Meinung: Luc Bessons Film „Anna” - So schlecht, dass er schon wieder gut ist

Legion Media
Dieser Film, voller Matrjoschkas, brutalen KGB-Agenten und einer falschen Darstellung des sowjetischen Moskau, versucht gar nicht erst, seriös zu erscheinen.

„Anna”, der neue Film des französischen Regisseurs Luc Bessons, hat russische Filmkritiker Gift und Galle spucken lassen. In der Geschichte über eine sowjetische Doppelagentin spielt das russische Model Sascha Luss die Hauptrolle der ebenso schönen wie gefährlichen Anna Pojiatowa. 

„Ein sehr schlechter und dummer Actionfilm über eine russische Schönheit”, lautet das vernichtende Urteil Anton Dolins von „Meduza”.  „Bessons voyeuristischer Zeitvertreib braucht überhaupt kein Publikum", meint Julia Schagelman von der Zeitung „Kommersant”. Die Kritiker sind sich einig, dass „Anna” im Hinblick auf die historische Authentizität absolut misslungen ist. Die Geschichte spielt 1990, als die Sowjetunion in den letzten Zügen lag, doch in den 118 Minuten des Films ist sehr viel von einem modernen Moskau der Jahre 2018/2019 zu sehen, gespickt mit Klischees. „Es scheint, als hätte der Regisseur um eine Flasche Stolichnaya gewettet, dass er kein Russland-Klischee auslassen wird”, schreibt Dolin. 

Er hat zu 100 Prozent Recht. Dennoch hatte ich im Gegensatz zu ihm meinen Spaß mit „Anna” und ebenso rund 50 weitere russische Kinobesucher im gleichen Kinosaal, die sich vor Lachen schüttelten, auch wenn das Vergnügen mehr auf Fremdschämen beruhte. Lassen Sie mich erklären… 

Unsinnige Handlung 

Auch in seinem neuen Film bleibt sich Besson treu: Er liebt es, fragile Frauen zu zeigen, die sich in rücksichtslose Tötungsmaschinen verwandeln. Schon in „Nikita” und „Lucy” zeigt er Frauen, die zur perfekten Waffe mutieren und nun also „Anna”: Der Rest spielt für ihn keine große Rolle. Russland? Ok, dann eben Russland. 

Von Beginn an wird deutlich, dass keiner der Macher von „Anna” auch nur den geringsten Wert auf Genauigkeit gelegt hat. 

Erste Szene: Ein böser alter KGB-General lässt mehrere US-amerikanische Agenten verhaften und schickt ihre Köpfe an die CIA. 

Zweite Szene: 1990 wird Anna, eine unschuldig wirkende Blondine mit russisch-folkloristischem Schal, von einer französischen Modelagentin entdeckt, als sie auf einem Markt Matrjoschkas verkauft. Natürlich ist sie eine Undercoveragentin des KGB. Einige Monate später ist sie noch viel mehr: Doppelagentin, Dreifachagentin, Geliebte von KGB- und CIA-Agenten. Sie ist eine Kriegsgöttin, die im Alleingang dutzende (vielleicht sogar hunderte) Soldaten besiegt. Dabei bleibt sie stets ein wunderschönes, kluges und rücksichtsloses Supermodel. 

Ja, russische Frauen sind so cool. Zumindest in Bessons Vorstellung. Die Handlung ist verdreht, wirr und zugleich sehr vorhersehbar. Wer würde schon im Jahr 2019 darauf kommen, dass die Protagonistin, die Superfrau gleich zweier Geheimdienste, am Ende nur ihre eigenen Interessen verfolgt? Jeder! 

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Der Teufel steckt im Detail 

Die Handlung ist jedoch nicht der Hauptfaktor, der „Anna” für russische Zuschauer zu einem gnadenlos schlechten Film macht. Es ist mehr Bessons Darstellung von Moskau und seinen Bewohnern in 1990. Während die Darsteller in sowjetischen Autofabrikaten sitzen, fahren sie durch Straßen, die so erst seit zwei bis drei Jahren aussehen. 

In einer Szene schreibt Anna, die sich ein heruntergekommenes Loch mit ihrem kriminellen und tätowierten Freund Pjotr teilt, eine Bewerbung an die sowjetische Marine – auf einem Laptop! Um Himmels willen, in den 1980er Jahren hatte nicht einmal Michail Gorbatschow einen Laptop, geschweige denn Drogenabhängige.  

Übrigens wird Pjotr von Alexander Petrow gespielt - einem der beliebtesten zeitgenössischen russischen Schauspieler. Es ist eine seltene Freude, zwei echte Russen zu sehen, die in einem westlichen Film Russen verkörpern. Aber das Glück währt nicht lange (Spoiler-Alarm): Pjotr ​​wird schon sehr bald getötet und nun werden zwei KGB-Agenten, gespielt von Luc Evans und Helen Mirren, zu Schlüsselfiguren in Annas Leben. Die KGB-Agenten sprechen natürlich Englisch miteinander und so spricht auch Anna bald Englisch. Das ist befremdlich: Durchschnittliche Russen sprechen untereinander Russisch, KGB-Agenten dagegen Englisch. Diese listigen sowjetischen Spione…

Bei dem Versuch, die Vielschichtigkeit und Philosophie der russischen Seele zu erkunden, lässt Besson freudig kein Klischee aus. Anna und ihre KGB-Offizierin Olga (Helen Mirren) werfen sich gegenseitig Zitate von Dostojewski und Tschechow zu und dann fällt der Satz: „Ich arbeite für den KGB, Baby“. Ich bezweifle, dass irgendein KGB-Agent das jemals gesagt hat. 

Anna sagt mit völlig unbewegtem Gesicht: „Eine Matrjoschka ist eine Frau in einer Frau in einer Frau.” Das ist richtig. Doch dieses traditionelle russische Spielzeug als feministisches Symbol zu interpretieren, was Anna tut, ist ziemlich seltsam. 

Und natürlich sagen sie beim Trinken „Na sdorowje". Zum tausendsten Mal: ​​Das sagt kein Russe, denn dieser Trinkspruch ist polnisch! 

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Die gute Seite 

Ab einem bestimmten Punkt beginnt man zu vermuten, dass Anna eher eine Parodie als ein echter Actionfilm ist. So macht es auch Sinn. Wenn die von Helen Mirren gespielte KGB-Agentin erzählt, dass sie humpelt, weil sie während eines Trainings in Sibirien aus dem Hubschrauber geworfen wurde, um gegen Bären zu kämpfen, und sich anschließend mit einem Feuerzeug in Form einer riesigen Granate eine Zigarette anzündet, dann ist es einfach unmöglich, diesen Film ernst zu nehmen. 

Um es klar zu stellen: ich weiß nicht, ob es Bessons Absicht war, eine Komödie zu drehen. Wenn dem so war, ist er ein brillanter Regisseur und ein Meister der Parodie. Falls nicht, ist er immer noch großartig, denn es braucht auch Talent, etwas derart schlecht zu machen.

Wir müssen festhalten, dass Bessons Film auch absolut nicht antirussisch ist. „In diesem Film sind alle schlecht: Russen, Amerikaner, Franzosen, sie sind alle gleich”, sagte (rus) er in einem Interview mit „Forbes Russland”. Das wird im Film auch so dargestellt. „Sie sind aber doch besser als der KGB?”, fragt Anna einen CIA-Agenten. „Nun, historisch betrachtet, ja”, antwortet dieser, nur um eine Minute später zu befehlen, dass einem Mann ein Finger abgeschnitten wird. 

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