Axel aus Italien: Wie Russen mein Leben veränderten

Aus dem persönlichen Archiv
Die russische Literatur und Kultur inspirierten Axel aus Italien dazu, nach Russland zu ziehen. Seitdem ist er ganz und gar angekommen im Lebensgefühl der neuen Heimat.

2017 war mein erster Winter in Moskau. Der kälteste seit Jahrzehnten. Ich liebe den Winter, so war es eine schöne Erfahrung für mich. Ich habe sogar das Eistauchen ausprobiert, die christlich-orthodoxe Tradition, die an die Taufe Jesu erinnert.

Das war eine der interessantesten Erfahrungen meines Lebens. An dem Abend saß ich zu Hause und hörte Musik. Plötzlich rief ein Freund an und fragte mich, ob ich Lust hätte, Epiphania, das Fest zur Taufe des Herrn, zu feiern. Ich musste nicht lange überlegen, zog mich um und ging aus dem Haus. Als ich am vereisten Fluss ankam, standen dort schon viele Leute, die schwimmen gehen wollten. Darunter waren auch Kinder.

Als ich an der Reihe war, hatte sich bei Temperaturen um die -10°C auf der Wasseroberfläche schon wieder ein leichter Eisfilm gebildet. Ich tauchte ein und spürte sofort, wie sich meine Beine zusammenzogen. Dreimal sprang ich ins Wasser. Das Gefühl von Wärme und Entspannung danach war wunderbar. Es war eine schöne Erfahrung, doch nochmal werde ich das nicht machen. Einmal ist mehr als genug.

>>> Wie Russen die Taufe des Herrn feiern: Anleitung in drei Schritten

Wie ich nach Moskau kam

Im Alter von 21 Jahren kam ich nach Moskau und hatte keine Ahnung davon, wie sehr dies mein Leben verändern würde. Vorher hatte ich mir selbst Russisch beigebracht, mit Büchern und Videos auf YouTube.

Ich weiß nicht mehr, wann mich diese Leidenschaft für Russisch gepackt hat. Ich wollte Russisch studieren, weil ich mich durch russische Literatur und russische Musik in die Sprache verliebt hatte. Im März 2016 entschloss ich mich zum Umzug, da mir dies der beste Weg zum Lernen schien. Also verließ ich das sonnige Italien, wo ich gerade meinen Abschluss in Tourismus gemacht hatte, in Richtung des kalten, nördlichen und verschneiten Russland.

Für meinen ersten Besuch hatte ich ein Visum, das 90 Tage lang gültig war. Ich benötigte dafür ein Einladungsschreiben. In Russland arbeitete ich als freier Online-Übersetzer, so blieb mir genug Zeit, um die russische Kultur und die Russen zu beobachten und ihre Lebens- und Denkweise kennenzulernen.

Großstadtleben und Russisch lernen

Moskau unterscheidet sich von allen anderen Städten, in denen ich bisher gelebt habe. Ich bin sehr häufig zwischen Italien und Osteuropa umgezogen. In Russlands Hauptstadt leben rund 12,5 Millionen Menschen und der Rhythmus der Stadt ist verrückt. In meiner Heimatstadt mit 80 000 Einwohnern leben die Menschen ganz anders. Was mir in Moskau besonders gut gefällt:  Vieles ist sehr gut organisiert, etwa der Öffentliche Verkehr, der immer schnell und pünktlich ist, oder die sauberen und ordentlichen Straßen. Die Staus auf den Strassen mag ich natürlich nicht.

Es war nicht allzu schwer, heimisch zu werden. Da ich weitab des Tourismuszentrums im Norden der Stadt wohne, wo kaum jemand Englisch spricht und die Leute auch keinen Ausländer erwarten, musste ich mich sehr schnell den Lebensgewohnheiten der Russen anpassen (etwa zu jeder Tageszeit Unmengen Tee trinken).

Anfangs kannte ich nur drei Sätze auf Russisch: „Hallo“ (Privet), „Danke“ (Spasibo) und „Ich spreche kein Russisch” (Ne govoru po-russki). Doch schon nach einigen Monaten bekam ich Komplimente. Die Leute sagten mir, ich würde mich schon wie ein Russe verhalten, weil ich Umgangssprache wie „Чё?“ (Tscho, zu Deutsch: „Was?“) und „blin“ (zu Deutsch etwa „Mist”) verwendete.

Schwierig war für mich die Bürokratie. Ich musste tonnenweise Formulare ausfüllen und dazu zahllose Ämter aufsuchen. Ungewohnt waren auch die kulturellen Unterschiede vor allem beim Essen. Noch immer habe ich mich nicht an den Geruch von eingelegten Gurken gewöhnt.

Was ich in der russischen Hauptstadt gelernt habe ist, dass Zeit keine Rolle spielt. Geschäfte und oft auch Büros haben rund um die Uhr geöffnet. Die Entfernungen sind groß. Jemanden am anderen Ende der Stadt zu besuchen kann zwei Stunden dauern.

Meine Moskauer Freunde laden mich manchmal zu einem Wochenendausflug ein „nah bei Moskau”, wie sie sagen. Wenn ich dann frage, wie weit es ist, sagen sie: „Es ist nicht weit, nur 500 Kilometer”. Mein Heimatland ist ganze 1 185 Kilometer lang, so dass ich noch immer irritiert bin, wenn ich diese Entfernungen höre.

Mit Russen reden

Die Mehrzahl der Russen liebt Italien und das war sehr hilfreich, um soziale Kontakte zu knüpfen. Auf den Straßen sind oft italienische Lieder zu hören und es ist auch kein Problem, italienische Geschäfte zu finden. Die Menschen hier sind sehr patriotisch. Sie haben mir beigebracht, nicht nur Russland zu lieben, sondern auch mein Heimatland mehr zu schätzen.

Nach all der Zeit weiß ich, dass die Russen starke Menschen sind. Sie lassen das nicht heraushängen, sondern leben es einfach. Hier lernt man, in allem das Positive zu sehen, versteht, was mit dem Satz „Heute ist es wirklich kalt” gemeint ist und lernt, auch an kleinen Dingen Freude zu haben. Ich habe in Russland gelernt, dass es keine Rolle spielt, wie kalt es auf der Straße ist, es ist immer warm genug für ein Lächeln – und für eine Tasse Tee.

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