Unsere Leserin Rita Nurullina, die in Australien lebt, wird immer wieder dasselbe gefragt: Woher kommst du? Warum bist du nach Australien gezogen? Kannst du Russisch? („Das ist die dümmste Frage, denn ich komme ja aus Russland und habe einen russischen Akzent, also da, ich spreche Russisch“).
Anfangs trägt man diese Fragen noch mit Fassung, doch in den letzten zwölf Jahren hat Rita diese scheinbar harmlosen, aber letztlich rassistischen Witze, die die Leute lustig finden, immer wieder gehört: „Trinkst du Wodka?“ Und mein persönlicher Favorit: „Bist du ein Spion?“ Bla, bla, bla.
„Wenn Du aus Russland kommst, bist Du wahrscheinlich ein Spion. Davon sind sie hier überzeugt”, sagt die Journalistin Maria Grigorjan, die in Kroatien lebt. „Wenn Du dann auch noch Journalist bist, sind die letzten Zweifel ausgeräumt. Ich bin es gewohnt, von Freunden und Verwandten „unser KGB-Mädchen” oder „russische Spionin” genannt zu werden. Ich nehme es nicht übel. In Hollywood-Filmen sind die Russen schließlich immer die Bösen.”
Ilja Tchistilin, der in Kanada lebt, hört häufig: „Sie haben einen Akzent, woher kommen Sie?" Manchmal fordert er die Leute auf, zu raten. Die Antworten sind vielfältig. Frankreich wird sehr oft getippt. Italien? Oder England, Portugal, Finnland, Schweiz, Australien? Manchmal versucht Ilia einen Hinweis zu geben. Sagt jemand Polen, sagt er „Nein, weiter östlich”, „Aha, Schweden!”, „Nein, nach Osten. Es ist das größte Land der Erde.” Oft hört er dann: „Oh, Geographie ist nicht so meine Stärke.” Dann verrät Ilja meist, wo er herkommt.
Ksenia Kirillowa lebt jetzt in Hongkong. Dort werden ihr keine Fragen gestellt. Doch in den USA, wo sie zehn Jahre gelebt hat, hat sie die ganze Bandbreite lächerlicher Fragen gehört: „Aus welchem Land in Russland kommen Sie?“ Oder „Du kommst aus Sibirien? Soll ich die Kühlschranktür öffnen?”
Mascha Stambler ist eine Russin, die in den USA aufgewachsen ist. Die erste Frage, die sie gestellt bekommt, wenn die Leute erfahren, dass sie Russin ist, lautet: „Wieso sprichst Du so gut Englisch und ganz ohne Akzent?” Es stimmt, dass die meisten Russen, die in Russland aufgewachsen sind, nicht so gut Englisch sprechen. Aber dann gibt es auch Menschen wie Mascha, die im Ausland leben und im Ausland zur Schule gegangen sind.
Die sinnvollere Frage wäre, wie sie es geschafft hat, Russisch zu verlernen!
Oh, Ksenia aus Hongkong wurde in den USA auch einmal gefragt, ob sie Russisch sprechen kann. Kein Kommentar.
Nachhilfe in Geografie wird offensichtlich nicht nur in Kanada, sondern auch in Belgien benötigt. Julia Butschatskaja, die dort lebt, sagt, dass sie häufig gefragt wird, wie oft sie nach Hause reist. Die Leute machen sich wirklich Sorgen, dass dies eine lange Reise sein muss. Wahrscheinlich muss sie erst den Zug nehmen, dann ein Schiff und zuletzt den Hundeschlitten. Dabei dauert der Flug von Brüssel nach Moskau nur 3,5 Stunden.
Die Amerikaner wissen, dass Russland durch den Ozean und Europa von den USA getrennt ist (oder nur durch den Ozean, je nachdem, von welcher Seite man schaut). Daher glauben einige, dass die Russen nicht mitbekommen, was in ihrer Heimat passiert. „Mein Onkel wurde einmal gefragt, ob er wisse, dass die UdSSR nicht mehr existiert. Sie dachten wohl, dass diese ,Kleinigkeit’ im Ausland an ihm vorübergegangen wäre“, lacht Mascha.
„Die Leute im Ausland fragen mich oft, ob es in Russland wirklich immer kalt ist”, erzählt Mascha. „Ich erkläre geduldig, dass dem nicht so ist, dass es durchaus heiße, manchmal sogar extrem heiße, Sommer gibt.”
Doch auch die Russen haben ihre Vorurteile: „Als ich in Australien gelebt habe, dachten sie in Russland, dass ich die ganze Zeit surfe und das ganze Jahr über Sommer habe… Doch in einigen Teilen Australiens (insbesondere Melbourne) gibt es Winter mit Schneefall, genauso wie es in Russland Sonnenschein und hohe Temperaturen gibt.”
Julia aus Belgien sagt, dass die Leute immer überrascht seien, dass sie Kälte nicht mag. „Wieso ist Dir schon kalt? Du bist doch Russin?”, fragen sie. Doch da es in Belgien viel feuchter ist, friert Julia tatsächlich die meiste Zeit.
Jedes Mal ärgert sich ein Russe aufs Neue, wenn ein Ausländer ihn mit seinen vermeintlich russischen Sprachkenntnissen beeindrucken will und als Trinkspruch „Na sdorowje” sagt. Warum ist das ärgerlich? Das erfahren Sie hier.
Julia kann bestätigen, dass die erste Frage, die ihr gestellt wird, wenn die Leute erfahren, dass sie Russin ist, lautet: „Was denkst Du über Putin”. Zudem sind ihre Mitmenschen sehr überrascht, dass sie keinen Wodka mag.
„Trinkt ihr jeden Tag Wodka?” Diese Frage muss Wasilina Gritsenko in Österreich sehr häufig beantworten.
Mensch, Leute! Wodka?! Glauben Sie wirklich, dass die Russen den ganzen Tag ununterbrochen Wodka trinken? Als ob Amerikaner nur Hamburger zum Frühstück, Mittag- und Abendessen essen würden… Ja, wir mögen Wodka und einige Amerikaner ernähren sich bestimmt wirklich schlecht…
Und als wir all diese Fragen gesammelt haben, haben wir ein oder zwei Gläser getrunken - Hicks - und unseren gezähmten Bären gedrückt.
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