Worku Bedasso: „Die Metro ist ein Teil von mir. Oben gibt es nichts, was ich noch nicht gesehen hätte.”
Worku Bedasso ist ein großer Mann, er lacht viel und ist eine Legende der Moskauer Metro. Fragt man ihn, wie er U-Bahn-Fahrer wurde, antwortet er: „Es ist einfach passiert.”
Zu Sowjetzeiten kam Bedasso 1985 als junger Leutnant der äthiopischen Marine im Rahmen eines Austauschprogrammes zum Studium in die UdSSR. Erst studierte er in Georgien, dann in Aserbaidschan. Während er sich an der Universität mit dem Sozialismus beschäftigte, versank sein Heimatland im Bürgerkrieg. Für ihn war danach in Äthiopien kein Platz mehr beim Militär. Seine Frau und seine Kinder blieben jedoch dort, sie wollten nicht in die Sowjetunion.
Nur wenig später war auch die Sowjetunion Geschichte und alle ausländischen Studenten in Baku wurden nach Moskau geschickt. Dort wurde Bedasso als Flüchtling anerkannt und bekam eine Arbeitserlaubnis.
Die Wirtschaftskrise war auf dem Höhepunkt und es war schwierig, Arbeit zu finden. Seine russische Freundin Olga empfahl ihm, sich bei der Metro zu bewerben. Nach sechs Monaten Ausbildung wurde der ehemalige Leutnant U-Bahn-Fahrer-Assistent. „Das erste Mal fühlte sich seltsam und sogar beängstigend an", erinnert sich Bedasso. „Aber ein militärischer Hintergrund hilft. Ein U-Bahn-Fahrer muss stressresistent und diszipliniert sein und bereit, hart zu arbeiten wie in der Armee.”
Neben dem Beruf startete er ein Studium der Ingenieurwissenschaften an der Hochschule der Eisenbahn (MIIT), doch nebenberuflich zu studieren, erwies sich als zu große Belastung, so dass Bedasso das Studium 1999 aufgab. Er arbeitete danach für ein Logistikunternehmen in Moskau und Sotschi. In der Zwischenzeit hat er Olga geheiratet und bekam einen russischen Pass. 2010 kehrte er zurück zur Moskauer Metro. Er musste erst wieder als Fahrer-Assistent anfangen und arbeitete sich zum Fahrer der Kategorie 1 hoch.
Bedasso ist mit seinem Leben sehr zufrieden: „Lokführer zu sein macht Spaß und ist gut bezahlt.” Obwohl er schon so lange fährt, hatte er noch keinen Unfall. Das nennt er Glück. Er ist nun 62 Jahre alt und überlegt, vom Fahrdienst in einen anderen Beruf bei der Metro zu wechseln. „Wenn man jung ist, spürt man die Arbeitsbelastung nicht so sehr, aber in meinem Alter wird es ein bisschen schwieriger”, gesteht er. Doch ein Leben ganz ohne Metro kann er sich nicht vorstellen. Vielleicht wird er im Depot arbeiten. „Oben habe ich schon alles gesehen, was es zu sehen gibt”, sagt er.
Anton Chlynin: „Dostojewski und Züge sind meine beiden Leidenschaften.”
Er studierte russische Sprache und Literatur an der Moskauer Staatsuniversität und wollte sogar promovieren. Doch dann wurde ihm klar, dass das nicht das Richtige für ihn ist. Anton Chlynin sieht auf den ersten Blick sehr seriös aus. Doch wenn er sich umdreht, kann man einen langen Zopf unter seiner Uniform entdecken.
