Eine 22-jährige Blondine betritt den kleinen Raum, der wie ein Hinterzimmer aussieht. Sie zieht ihre Daunenjacke aus. Ihr fröstelt. Sie trägt ein dünnes weißes Kleid mit freien Schultern – es ist Dezember und draußen ist es kalt.
„Nun, wo ist Ihr Verlobter, machen Sie schneller!“, knurrt die Standesbeamtin. Die Braut achtet nicht auf sie. In ihrer Faust presst sie die schlichten Goldringe, die sie von ihrem eigenen Geld gekauft hat.
Als ein Strafvollzugsbeamter einen großen Blonden hereinführt und seine Handschellen abnimmt, verliert sie ihre Stimme. Zum ersten Mal sieht sie ihren Verlobten nicht in Gefängniskleidung, sondern in einem schwarzen Anzug und Krawatte.
Die Hochzeit der jungen Druckerei-Mitarbeiterin und des Diebes, der zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wurde, fand in einem Hinterzimmer der Strafkolonie von Woronesch statt. Die Brautleute sind ohne Verwandte oder Freunde erschienen.
„Es war mir egal, dass es in der Strafkolonie stattfand und meine Mutter nicht dabei war. Ich liebte ihn und alles andere war unwichtig. Wir waren so glücklich wie Narren“, erinnert sich Anastasia an ihre Hochzeit.
Wladimir, ihr frisch gebackener Ehemann, wurde für den Termin für drei Tage entlassen. In einem Raum mit nackten Wänden, einem alten quietschenden Bett und Einbauküche (so sehen Räume für solche Stelldicheins in russischen Strafkolonien aus – Anm. des Red.) verbrachten sie ihre erste Hochzeitsnacht.
„Glücklicher“ Zufall
Wladimir und Anastasia wurden durch das Schicksal zusammengeführt. Oder durch eine Unachtsamkeit. Der 19-Jährige rief seinen Freund an (er bestach die Gefängnisverwaltung und bekam Zugang zum Telefon), wählte aber eine falsche Nummer und hörte die Stimme einer netten Frau.
„Ich mochte seinen Bariton, also legte ich nicht gleich auf. Ich erinnere mich, dass wir mitten in der Nacht miteinander gesprochen haben“, erzählt Anastasia.
Dass Gefangener in einem Straflager war, störte die junge Frau dabei nicht. Er verheimlichte es ihr nicht und erläuterte sofort seine Situation: Er war von seinem besten Freund reingelegt worden, der ebenfalls wegen Diebstahls angeklagt worden war. Na, der Typ ist jung – jeder kann mal einen Fehler machen, entschied Anastasia.
Einen Monat nach dem ersten Anruf kam Anastasia aus Moskau zu einem kurzen Treffen in die Woronescher Strafkolonie. Sie sah den jungen Mann durch das Glas und erkannte, dass sie Recht hatte.
„Bald war meine ganze Wohnung voll von seinen Briefen. Er schrieb, wie sehr er mich liebte und er konnte es kaum erwarten, mich zu sehen. Er schickte mir schöne Postkarten und malte sogar meine Portraits. Damals schien das der Höhepunkt der Romantik zu sein“, erinnert sich Anastasia.
Er bat nie darum, etwas geschickt zu bekommen, aber Anastasia verwöhnt den Mann immer mit teurem Käse, Würsten, Tee und Zigaretten.
Ein Jahr später heiratet das Paar und anderthalb Jahre nach seiner Entlassung zogen sie zusammen nach Moskau, um ein neues Leben zu beginnen.
Eine Sommerromanze
Frauen wie Anastasia werden im Gefängnisjargon Schnuggel oder Schdulki (Knastbraut) genannt. Es gibt noch einen anderen Frauentyp – die saotschniza (von saotschno – fern). Während Anastasia zufällig ihren Mann traf, suchen die saotschnizy im Internet gezielt nach inhaftierten Männern. Zu diesem Zweck gibt es im beliebten russischen sozialen Netzwerk VKontakte mindestens zehn Communitys, in denen Gefangene Inserate für Frauen veröffentlichen. Natalia, eine 19-jährige Studentin der Pädagogischen Hochschule, reagierte auf eines dieser Inserate.
