Die Russen scheinen ein besonderes Interesse an ihrer Geschichte zu haben. Viele sind überzeugt, dass diese zum Teil erfunden sei und in Wahrheit viel komplizierter und geheimnisvoller.
Auf einer Hausparty, im Zugabteil, in der Mittagspause oder im Gespräch mit einem Nachbarn: Als Historiker bekommt man häufig alle möglichen seltsamen Fragen gestellt. Die Leute glauben, dass ein Historiker es schließlich wissen müsse. Zugleich unterstellen sie ihm aber weiterhin, die Wahrheit zu verdrehen.
Wir haben historisch bewanderte Freunde, Stadtführer und Wissenschaftler befragt, welches die seltsamste Frage war, die man ihnen während der Arbeit, oder auch nach Feierabend, gestellt hat.
Dies ist eine der häufigsten Fragen, die gestellt wird. Die meisten Russen halten die tatarisch-mongolische Invasion immer noch für etwas Schändliches und betrachten sie als Niederlage für Russland.
Dabei vergessen sie, dass es Russland ohne die tatarisch-mongolische Invasion so gar nicht geben würde. Es war ein in kleine Fürstentümer aufgeteiltes Land und zerstritten.
Erst durch die Invasion einte es sich, um besser Widerstand leisten zu können.
Wenn Sie Ihren Hund „Stalin“ genannt haben und er den Blumentopf ausräumt, dann war Ihr Stalin böse.
Eine historische Figur in eine solche Kategorie einzuteilen, ist weitaus schwieriger. Nikolaus II., der desinteressiert die Leben russischer Soldaten im russisch-japanischen Krieg sowie im Ersten Weltkrieg großzügig opferte, um später die Macht den Bolschewiki zu überlassen, galt als charmanter Mann.
Peter der Große hingegen, der Russland vor schwedischen und polnischen Invasoren bewahrte und es zu einer Supermacht aufbaute, hatte dagegen ein unangenehmes Temperament und schlechte Manieren.
Anatoli Fomenko und Gleb Nosowski waren Mathematiker und Schöpfer der sogenannten Theorie „Neue Chronologie“, die besagt, dass alle Ereignisse der Weltgeschichte vor dem 18. Jahrhundert fiktiv seien. Tatsächlich habe sich alles anders abgespielt. Die umstrittene Theorie wurde von russischen Historikern erfolgreich als unwissenschaftlicher Unsinn widerlegt, hat aber immer noch viele Anhänger unter einfachen Leuten.
Das ist eine unzüchtige Geschichte, die von einem der Feinde von Grigori Rasputin verbreitet wurde. Das Gerücht, dass Grigori eine Affäre mit der Kaiserin hat, hält sich hartnäckig.
Noch empörender ist jedoch die Geschichte, dass sein Penis irgendwo in Russland in Formalin aufbewahrt wird. Ich musste mich einmal gegen eine Freundin wehren, die mir ein angebliches Beweisfoto zeigte. Den Gegenstand darauf hielt ich jedoch für eine Seegurke. Daraufhin beschuldigte Sie mich wütend, meine eigene Geschichte zu leugnen.
Die Antwort „Ich weiß es nicht“ führt normalerweise dazu, dass man als historisch unwissend abqualifiziert wird. Und es ist sinnlos, zu erklären, dass niemand die Geschichte im Nachhinein neu schreiben kann. Es würden weiterhin solche Fragen gestellt werden.
Was wäre zum Beispiel, wenn die Monarchie im Russischen Reich überlebt hätte? In diesem Fall würden die Teilnehmer an Führungen in jedem Falle fragen: Was wäre, wenn die Monarchie im Russischen Reich nicht überlebt hätte?
Leider sah die sowjetische Schulbildung die Geschichte größtenteils als Aufzählung von Daten, die auswendig gelernt werden mussten, um die Tests zu bestehen.
Und es hat keinen Sinn, den Leuten zu sagen, dass man sich sehr gut merken kann, dass der Aufstand der Dekabristen im Dezember war, denn hätte er im Sommer stattgefunden, hätte er vermutlich eine andere Bezeichnung erhalten. Sie sind überzeugt, man hätte alles auswendig gelernt.
Diese Frage kann wahrscheinlich nur Katharina die Große selbst mit absoluter Genauigkeit beantworten. Das ginge womöglich jeder Frau so.
Aber russische Frauen (die diese Frage am meisten stellen) sind offenbar überzeugt, dass Katharina die Große gewissermaßen als eine Versuchsperson in einem Laborkäfig lebte, wo ein Aufseher jede Kopulation notierte. Lediglich die bösen Historiker würden verhindern, dass die Wahrheit ans Licht käme…
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