisen sollte, schickte man Rudolf nach Moskau zurück. Man sagte ihm, dass er für eine wichtige Show eingeplant war, doch er merkte, dass man ihm verbieten wollte, ins Ausland zu reisen. Er entschied sich für die Freiheit.

Mit Hilfe der französischen Behörden gelang es ihm, in Paris zu bleiben. Obwohl die Saison schon fast zu Ende war, bot ihm das „Grand Ballet du Marquis de Cuevas“ einen Vertrag an. Er wurde von vielen verschiedenen Theatern eingeladen und spielte in London, Paris, Cannes, Chicago und New York.

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Bedeutsame Bekanntschaften

In London traf Nurejew, damals 23 Jahre alt, auch erstmals auf die Primaballerina Margot Fonteyn (damals 42). Er verliebte sich in ihren Tanzstil und träumte von einem Duett. Das Schicksal meinte es erneut gut mit ihm, denn das „Royal Ballet“ lud ihn ein, mit Fonteyn in Giselle zu tanzen. Ihr Duett beeindruckte das Publikum. Zwischen den beiden Künstlern entstand eine langjährige, kreative Freundschaft. Das Paar gab sich gegenseitig Inspiration und Energie und arbeitete regelmäßig zusammen.

Bis 1977 blieb Nurejew am „Royal Ballet“. Währenddessen nahm er aber auch andere Möglichkeiten wahr, darunter Aufträge als Choreograf. In Kopenhagen traf Nurejew auf Erik Bruhn. Der Tanzstil des Dänen faszinierte Nurejew. Die beiden verliebten sich ineinander, blieben bis zu Bruhns Tod 1986 zusammen und bekannten sich offen zu ihrer Homosexualität.  

Die Pariser Oper und der HIV-Virus

1983 wurde Nurejew zum Direktor des Balletts der Pariser Oper ernannt. Er brachte eine neue Vision von Ballett mit sich und inszenierte sowohl klassische als auch experimentelle Produktionen. Zudem gab er vielen jungen Tänzern und Tänzerinnen die Möglichkeit, sich zu entwickeln und zu internationalem Ruhm zu gelangen. Das Ensemble war unter Nurejew weltweit gefragt und ging regelmäßig auf Tournee.

Kurz nach seiner Ernennung wurde bei Nurejew HIV festgesellt. Er probierte viele Behandlungsmethoden aus, doch seine Kraft schwand von Tag zu Tag. Das Tanzen fiel ihm zunehmend schwerer, weswegen er sich in den letzten Jahren seines Lebens hauptsächlich der Regie widmete.

Im Jahre 1993 starb Nurejew. Getreu seinem letzten Wunsch wurde er auf dem „russischen Friedhof“ in Sainte-Geneviève-des-Bois beerdigt. Dort liegen auch andere bekannte Kulturschaffende russischer Herkunft begraben, darunter Iwan Bunin, Nadeschda Teffi, Sinaida Gippius und Dmitri Mereschkowski. Nurejews Grab erkennt man an dem mosaikähnlichen Orientteppich, der über ihm drapiert ist. Teppiche zählten zu einer weiteren großen Leidenschaft Nurejews.

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