Gleich hinter dem Mariinski-Theater liegt ein Stadtteil, der ein Geheimtipp in Sankt Petersburg ist: Kolomna
Triglinki ist der Name eines von vielen neu entstandenen Gemeinschaftswohnprojekten in Kolomna. Eine helle gelbe Tür lädt die Besucher ein und auf einer Liste stehen die Regeln für diejenigen, die kommen, um dort zu wohnen oder um Kontakte zu knüpfen. Kunst, Tofu, Programmkino und monatliche Technopartys sind in Ordnung. Alkohol, Drogen und Fleisch sind nicht gerne gesehen.
Sanfter Electro-Pop tönt aus den großen Boxen in der Küche, ein Klavier steht an der Wand und an einem kleinen Strauch blinken weihnachtliche Lichterketten. Jederzeit könnte man die Bewohner beim Putzen, bei der Planung von Veranstaltungen, bei einer Tasse Tee diskutierend, beim Yoga oder bei der Besprechung von Verschönerungs- oder Renovierungsaktionen antreffen.
In den letzten Jahren hat sich Kolomna zu einem Zentrum für junge Menschen entwickelt, die nach neuen Wegen des Zusammenlebens suchen. Die Lage ist relativ zentral, die Mieten niedrig und es gibt viel Raum für interessante Projekte. Triglinki zum Beispiel nutzt die Räumlichkeiten einer ehemaligen Kommunalka. Das Konzept dieser Gemeinschaftswohnungen aus dem 20. Jahrhundert wurde im 21. Jahrhundert nun völlig neu interpretiert.
Eine kurze Geschichte der Kommunalka
Kommunalkas sind wie ganz normale Wohnungen, aber es gibt einen Unterschied: Die einzelnen Räume sind so groß, dass darin eine ganze Familie Platz finden kann. Es gab sie schon zur Zarenzeit. Der Begriff Kommunalka entstand erst nach der bolschewistischen Revolution und sie wurde zum sowjetischen Phänomen. Lenin sah in den Kommunalkas großes kommunistisches Potenzial - Menschen aus verschiedenen Schichten, mit unterschiedlichen Hintergründen, lebten Seite an Seite - und nutzte diese Wohnungen, um eine Bevölkerung, die immer noch überwiegend ländlich war, rasch zu urbanisieren.
Zahlreiche Familien siedelten in die großen urbanen Zentren des Landes um, wo sie wegen Platzmangels in unmittelbarer Nähe zu ihren Nachbarn leben mussten. Gemeinsam genutzte Badezimmer und Küchen führten zu wöchentlichen Putzplänen, Lauschangriffen und passiv-aggressiven Küchenschlachten.
Als Chruschtschow nach Stalins Tod die Macht übernahm, ermöglichte es die Wohnreform, dass Familien in kleinere, private Wohnungen umziehen konnten. Die Kommunalka blieb den weniger aufstiegsorientierten Menschen. Viele Einheimische wundern sich daher, warum junge Leute heutzutage wieder in diese Gemeinschaftswohnungen ziehen.
Motivation für das gemeinsame Leben
„Nicht jeder eignet sich für das, was wir hier vorhaben. Wir wollen nicht nur Mitbewohner sein, sondern eine kleine Familie“, sagt Ruslan Larotschkin, der Gründer von Triglinki. „Ein Ort lebt durch seine Menschen. Jeder bringt seine eigene Energie mit. Und ich möchte, dass derjenige, der hier einzieht, ebenfalls positive Energie mitbringt.“
Konzerte, Restauranttage und Filmabende sind eine normale Sache. Foodsharing, Recycling und eine gute Tasse Tee – das schweißt die Bewohner zusammen.
Nur ein paar Blocks entfernt, im Gemeinschaftswohnprojekt Kubometr, hört sich das genauso an. Das Projekt wurde 2013 von Olga Poljakowa und einigen ihren Freunden gegründet und entwickelte sich schnell zu einer Drehscheibe für junge Leute, die sich für kulturelle und soziale Projekte interessieren.
Poljakowas eigene Plattform, Trava (rus), ist eine der lebendigsten Basisbewegungen der Stadt. Sie bietet alles Mögliche von Kursangeboten bis zu Themenexkursionen und Antidiskriminierungs-Projekten. Viele andere Kubometr-Gründer haben bereits eigene Projekte initiiert.
Die aktuellen Gemeinschaftsmitglieder Asja Senitschewa und Ksjusccha Morosowa begleiten monatliche Hauskonferenzen, bei denen sich jeder anmelden kann, um einen zehnminütigen Vortrag zu einem beliebigen Thema zu halten. Die Teilnehmer bringen Wein, Obst und viele Fragen mit.
Doch auch diese Projekte, die auf einige wie Paradiese des Neo-Bohemianismus wirken, sind vor den Widrigkeiten des Alltags nicht geschützt. Missverständnisse und die Herausforderung auf engem Raum mit anderen zu leben, sind Teil des Pakets. Das Leben in diesen Kommunalkas des 21. Jahrhunderts ist nicht jedermanns Sache. Es gibt viele Regeln zu beachten und es kann manchmal dauern, bis ein geeigneter Mitbewohner gefunden ist.
Nachfolgende Generationen
Gelegentlich gibt es Veranstaltungen, bei der die Vergangenheit auf die Gegenwart trifft. Beim fünften Geburtstag von Kubometr war Natalja Patkul zu Gast, die vor Jahrzehnten in der Wohnung gelebt hat. Sie berichtete von ihren Erfahrungen.
„Für mich ist es wichtig, dass die Wohnung so ist, wie sie war. Einige Details sind genau wie in meiner Kindheit. Ich bin sehr froh, dass die Wohnung jetzt diese Atmosphäre hat. Ich mag die Leute, die hier leben, und ich mag, was sie tun. Nicht jeder Wohnung ergeht es so.“
Dass Kommunalkas irgendwann aussterben, glaubt sie nicht: “Veränderungen sind unvermeidlich und jede Zeit hat ihre eigenen Trends. Selbst wenn es sie einmal nicht mehr geben sollte, werden wir immer eine romantische Nostalgie für sie empfinden.“