„Ich habe schon immer ältere Männer gemocht. Und Gefängniskluft hat mich schon immer angemacht. Ich weiß nicht, vielleicht, weil mein Vater auch eingesessen hat“, erklärt Natalia.
Ihr 45-jähriger Geliebter hat oft andere Gefangene an die Gefängnisverwaltung verpfiffen, und bekam dafür manchmal Ausgang. Ihr erstes Treffen endete mit Sex in einer verlassenen Scheune in der Nähe der Strafkolonie.
Natalia brachte ihm nie etwas mit, dafür bewirtete er sie manchmal mit Eis und Zigaretten und erklärte ihr dabei die Gefängnisregeln. Er sprach nicht gerne über seine Verbrechen.
Ihre Beziehung dauerte einen Sommer lang. Am Ende des Sommers erhielt sie eine SMS von einer unbekannten Nummer, in der stand, dass er bereits entlassen worden sei, was seltsam erschien – er hatte ihr gesagt, dass er noch mindestens zwei oder drei Jahre abzusitzen habe. In der Nachricht stand auch, unter welcher Adresse er zu finden sei. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine alte Einzimmerwohnung in einem fünfstöckigen Haus handelte.
„An seiner Stelle war da ein anderer Mann. Es stellte sich heraus, dass auf meinen Geliebten draußen seine Frau wartete, und als er entlassen wurde, überließ er meine Nummer einem seiner Zellengenossen. Ich hatte große Angst, aber ich konnte ihn überreden und er ließ mich gehen. Nur gut, dass in der Wohnung nur er war und nicht eine ganze Gruppe Männer“, erinnert sich Natalia.
Seitdem vertraut sie keinem Gefangenen mehr und besucht auch nicht die einschlägigen Communitys in den sozialen Netzwerken – sie sagt, die Häftlinge sind sowieso nur scharf auf Sex und nicht fähig zu Liebe und Selbstentfaltung.
Mitleid und die Illusion des Schutzes
Viele Frauen seien anfällig für Mitgefühl, sagt der Psychologe Sergej Simakow.
„Kaum jemand bedauert Häftlinge und diese Rolle wird von diesen Frauen übernommen. Vielleicht ist er ja reingelegt worden oder hat die Schuld auf sich genommen, um seine Kameraden zu schützen? Dann ist er ein guter Mensch, und muss unterstützt und angehört werden“, sagt der Psychologe.
Gleichzeitig haben einige Frauen Gefallen an der Manifestation männlicher Macht, Willensstärke, und Dominanz.
„Das weiblichen Ideal eines echten Mannes ist oft immer noch durch Aggression und Gewalt geprägt. Solche Männer erzeugen den Anschein von Schutz, aber in Wirklichkeit ist das nur Fassade“, sagt Simakow.
Im Teufelskreis
Auch bei Anastasia und Wladimir hat es nicht geklappt. „Er versprach, einen Job zu finden, aber fast niemand stellt Vorbestrafte ein. Bald darauf nahm er Kontakt zu seinen Freund auf, der ihn reingelegt hatte und fing an zu stehlen. Er lebte auf meine Kosten“, beschwerte sich Anastasia. Damals absolvierte sie selbst eine juristische Ausbildung. Ein Jahr später kam Wladimir wegen eines weiteren Diebstahls für zwei Jahre ins Gefängnis.
Anastasia wartete wieder auf ihn – sie liebte ihn zu sehr. Aber sobald er freigelassen worden war und wieder zu stehlen begann, beschloss sie, die Scheidung einzureichen. Es war ihm egal.
„Ich hatte bereits als Anwalt gearbeitet und wechselte in die Immobilienbranche. Er hatte sich in keiner Weise entwickelt und bewegte sich in einem Teufelskreis“, fasst Anastasia ihre Beziehung zusammen.