Zeit ist Geld: Warum haben russische Züge nie Verspätung?

Dmitri Serebrjakow/TASS
In Russland müssen Sie sich über die Pünktlichkeit des Bahnverkehrs keine Sorgen machen. Doch was bedeutet pünktlich eigentlich?

Wenn Sie schon einmal in Moskau waren, haben Sie vielleicht mitbekommen, wie sehr die Einheimischen die Effizienz ihrer U-Bahn schätzen. Oft hört man: „Es ist viel Verkehr. Da lasse ich das Auto lieber stehen und fahre mit der U-Bahn. Da gibt es keinen Stau.” Es ist eine erwiesene Tatsache, dass die U-Bahnen wirklich großartig und zuverlässig sind - aber was ist mit den oberirdischen Zügen?

„Russische Eisenbahnen sind so genau wie Schweizer Uhren, schreibt (eng) Dmitri aus der russischen Stadt Koroljow auf „Tripadvisor“.

Diese Einschätzung teilen nicht nur Russen. Erwann aus Frankreich reist häufig durch Russland und liebt es, mit dem Zug zu fahren: „Ich bin wirklich erstaunt über die Pünktlichkeit der russischen Eisenbahnen. In Frankreich beklagen sich ständig alle über Verspätungen von Nahverkehrszügen. Selbst wenn es sich nur um eine 20-minütige Fahrt handelt, wird sie wahrscheinlich Verspätung haben. In Russland bin ich vor ein paar Wochen mit dem Zug nach Sibirien gefahren. Meine erste Station war Nowosibirsk. Ich verbrachte 51 Stunden im Zug, um dort anzukommen, doch der Zug war auf die Minute pünktlich. Und das ist auch im Winter so, wenn überall Schnee liegt.” 

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Pünktlichkeit 98 Prozent 

Laut dem Pressedienst der Russischen Eisenbahnen beförderte die größte Eisenbahngesellschaft des Landes im Jahr 2018 1,16 Milliarden Passagiere, davon 110 Millionen im Fernverkehr und 1,045 Milliarden in S-Bahnen. Täglich verkehren mehr als 6 000 Personenzüge in ganz Russland. Wie Statistiken belegen, scheint das beeindruckend positive Feedback seine Berechtigung zu haben.  

Sogar die Russische Eisenbahn selbst kann sich rühmen, dass derzeit mehr als 98 Prozent der Züge pünktlich am Ziel ankommen.

Wenn man Russland mit anderen Ländern vergleicht, fällt einem vielleicht ein kleines Problem auf. Jedes Land hat seine eigene Definition von Pünktlichkeit. In Russland gilt ein Zug als verspätet, wenn er mehr als fünf Minuten nach der im Fahrplan angegebenen Zeit am Bahnhof ankommt. Dies ist ähnlich wie in Großbritannien zum Beispiel, aber in anderen Ländern, zum Beispiel der Schweiz, gelten bereits drei Minuten als Verspätung. In den USA hingegen sind nicht mal zehn Minuten ein Zuspätkommen, berichtet (eng) die BBC.  

„Der Fahrplan ist heilig!”

Wie schaffen es russische Züge, immer pünktlich zu sein? Die genaue Einhaltung des Fahrplans hat laut unserer anonymen Quelle, die als Lokführer für die Russische Eisenbahn und die Central Suburban Passenger Company gearbeitet hat, oberste Priorität in der Branche. 

„Wenn der Zug doch einmal Verspätung hat, muss der Lokführer alles tun, um diese wieder aufzuholen”, sagt er. „Das passiert oft. Dann fahren sie einfach mit Höchstgeschwindigkeit. Kommen Sie dennoch nicht pünktlich an, müssen Sie sich beim Management rechtfertigen. Wenn sich herausstellt, dass man alles getan hat, um die Verspätung zu vermeiden und nicht dafür verantwortlich ist, hat man keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten.” 

Das System ist darauf ausgerichtet, Verzögerungen auf ein Minimum zu reduzieren. Automatische Verkehrssteuerungssysteme kontrollieren ununterbrochen jeden Teil der Eisenbahn. Auf einer seiner früheren Strecken, Moskau - St. Petersburg, überwachten mindestens vier Fahrdienstleiter ihre eigenen Streckenabschnitte. Sie hatten noch einen Vorgesetzten. Ihre Arbeitszeiten waren in Zwölf-Stunden-Schichten von 8 bis 20 Uhr und von 20 bis 8 Uhr aufgeteilt. 

„Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern gilt der Fahrplan in Russland als heilig. Wenn ein Personenzug verspätet ist, wird im Idealfall die Strecke für ihn frei gemacht. Güterzüge müssen dann warten”, erklärt er. „Oft kommen Züge auf internationalen Strecken von Europa nach Russland bereits verspätet im Land an und es ist dann Aufgabe der russischen Triebfahrzeugführer, die verlorene Zeit aufzuholen. Die internationalen Strecken überwacht der Präsident der Russischen Eisenbahnen selbst.” 

Die Einhaltung des Fahrplans ist die Grundlage für das gesamte Schienenverkehrssystem im ganzen Land - und für die Russischen Eisenbahnen ist Zeit Geld. Das Unternehmen ist verpflichtet, Fahrgästen eine Entschädigung zu zahlen, wenn ihr Zug verspätet ist - drei Prozent des Fahrpreises für jede Stunde Verspätung und einen gesonderten höheren Satz für Hochgeschwindigkeitszüge. Bei „Sapsan“-  oder „Allegro“-Zügen kann man eine Entschädigung von 25 Prozent, bei einer Fahrt mit dem „Newski Express“ oder „Strisch“ sogar 50 Prozent verlangen.

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