Ich verabrede mich mit Alexander Malzew in einem Café in Moskau. Es ist nicht einfach, diesen weltweit bekannten Mann unter den Gästen zu finden. Erst, als ein zerbrechlich wirkender, blonder Junge mit braunen Augen, der gerade Hühnchen isst, mir mit einer einladenden Geste zuwinkt, entdecke ich ihn.
„Ich habe bereits bestellt, nach dem Training hatte ich keine Zeit zum Abendessen, ich war hungrig”, sagt er entschuldigend, was ihn noch zerbrechlicher erscheinen lässt. Ich bemerke einige Pickel in seinem Gesicht, was ihn jünger wirken lässt als er ist. Die kommen vom Kontakt mit dem Chlorwasser. Er sieht aus wie ein Schuljunge.
Wenn ich die Serviererin wäre, würde ich ihm keinen Alkohol verkaufen. Aber den würde Alexander Malzew sowieso nicht anrühren. Ein viermaliger Weltmeister trinkt nicht, auch wenn er schon 24 Jahre alt ist.
„Zuerst musste ich im Wasser geschmeidig werden. Es ging nicht nur ums schwimmen lernen, sondern auch um Stretching und Akrobatik. Ich war damals steif wie ein Brett”, erinnert sich Malzew an seine erste Synchronschwimmstunde in St. Petersburg. Er war erst sieben Jahre alt.
Es war eine Schnupperstunde. Seine Eltern wollten, dass er die Synchronschwimmschule besucht, um körperlich stärker zu werden. Eine andere Option war Eiskunstlauf, ein beliebter Sport unter Jungen. Doch dabei ist die Verletzungsgefahr viel höher.
Schon nach einem Jahr gab es die ersten Erfolge, erzählt Malzew sichtlich stolz. Ich schaue ihn ein wenig neidisch an. Ich habe erst im Alter von 23 Jahren schwimmen gelernt und das mit Schwimmflügeln. Er beherrschte bereits als Teenager Bewegungen wie sonst nur Olympiasieger.
Es dauerte also nicht lange, bis dieser begabte Schüler in die russische Nationalmannschaft berufen wurde. „Doch an Wettbewerben nahm ich nicht teil, denn es gab keine männliche Konkurrenz. Es bestand also keine Chance auf einen Medaillengewinn”, erinnert er sich.
Es gab zwar keine anderen Jungen, die ihm Konkurrenz machen konnten, doch auch die Mädchen beneideten ihn. Sie fragten sich, wie es sein könne, dass ein Junge flexibler ist als sie.
Trainer und Kampfrichter waren gegen seine Teilnahme an Wettbewerben. Viele sagten offen: „Alexander, Du bist hier falsch. Das ist nichts für Jungs”, erzählt er. Alexanders Gesicht bleibt dabei unbewegt, doch seine Fäuste hat er geballt.
Trainerin Gana Maximowa mit Alexander Malzew und Darina Walitowa
Grigori Sysojew/SputnikDer Synchronschwimmunterricht für Jungen wurde eingestellt. Alexander blieb jedoch zunächst in der Sportschule.
Als er 16 war, entschied sich der „falsche Ort“, ihn ein für alle Mal fallen zu lassen. „Ich musste eine andere Sportart finden, in der ich auch an Wettbewerben teilnehmen konnte, aber es gab keine für mich. Unter diesem Vorwand haben sie mich rausgeworfen”, so Malzew. Er will nicht mehr darüber nachdenken, wie er sich damals gefühlt hat.
Doch kurz vor seinem Rauswurf hatte er die Cheftrainerin der russischen Synchronschwimm-Nationalmannschaft Tatiana Pokrowskaja getroffen, die ihn weiter trainieren wollte.
„Jeder Sport ist für Männer und Frauen geeignet. Wenn dem nicht so ist, muss man etwas ändern”, ist Alexander überzeugt.
Bei der Artistic Swimming World Series 2015, bei der erstmals gemischte Paare beim Synchronschwimmen zugelassen wurden, änderte sich etwas. Malzew und seine Partnerin gewannen prompt Gold in der Kategorie Free Routine.
Pokrowskaja fehlten zunächst die Worte. Alles was sie sagen konnte war: „Willst du mich auf den Arm nehmen. Hurra!” Lauter als ihre Freudenschreie war nur der Applaus des Publikums.
„Alle waren überglücklich und drehten durch. In mir blieb nach diesem ersten Triumph jedoch auch ein Gefühl der Leere zurück”, erzählt Malzew.
Zudem tauchten im Internet negative Kommentare auf. „Ist das ein Mann? Bestickt er sein Kostüm selbst?” oder „Warum betreibt er keinen Männersport?” gehörten noch zu den harmloseren Bemerkungen.
Selbst jetzt noch, vier Jahre später und mit vielen Goldmedaillen von verschiedenen Welt- und Europameisterschaften im Gepäck, erhält er noch immer Hassnachrichten.
Auf die Frage, ob ihm die negativen Kommentare wehtun, antwortet Malzew ausweichend, aber brüsk: „Ich nehme nur konstruktive Kritik zur Kenntnis, nicht sinnlose Beleidigungen. Ich habe kein Interesse an dieser Gesellschaftsschicht, viele wissen nicht, wovon sie sprechen.”
Sein letztes Gold gewann Alexander mit seiner Partnerin Maja Gurbanberdijewa Ende Juli bei den Weltmeisterschaften im südkoreanischen Gwangju. Aber das ultimative Ziel in der weiblich dominierten Sportart sind für ihn die Olympischen Spiele.
Die Dinge bewegen sich in die richtige Richtung. Der Internationale Schwimmverband hat endlich versprochen, dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu empfehlen, bei den Olympischen Spielen 2024 gemischte Duette im Synchronschwimmen zuzulassen.
„Olympia hat für mich höchste Priorität. Ich hoffe wirklich, dass das IOC zustimmt. Andernfalls schadet dies der Entwicklung des Sports”, ist Malzew überzeugt.
Im Moment hat er zwei Monate Pause, bevor er sich wieder auf den nächsten Wettkampf vorbereitet. Malzew weiß noch nicht, wie er die freie Zeit verbringen wird. Nur Reisepläne hat er definitiv keine: „Ich bin bereits im letzten Jahr viel zu viel geflogen”, seufzt er.
Erst jetzt fallen mir seine dunklen Augenringe auf. Er sieht erschöpft aus. Sport ist immer noch in erster Linie harte Arbeit, auch wenn er theatralisch inszeniert ist und einer Choreographie folgt wie Synchronschwimmen.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!