Zum Tod von Pierre Cardin: Wie sich der Couturier in Sowjetrussland verliebte

Witalij Arutjunow/Sputnik
Pierre Cardins Liebe zu Russland ist allseits bekannt. Er verwendete russische Motive in seinen Kollektionen, kleidete russische Ballerinen und First Ladys ein und kaufte nach der Perestroika Gewerbeimmobilien in der russischen Hauptstadt auf, eröffnete Restaurants in Moskau und holte Theatertruppen aus der Provinz nach Frankreich.

Die Verbindungen des Designers zu Russland waren erstaunlich vielfältig: Er nähte nicht nur für Raissa Gorbatschowa, die Frau des einzigen Präsidenten der UdSSR, und kleidete die legendäre Ballerina Maja Plissezkaja ein, sondern sammelte als UNESCO-Botschafter auch Spenden für die Beseitigung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Und vor sieben Jahren erhielt er von Wladimir Putin den Orden der Freundschaft, der an Ausländer für Verdienste um Russland verliehen wird.

Sowjetische Jahre

Cardin besuchte Russland unzählige Male. Sein erster Besuch fand bereits zu Sowjetzeiten statt (1963 mit einer Kulturdelegation). Der Modedesigner ließ sich von der politischen Zensur nie aufhalten: Wenn er ein Projekt für kommerziell erfolgreich hielt, war er bereit, es auch auf der anderen Seite des Vorhangs umzusetzen. Cardin arbeitete mit Dutzenden Textilfabriken in der UdSSR zusammen und nähte in ihnen eine Kollektion von Prêt-à-porter für Osteuropa. 

Das hervorstechendste Motiv im Werk des Modedesigners der Sechziger- und Siebzigerjahre war die Erforschung des Weltraums. Der Modeschöpfer gab zu, dass der revolutionäre feminine Style des Outfits, das an Raumanzüge erinnerte, in seiner Vorstellung durch Fotos der ersten Frau im Weltraum Walentina Tereschkowa entstanden waren. Bedeutend für sein Schaffen und generell für die Entwicklung der Mode in den Sechzigerjahren war die Kollektion Space, inspiriert durch Juri Gagarins Flug ins All. Auch später kehrte Cardin mehrmals zum Thema der Sternen-Odyssee zurück. So fand vor neun Jahren im Kreml-Palast eine weitere „kosmische“ Modenschau statt, die zum 50. Jahrestag von Gagarins Flug gezeigt wurde und durch den russischen Beitrag zur Entwicklung des interplanetaren „Reisens“ inspiriert war. 

Pierre Cardin und Maja Plissezkaja

In den Siebzigerjahren galt Cardin als der wichtigste westliche Modestar in der UdSSR. Seine politische Loyalität öffnete ihm viele Türen. Cardins Anzüge, die man in den für den „Otto Normalverbraucher“ unzugänglichen Berjoska-Läden für  harte Währung kaufen konnte, wurden von den Ehefrauen der politischen Führung getragen und seine persönliche Freundschaft mit Maja Plissezkaja trug zu seiner Popularität bei der wohlhabenden Bohème bei.

Cardin lernte die Ballerina während ihrer Tournee in Frankreich (Festival von Avignon 1971) kennen und entwarf in Folge Kostüme für viele Produktionen, an denen die Prima beteiligt war. Das berühmteste war für das legendäre Ballett Anna Karenina des Bolschoi-Theaters. Die Tänzerin war bestrebt, auch im Alltag Cardins Couture zu präsentieren, was für diese in der säkularen sowjetischen Gesellschaft die beste Werbung war. 

Vor dem Millennium

Pierre Cardin und Maja Plissezkaja

Die Perestroika hatte keine negative Auswirkung auf Cardins Einstellung gegenüber Russland. Das Geschäft wurde schnell an die neuen Verhältnisse angepasst und die Aufträge nahmen zu. Der Couturier war einer der Pioniere der Konfektionsindustrie und des heutzutage so vertrauten Franchisings und Brandings, so dass ihn die Erschließung eines neuen Marktes in einem Land, das keine Grenzen und keine finanzielle Zwänge zu kennen schien, anspornte.