„An der Universität hatte ich ein Forschungsthema, das ich sehr interessant fand - die Wahrnehmung von Dostojewskis Werk in Skandinavien", sagt Anton. „Er gilt dort als bedeutender Schriftsteller. Mit großer Motivation begann ich mit meiner Promotionsschrift, doch dann musste ich feststellen, dass es bereits eine Arbeit zu diesem Thema gab. Ich war sehr enttäuscht”, erzählt Anton Chlynin. Er interessiert sich zwar noch immer für Literatur, doch der Wissenschaft hat er den Rücken gekehrt. Heute schreibt er nur noch Artikel über Eisenbahnen. 2007 hat er sich einen Kindheitsraum erfüllt und wurde Lokführer.
„Seit meinem fünften Lebensjahr bin ich ein Eisenbahn-Fan. Eine Lokomotive auf den Gleisen ist meine erste Kindheitserinnerung.” Nun ist er 40 Jahre alt und hat sich vor Kurzem zum Fahrer der Kategorie 2 qualifiziert. Bei einer Ausschreibung belegte er einen der ersten drei Plätze. Anders als Bedasso hat Chlynin durchaus schon Notfallsituationen erlebt: „An der Station Park Pobedy ist einmal ein Fahrgast auf die Gleise gestürzt. Ich konnte noch rechtzeitig bremsen. Und dann gibt es noch junge Leute, die sich aus purer Abenteuerlust auf die Gleise stellen”, erzählt er verständnislos. „Als ich ein Kind war, war ich Mitglied eines Modelleisenbahnclubs und später einer literarischen Gesellschaft. Ich hatte viel zu tun. Diese jungen Leute hingegen scheinen zu viel Zeit zu haben.”
Doch seinen Wechsel von der Wissenschaft auf die Schiene bereut er nicht. Anfangs träumte er sogar vom Zugfahren. „Da war im Traum dann ein rotes Licht oder ein ausfahrender Zug. Aber inzwischen schlafe ich ganz normal”, berichtet Chlynin. Auf die Frage, ob ihm die Literaturkenntnisse bei seiner Arbeit helfen, antwortet er philosophisch: „Mein Bildungsniveau hilft mir allgemein in meinem Leben. Und Arbeit gehört zum Leben.“
Wadim Kalugin: „Ich befördere bis zu 2.000 Personen zur Rush Hour”
Wenn man sich diesen großen und jung aussehenden Mann betrachtet, kann man kaum glauben, vor einem der dienstältesten Fahrer der Moskauer Metro zu stehen. Wadim Kalugin ist 55 Jahre alt und hat den größten Teil seines Lebens im Untergrund auf der Schiene verbracht. Er ist Fahrer der Kategorie 1.
Seine Schwiegermutter riet ihm nach dem Militärdienst, sich bei der Moskauer Metro zu bewerben. „Sie selbst hat in der Flugzeugindustrie gearbeitet und wusste, was verantwortungsvolles Arbeiten bedeutet. Und sie mochte die Uniform der U-Bahn-Fahrer”, erzählt Kalugin. „Manchmal werden wir auch als Untergrundpiloten bezeichnet”, erzählt er. Doch er fügt gleich hinzu: „Piloten befördern in einem Flugzeug nur 300 Passagiere. Ich fahre während der Hauptverkehrszeit mehr als 2.000 Leute. Wir haben noch mehr Verantwortung.”
Für Kalugin ist die Moskauer U-Bahn nicht nur die schönste, sondern auch die zuverlässigste der Welt. „Selbst in den neunziger Jahren, während der Wirtschaftskrise, als viele Menschen ihren Lohn nicht erhielten, wurden wir U-Bahn-Fahrer immer pünktlich bezahlt und auch die Züge fuhren pünktlich. Wenn die U-Bahn mal stillstehen sollte, wird ganz Moskau stillstehen.”
Kalugin betont, dass es wichtig sei, sich genaustens an die Vorschriften zu halten. „In der U-Bahn passiert alles blitzschnell! Der Fahrer darf keinen Fehler machen. In 34 Berufsjahren habe ich noch keinen einzigen Verweis bekommen”, berichtet er stolz. Im nächsten Jahr wird er dennoch in Rente gehen.