Mein Vater ist ein Deutscher und meine Mutter ist Russin. Ich bin in Sibirien geboren, im Tjumenzewski Kreis der Region Altai. Die Eltern meines Vaters waren Wolgadeutsche, die infolge der zwanghaften Massenumsiedlung auf Stalins Befehl nach Sibirien umgezogen waren. Dort wurde mein Vater geboren. Er sprach fließend Deutsch. Durch die schwierige Kindheit in der Nachkriegszeit, die Universitätsjahre und den Wehrdienst entwickelte er allerdings eine Abneigung gegenüber Deutschland und den Deutschen. Er wollte nicht mehr Deutsch sprechen und kommunizierte nur auf Russisch.
Als die Russlanddeutschen in den 1990er begannen, nach Deutschland zurückzukehren, war mein Vater gegen den Umzug. Als meine Mutter jedoch mit denen sprach, die schon umgezogen waren, wurde ihr klar, dass es uns in Deutschland besser gehen würde. So kamen wir im Jahr 1995, als ich zehn Jahre alt war, nach Deutschland – in eine kleine bayerische Stadt Pocking im Landkreis Passau. Ich konnte kein Deutsch und in den ersten Jahren in Deutschland hatte ich es schwer. Aber ich lernte bald die Sprache und integrierte mich ins deutsche Leben.
In Russland nannte man mich einen Deutschen und in Deutschland fing man an, mich einen Russen zu nennen… So habe ich sehr früh verstanden, dass ich mich nicht verstellen und mich weder für den einen noch für den anderen ausgeben muss. Ich habe nie versucht, meinen Akzent zu verbergen, wie es viele gemacht haben.
Nach der Schule zog ich nach München und begann, Russisch langsam zu vergessen. Ich habe es erst wieder aufgefrischt, als ich meine russische Frau Sascha kennenlernte.
Meine Frau lernte ich während eines Urlaubs in Griechenland kennen. Alles passierte in einer Bar. Ich rettete sie von einem Mann, der gegen ihren Willen mit ihr flirtete. Das war für mich eine ganz normale Sache. Mein Vater ist ein sehr starker Mann und er brachte mir bei, mich zu benehmen.
Nachdem uns klar geworden war, dass wir zusammen bleiben wollen, versuchten wir erst in Russland zu leben. Aber für mich war es leichter, eine Stellung in Deutschland zu bekommen, und deshalb beschlossen wir, dorthin zu ziehen.
Unsere Hochzeit fand in einem kleinen russischen Dorf in Saschas Heimatstadt Achtjubinsk am Fluss Wolga statt. Als ich Kind war, verbrachte ich immer den Sommer bei meiner Großmutter im Dorf, deshalb mag ich diese Gegend sehr. Mir gefiel alles sehr gut und ich bedauere nur, dass es auf unserer Hochzeit keine Akkordeon-Musik gab. Ich habe jedoch Sascha versprochen, dass wir noch eine große Hochzeitsfeier in Deutschland organisieren werden.
Nach einem Jahr in Deutschland verstanden wir, dass Sascha dort verrückt wird. Zu Hause hocken und Kinder erziehen ist nichts für sie. Ich hatte längst davon geträumt, ein eigenes Unternehmen zu gründen und meinen Zeitplan selbst zu gestalten, um zum Beispiel mehr reisen zu können (es stellte sich jedoch heraus, dass mir das mein Zeitplan in meinem Unternehmen noch nicht erlaubt).
Wir wollten eine Konditorei in Deutschland eröffnen, aber Deutsche sind sehr konservativ. Sie brauchten ein halbes Jahr, um sich an die Cupcakes zu gewöhnen, und es dauerte gar ein ganzes Jahr, damit sie sich an Eclairs gewöhnen. Sie essen bis heute dieselben Brötchen, die ihre Großväter gegessen haben. Doch wir konnten nicht so lange warten. Sascha hatte sich seit fünf Jahren mit Süßwaren beschäftigt. In Moskau hatte sie einen eigenen Kreis an Kunden, für die sie Cupcakes auf Bestellung buk. So schien es logisch, nach Moskau zurückzukehren. Übrigens empfand ich den Umzug in die russische Hauptstadt als eine schöne Reise an einen neuen Ort und war einverstanden. So haben wir vor einem halben Jahr unser Café eröffnet, Lamm’s.
