Improvisationstalent gefragt: Der verrückte Alltag in Russlands abgelegensten Gegenden

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JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Einige Bewohner des größten Landes der Erde müssen sehr kreative Lösungen für alltägliche Aktivitäten finden. Das Leben in den abgelegenen Regionen Russlands ist eine Herausforderung.

14 Stunden mit Pferd und Traktor zur Prüfung 

Katja Gotowzewa wurde im Dorf Dygdal in der Republik Sacha geboren und wuchs auch dort auf, 125 Kilometer vom nächsten regionalen Zentrum entfernt. Die Schulabschlussprüfungen in Fremdsprachen können jedoch nur in solchen Zentren abgelegt werden. Dies ist ein Problem für Menschen wie Katja. Denn wenn der Frühling kommt, werden die Straßen aufgrund von Überschwemmungen einfach weggespült.

Aber das hielt Katja nicht auf. Sie plante zusammen mit ihrem Vater die Anreise zur Prüfung.  Die Schülerin ritt erst mit dem Pferd ins Nachbardorf und mit dem Traktor ging es weiter zur nächsten Siedlung. Dort wechselte sie aufs Auto. 

„Wir waren noch kaum aus dem Dorf, als mein Pferd Orlik unruhig wurde. Es schien Angst zu haben. Es rannte in den Wald, stieg hoch und hätte mich dabei mehrfach fast abgeworfen. Plötzlich brach das Pferd aus und galoppierte in den dichten Wald, über trockene Äste und durch die Büsche. Ich schaffte es gerade noch, meinem Vater einen hilfesuchenden Blick zuzuwerfen. Er sollte mich vor dem verrückten Pferd retten. Doch er stand nur still und sehr besorgt dort. Er wusste, dass jedes Eingreifen die Situation nur schlimmer gemacht hätte“, erinnert sich Katja.   

Ihr Gesicht wurde zerkratzt, sie verlor ihre rosafarbene Baseballkappe. Ihre Nase blutete. Aber sie hielt die Zügel weiter ganz fest und nach kurzer Zeit beruhigte sich das Pferd. Die nächsten sieben Stunden verliefen ohne Zwischenfälle.

Ein Traktor mit einem Anhänger wartete am Ziel bereits auf sie. Dort traf Katja auch auf andere Schüler auf dem Weg zur Prüfung. „Wieder waren wir etwa sieben Stunden unterwegs. Es war sehr dunkel und kalt, wir haben versucht, etwas Schlaf zu bekommen, hatten aber nicht viel Erfolg“, erzählt Katja. Im nächsten Dorf, dass sie erreichten, übernachtete Katja. Am folgenden Morgen brachte sie ein Auto zur Prüfung. „Beim Essen, als ich ein wenig peinlich berührt vor meinem Teller mit Kartoffelpüree und Fleischbällchen saß, wollten die Lehrer alles über meine Reise erfahren. Sie waren schockiert.“ 

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Benzin einmal im Jahr und in Gefahr, gefressen zu werden 

Die 690 Einwohner von Dikson - Russlands nördlichstem Dorf - leben fast das ganze Jahr in der Kälte. Im Sommer steigt die Temperatur im Durchschnitt auf + 5,5 °C, im Winter liegt sie bei - 48 °C. Dort bewegt man sich fast das ganze Jahr über mit dem Schneemobil fort. 

Die Siedlung, die nach einem beliebten Lied aus der Sowjetzeit von Einheimischen als „Hauptstadt der Arktis“ bezeichnet wird, ist vom Rest Russlands so isoliert, dass es nur einmal pro Jahr eine Kraftstofflieferung gibt. Sie kommt mit dem Schiff an. Die nächste Tankstelle, die diesen Namen verdient, liegt 500 Kilometer entfernt. Jedoch gibt es keine Straßen, um dorthin zu gelangen. „Private PKW sind hier eine große Seltenheit. Die Leute fahren meistens Schneemobile und Motorboote. Wir bestellen in der Schifffahrtsaison rund ein bis zwei Tonnen Kraftstoff. Das reicht für ein Jahr“, sagt Alexander Anisimow. 

Die Internetverbindung in Dikson ist sehr schlecht. Das Laden von Bildern kann bis zu zwei Stunden dauern.  

Die Dorfbewohner werden ständig von Wildtieren bedroht. Da es in Dikson nahezu keine Verbrechen gibt, patrouilliert die Polizei zum Schutz vor gefährlichen Tieren im Dorf. „Wir haben hier sowohl Wölfe als auch Bären. Sie können unerwartet hinter Häusern hervorkommen oder manchmal kommen sie auch aus den Häusern raus“, berichtet Michail Degtjarew. Überall in der Stadt gibt es Warnungen, die Bären nicht zu füttern und auch niemals Fotos mit ihnen zu machen.

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Telefon auf dem Dach 

Kusur ist das am schwersten erreichbare Dorf in Dagestan. Es liegt hoch in den Bergen und es gibt nur eine Straße, die dorthin führt. Von der Hauptstadt Machatschkala aus sind es sieben Stunden Fahrt. In der Nähe des Dorfes Muchach, am Fuße des Kamms des Großen Kaukasus, endet die Straße. Was folgt, ist ein gefährlicher Bergweg. Bis Kusur sind es 15 Kilometer.  

Im Sommer sind etwa sieben oder acht Häuser im Dorf bewohnt. Wer die Möglichkeit hat, verlässt das Dorf im Winter. Bis zum Nachbarort Dschinych sind 20 Kilometer auf dem gefrorenen Fluss auf Skiern zu bewältigen. 

Der einzige moderne zivilisatorische Standard, den das Dorf zu bieten hat, ist ein Münztelefon. Selbst anrufen kann man davon nicht, aber Sie können Anrufe entgegennehmen. Der erste Dorfbewohner, der das Klingeln hört, nimmt den Hörer ab und sucht den gewünschten Gesprächspartner. 

Allerdings gibt es im Dorf Mobiltelefone. Empfang hat man jedoch nur an einem Haus in der Nähe des Gipfels, wo man im Bereich des Funkmastes ist. Das Telefon wird mit einer selbstgebauten Vorrichtung an der Hauswand befestigt. Genau an dieser Stelle ist das Signal am stärksten. Die Nummer wird gewählt, ohne das Gerät zu bewegen. 

Internet auf dem Feld 

Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie ähnelt das Leben in bestimmten abgelegenen Regionen Russlands einem Abenteuerspiel. Die Kinder in der Region verabscheuen den Fernunterricht. 

Schüler im Dorf Prikamje müssen beispielsweise stundenlang auf Dächern sitzen, um mit dem Internet verbunden zu bleiben. „Ich klettere auf das Dach, um meine Hausaufgaben einzusenden und Dateien herunterzuladen. Ich stehe eine Stunde da. Wenn man eine Pause macht, muss man ganz von vorne mit dem Download beginnen“, klagt Amina Kasarinowa.

In Baschkortostan im Dorf Kulmetjewo haben die Schüler nur auf einem Pfad mitten durch ein Feld eine Internetverbindung. Man benötigt ein Auto, um dorthin zu gelangen, erzählt ein Einheimischer: „In einem Fahrzeug sitzen vier Schüler, die ihre Schularbeiten erledigen. Einige am Smartphone, andere am Laptop.“