Einzigartiges Erlebnis: Warum fliegt man von Moskau nach Moskau?

Michail Dschaparidse/TASS
Zweihundert Russen aus dem ganzen Land haben sich auf einen 90-minütigen Rundflug über Moskau begeben und eine Auszeit von der Pandemie genommen.

Makar, ein 26-jähriger Polizist, lebt in der kleinen Stadt Schelesnogorsk-Ilimski, fast 1.000 km von Irkutsk entfernt. Am frühen Morgen des 18. Dezember, während eines zweiwöchigen Urlaubs, setzte er sich in sein Auto und erreichte 14 Stunden später am Abend den Flughafen Irkutsk. Ein Flug zum Moskauer Flughafen Scheremetjewo dauerte weitere sechseinhalb Stunden. Nach einem kurzen Nickerchen machte er sich auf den Weg zu einem anderen Moskauer Flughafen – Wnukowo. Über 24 Stunden war er unterwegs. Am nächsten Morgen wartete er bereits ab halb acht Uhr früh wieder am Check-in auf seinen Rückflug. 

Diese Strapazen nahm er auf sich, um einen 90-minütigen Rundflug über Moskau mit einer Maschine der russischen Billigfluggesellschaft Pobeda zu absolvieren. Der Trip wurde von Alexei Kotschemassow, einem Piloten und Moderator des Luftfahrt-Podcasts „Nebonutyje“ organisiert.  

Kampf um die Tickets 

Ein Ticket für den Flug von Wnukowo nach Wnukowo kostet 7.500 Rubel (rund 100 Euro). Die Tickets für den ersten derartigen Flug „ins Nirgendwo“ waren innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Aufgrund der hohen Nachfrage musste für den nächsten Tag ein weiterer Flug organisiert werden und die Tickets dafür waren ebenso schnell ausverkauft.

Nach dem Einchecken hatte eine Passagierin, die 34-jährige Chemieingenieurin Olga Pawlowskaja, es so eilig, in das Flugzeug einzusteigen, dass sie versehentlich in der internationalen Abflugzone landete. „Ich habe einige Minuten gebraucht, um dem Flughafenpersonal zu erklären, warum auf meinem Ticket stand, dass ich von Wnukowo nach Wnukowo fliegen wollte, sie hielten es für einen Fehler. Dann zeigte ich ihnen eine Tasche mit kleinen Geschenken, die ich beim Check-in bekommen hatte. Da erkannten sie, dass ich ein ‚Nebonutyje‘-Enthusiast war und lachten“, so Pawlowskaja.

Sightseeing-Flug 

Der Flug mit der Boeing 737-800 war verbunden mit einem Vortrag über die Luftfahrt. Organisator und Pilot Alexei Kotschemassow saß dort, wo die Stewardessen normalerweise sitzen, und erzählte über Lautsprecher anderthalb Stunden lang luftfahrtbezogene Geschichten. Er erklärte, warum manchmal die Triebwerke vibrieren, warum im Winter vor dem Flug Flüssigkeit über Flugzeuge verteilt wird und was während eines Fluges alles passiert. 

„Beim Fliegen ist immer irgendwas los. Die Maschine wackelt und man weiß es nicht einzuordnen, weiß nicht, ob es Anlass zur Besorgnis gibt. Doch hier wurde alles gut erklärt und man hatte keinen Grund, Angst zu haben“, ist Pawlowskaja begeistert. 

Die Maschine flog über die historischen Städte des Goldenen Rings, aber sie waren wegen der Wolken nicht sichtbar. „Aber als wir über die Wolken aufstiegen und strahlenden Sonnenschein sahen, traten mir Tränen in die Augen - mir wurde klar, wie lange ich den Sonnenschein nicht gesehen hatte und wie sehr ich das Fliegen vermisst hatte. Es war wie die Reise in eine andere Welt und ich fand zur Ruhe“, berichtet die Moskauer Stylistin Wera Timofejschewa über ihren Flug. 

Nach der Landung wollten die Menschen gar nicht mehr aussteigen. Die Passagiere machten Fotos mit Kotschemassow, dem Kapitän und den Stewardessen und fragten, wann der nächste Flug stattfinden würde und ob ein Flug dieser Art auch im Norden organisiert werden könnte, um das Nordlicht zu beobachten.

„Haben Sie Spaß während des Fluges und genießen Sie die Aussicht!“ 

„Ich bin schon in jungen Jahren geflogen. Wir hatten immer noch Jak-40, die nach Irkutsk flogen - ich erinnere mich noch an ihre runden Bullaugen. Ich erinnere mich auch an den Geruch von Kerosin und billigem sowjetischem Plastik in der Kabine der Tu-154. Ich habe sogar Flugzeugessen geliebt… Als ich ein Kind war, war jeder Flug pures Glück“, erklärt Makar seine Liebe zum Fliegen.

Mit zunehmendem Alter wuchs sein Interesse an Flugzeugen, aber Leute, die ihn kannten, fanden seine Begeisterung seltsam. Nachdem er der Armee gedient hatte, beschloss er, sich privat als Pilot ausbilden zu lassen, aber als er zum nächsten Flugverein ging, musste er feststellen, dass die Ausbildung zu teuer sein würde.

„So beschloss ich, mein Geld als Fluggast auszugeben und so meine Zeit in der Luft zu verbringen“, sagt Makar. 

Viele der Passagiere auf dem Flug von „Nebonutyje“ waren Kinder von Piloten. 

„Ich bin buchstäblich an einer Flugakademie geboren und aufgewachsen, sagt Wera Timofejschewa, die Stylistin. „Während meine Klassenkameraden Geschichten zum Einschlafen hörten, fand ich zum Geräusch dröhnender Flugzeugmotoren in den Schlaf. Wir wohnten direkt neben der Landebahn. Es war mein Schlaflied.“  

Die 35-jährige Nadeschda, eine Notfallmedizinerin, hat Russland zum ersten Mal auf medizinischen Evakuierungsflügen aus geringer Höhe gesehen - aufgrund ihrer Arbeit sei jeder Flug von Stress begleitet gewesen, da es darum ging, das Leben von Menschen zu retten. Aber selbst dann, wenn sie einen Moment Zeit hatte, schaute sie ständig aus dem Fenster, um die verschiedenen Landschaften zu bewundern, über die sie flogen.

„Die Piloten sagten uns immer, wir sollten während des Fluges schauen und genießen. Für mich wurde das Fliegen zu einer Methode, mich zu entspannen. Das gilt auch für diesen Flug. Während alle miteinander sprachen, scherzten und eine lustige Zeit hatten, saß ich bloß leise lächelnd da, schaute durch das Fenster und stellte fest, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit endlich einmal wieder glücklich war“, beschreibt Nadeschda ihre Gefühle. 

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