In Russland wurde ich sofort mit etwas konfrontiert, worauf ich nicht vorbereitet war, - die Bestechung. Es ist traurig, dass man in Russland auf solche Weise Geschäfte macht. Ist etwas verboten, dann gibst du Bestechungsgeld – und schon ist es erlaubt. Mir gefällt nicht, dass wir Steuern nicht für das Wohlergehen der Bürger zahlen, sondern dafür, dass sich jemand eine Jacht kaufen kann. Viele haben hier ein Schattengeschäft, in Europa ist das einfach unmöglich. Wir handeln nach den Gesetzen. Unsere Mitarbeiter sind alle offiziell angestellt. Unsere Dokumente sind in Ordnung. Deshalb kosten unsere Eclairs allerdings auch 280 Rubel (etwa 3,90 Euro) [der Durchschnittspreis für Eclairs in Moskau liegt bei 150-200 Rubel (2 – 2,80 Euro)].
Mein Vater dachte, dass Geschäfte in Russland bis heute so wie in den 1990er Jahren laufen. Er fragte mich sogar, ob „Kryscha“ („Dach“) schon in mein Café gekommen sei. [Als „Kryscha“ bezeichnete man in den 1990er Banden, die ein „Dach“ über ein Unternehmen machten – sie forderten Geld dafür, dass sie das Unternehmer vor anderen Kriminellen schützten.] So was ist aber Vergangenheit. Statt einem „Dach“ haben wir einen normalen offiziellen Sicherheitsdienst.
Zurzeit bin ich mit meinem Unternehmen so beschäftigt, dass ich nur mit wenigen Leuten in Moskau kommuniziere und wenig Freizeit habe. Wir verstehen uns gut mit Saschas Freunden. Allerdings hat sie wenig Zeit für sie, weil wir immer beschäftigt sind. Ich bin jedoch einem Kampfverein beigetreten. Vielleicht finde ich dort Freunde.
Sascha hat viel Positives in mein Leben gebracht: ich spreche mehr mit Menschen und jetzt gebe ich sogar Interviews. Sie hat mich offener gemacht. Dennoch finde ich im Großen und Ganzen, dass Russen verschlossener sind als Deutsche. Wenn man auf jemanden in Moskau zugeht und um Hilfe bittet, kann der Mensch Angst davor haben, dass man ihn betrügen oder berauben wolle. In München kommt das nicht vor.
Die russischen und deutschen Frauen unterscheiden sich sehr voneinander. Erstens finde ich, dass die russischen Frauen schöner sind, vielleicht gefiel mir Sascha deshalb sofort so gut. Ich habe jedoch nicht sofort erfahren, dass sie Russin ist. Zuerst haben wir eine halbe Stunde mit ihr Englisch gesprochen. Und zweitens gibt es Unterschiede in der Mentalität.
Ich kann es mir nicht einmal vorstellen, dass eine deutsche Frau meine Ehefrau und Mutter von meinen Kindern ist. Die deutschen Frauen sind meiner Ansicht in Bezug auf Männer etwas schwieriger. Ein Mann will doch das Oberhaupt der Familie sein. Und die deutschen Frauen benehmen sich wie Männer. Ich will niemanden beleidigen, denn auch in Moskau gibt es viele solcher Frauen. Aber ich habe eben meine eigene Vorstellung davon, wie eine Frau sein muss. Und dieser entsprechen die russischen Frauen besser. Ich konnte Sascha retten, als sie Hilfe brauchte. Eine Deutsche hätte wahrscheinlich selbst mit einer Flasche auf den Kopf des Angreifers gehauen – ich übertreibe natürlich [lacht].
Ich kann mir gut vorstellen, dass meine Kinder in Russland aufwachsen und wir eine Datscha haben werden. Aber so weit voraus plane ich gar nicht und Sascha unterstützt mich dabei. Zurzeit investieren wir unsere ganze Zeit und unser Geld in unser Geschäft. Aber wir tun alles dafür, damit unser Zeitplan in der Zukunft flexibler wird und wir die ganze Welt bereisen können. Wir werden am Ende immer zu Lamm’s zurückkehren.