Bemerkenswert ist, dass die spektakulären Schnitte und skulpturalen Silhouetten von Cardins Modellen auch dem Geschmack der neuen Elite entsprachen. Ebenso die First Ladys trugen wieder Kostüme von Cardin. Raissa Gorbatschowa bezeichnete den Couturier wiederholt als ihren Lieblingsdesigner und trug seine Kleider bei allen offiziellen Besuchen. 

Cardin begann bereits in der Sowjetzeit, die russische Kultur im Westen aktiv zu fördern. Auf seine Anregung hin wurde Mark Sacharows Inszenierung der Rockoper Junona und Awos in Frankreich aufgeführt und in den Perestroika-Jahren brachte der umtriebige Modedesigner, diesmal als Produzent, das Stück in die USA. Gerüchten zufolge war er selbst ein ziemlich guter Sänger und liebte es, im Kreis seiner Freunde im Restaurant Maxim's (das wie die ganze Kette, einschließlich des Flagship-Stores in Paris und der 1998 eröffneten Filiale in Moskau, dem Modedesigner gehörte) die berühmte Arie aus diesem Stück zu singen.

Cardin galt als knallharter Geschäftsmann, und das in den unterschiedlichsten Bereichen. So gründete er in Paris sein eigenes Theater, das Espace Pierre Cardin, in dem viele russische Stücke aufgeführt wurden. Im Gegenzug brachte Cardin als Vermittler europäische Theater-Produktionen in das neue Russland und trug so zum Aufbau kultureller Verbindungen bei.

„Ich habe mich nie nur als Maßschneider gesehen (obwohl ich das sicher gut kann)“, bekannte der Modedesigner, „sondern auch als Diplomat. Ich habe die Kunst, soziale Projekte und wichtige kulturelle Initiativen auf beiden Seiten des [Eisernen] Vorhangs unterstützt“. Der Designer stifte mehrere Preise für aufstrebende Künstler und Künstlerinnen aus Russland, darunter das Festival Young Talents, organisierte mehrmals Schauen russischer Designer in Frankreich und stellte viel Geld für verschiedenste Projekte im kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern zur Verfügung.

Die Sternstunde

Eines der aufsehenerregendsten Ereignisse in Russland war eine Modenschau im Jahre 1991, die direkt auf dem Roten Platz stattfand. Es heißt, dass 200.000 Menschen die Show besuchten, was für das Land beispiellos ist. Sie war ein Zeichen der Zeit, ein Symbol für eine neue Ära, die die Grenzen zwischen den Welten, die sich 70 Jahre lang bekriegt hatten, auslöschte.

Die Show wurde mit einer der für die Sowjetunion üblichen Paraden verglichen und auf den ersten Kanälen als eine Art Symbol eines in die Zukunft blickenden Landes ausgestrahlt. Interessanterweise war der Hauptsponsor die Firma MMM, das Mitte der Neunzigerjahre in Russland mit seinem Investment-Schneeballsystem für einen ähnlichen Finanzskandal sorgte wie derzeit Wirecard in Deutschland. 

Cardin war berühmt für seinen Ehrgeiz und wählte zu seiner Residenz nichts Geringeres als den Stammsitz des Marquise de Sade. Anfang der Zweitausenderjahre kaufte er das Château Lacoste und eigentlich das ganze Dorf drum herum, nachdem er seine erste Milliarde verdient hatte. Auch hier ist ganz unerwartet eine russische Spur zu finden: Der Couturier richtete im Schloss einen Skulpturenpark mit der Sammlung ein, die er unter anderem aus Werken russischer Künstler zusammengetragen hatte. Das dortige Denkmal für den Marquise de Sade stammt aus den Händen des Moskauer Bildhauers Alexander Burganow.

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