Vor dem russischen Frost hatte ich keine Angst. Den habe ich schon als Kind erlebt. In Deutschland fuhr ich gern Ski. Im ersten Winter in Moskau wunderte ich mich darüber, wie viel Schnee es hier auf der Straße gibt. Es dauerte einige Zeit, mein Auto morgens vom Schnee zu befreien. Und wenn dir kalt ist, bedeutet das nur, dass du nicht passend gekleidet bist.
Es macht einen großen Spaß, im Zentrum Moskaus zu leben, aber die Hauptstadt unterscheidet sich sehr vom Rest Russlands. Es macht leider manchmal einen bedrückenden Eindruck – die Menschen verdienen sehr wenig und können nirgendwohin umziehen. Ich träume davon, dass sich die Lage zum Besseren wendet. Ich finde, man muss mit sich selbst anfangen. Und mit Lamm’s haben wir nach meiner Ansicht schon einen kleinen Schritt gemacht.
Ich habe mich an das Autofahren in Moskau gewöhnt: in München gibt es natürlich keine so verrückten Fahrer und unbequeme Einfahrten auf die Hauptstraßen. Die einzige Rettung vor Moskauer Staus sind für mich Hörbücher. Wer in Moskau Autofahren kann, kann es danach überall.
Zuerst brachte mich Sascha in verschiedene berühmte Restaurants und Bars und wollte mich damit überraschen. Das machte mir aber keinen Spaß, ich wollte etwas Russisches. Deshalb zeigte sie mir eine echte sowjetische Tscheburetschnaja. Dort war alles so toll, ich habe alles mit großem Interesse besichtigt – Menschen tranken Wodka an hohen Bartischen und aßen Tschebureki. Und dann kam ein Mann, schlug mit der Faust auf den Tisch und sagte: „Gedicht!“ Und er fing an, ein Gedicht zu rezitieren! Ich hatte zuerst das Gefühl, dass Sascha es absichtlich organisiert hatte. Aber nein, das ist einfach so passiert!
Wir haben dann alle russischen Restaurants besucht – Warenitschnaja, Grabli, Taras Bulba (dort serviert man ukrainische Küche aber sie ist der russischen sehr ähnlich), ich mag Teremok sehr. Ich lud Sascha in die Orte ein, wo sie noch nicht oder seit Studienzeiten nicht mehr war. Wenn meine ausländischen Freunde zu Besuch kommen, lade ich sie auch in solche Restaurants ein, und sie gefallen ihnen sehr.
Ich mag die Natur, vom Menschen unberührte Orte. In Russland gibt es viele solcher Gegenden. Mit Sascha machten wir eine Wanderung auf die Kola-Halbinsel. Für Sascha war das etwas Neues. Ich jedoch habe das immer gemocht und ich genoss die wilde Natur. Für mich war das einfach Wow! In Murmansk sind wir wie in die 1990er zurückversetzt worden. Wir waren in einer Kantine, wo die Arbeiter zu Mittag essen, - das war wie ein Ausflug in eine andere Welt! Ich will noch nach Altai und nach Tjumenzewo fahren, um Sascha zu zeigen, wo ich geboren bin. Dann will ich natürlich den Baikalsee, St. Petersburg und Wladiwostok besuchen – ich denke, das sind sehr interessante Orte.
Wie Willi das Leben seiner russischen Frau Sascha verändert hat:
„Willi hat mir beigebracht, dass ich vor nichts Angst haben muss. Das mag notorisch klingen aber diese sogenannte „Steinwand“, hinter der ich mich seit unserer Bekanntschaft befinde, wächst immer größer. Mit ihm ist alles einfacher geworden – er mildert meinen Perfektionismus und findet, dass man immer weitermachen und dem eigenen Weg folgen muss. Er mag sehr Bücher und Filme, in denen der Hauptheld, an den niemand glaubte, die Leiter trotz alledem hinaufklettert und letztendlich den Erfolg erreicht. Und so einen Helden sehe ich in Willi jeden Tag“.
Das Material wurde zusammengestellt von Alexandra Gusewa. Übersetzung aus dem Russischen.
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