„Diebe im Gesetz“: Wer ist wer im Kastensystem russischer Gefängnisse

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NIKOLAJ SCHEWTSCHENKO
Es gibt Kasten, in die man nur sehr schwer hineinkommt. Es gibt aber auch solche, aus denen es absolut unmöglich ist, wieder herauszukommen.

  1. Воры в Законе

Diese so genannten Воры в Законе (Warý w sakónje, dt.: Diebe im Gesetz)sind die Könige der kriminellen Unterwelt. Diese Gruppe angesehener „Big Bosse“, die den Großteil der kriminellen Welt sowohl im Gefängnis als auch außerhalb kontrolliert, ist durch bestimmte gemeinsame Interessen geeint.

Wer zum Beispiel zum Dieb im Gesetz befördert werden möchte, muss zunächst einmal unerschütterlichen Respekt unter den Dieben genießen, zahlreiche Verurteilungen auf dem Buckel haben und jede Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden verabscheuen.   

Die Sakónnikibefolgen und verehren einen strengen Verhaltenskodex – das so genannte Gesetz der Diebe. Seine wichtigsten Grundsätze sind die Loyalität gegenüber der Idee des Diebstahls und das Verbot jeglicher Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden, in welcher Funktion auch immer, einschließlich der Gefängnisverwaltung.  

In der зона(Sóna, dt.: Zone), wie umgangssprachlich eine Strafkolonie oder auch Justizvollzugsanstalt genannt wird, wachen die Diebe über den общак(Abstschákdie gemeinsame Geldreserve der Kriminellen), schaffen ihr eigenes Recht und lösen alle Probleme und Konflikte auf der Basis von понятия (Panjátija, dt.: Konzepte, Regeln), einem umgangssprachlichen Begriff, der in der postsowjetischen Zeit auch außerhalb der kriminellen Welt tief in den russischen Sprachgebrauch eingedrungen ist.

  1. Блатные

Die блатные (Blatnýje, dt.: Gauner, Ganoven) sind auch Diebe, jedoch befindet sich ihre Kaste unter der Kaste der Diebe im Gesetz, direkt unter der Führungsriege. Diese Gruppe kontrolliert das Gesetz innerhalb der Sóna, wo das Leben nach dem eigenen Regeln verläuft. In einer Vollzugsanstalt, in der die Gefängnisverwaltung das Sagen hat, ist ihr Einflussjedoch oft eingeschränkt, da die  Panjátija, das Gesetz der Diebe, die Zusammenarbeit mit der Obrigkeit verbietet.

Häufig besteht diese Kaste aus normalen Berufsverbrechern. Ein Häftling, der zuvor bei der Polizei oder im Dienstleistungssektor (Taxifahrer, Kellner usw.) gearbeitet hat, kann dagegen kein Blatnójwerden.  

In einer Sóna, in der diese Kaste die Macht innehat, sind deren Mitglieder für den Abstschák zuständig und versorgen die Insassen mit Tee, Zigaretten und Lebensmitteln; sie fungieren auch als Schlichter bei Konflikten zwischen den Häftlingen, wobei sie sich auf die bereits erwähnten Panjátija stützen.

Die Blatnýje verwenden diesen Begriff übrigens nicht, sondern nennen sich selbst entweder  арестанты (Arestánty, dt.: Sträflinge) oder бродяги(Bradjági, dt.: Herumtreiber).

  1. Мужики

Мужики(Muschikí, dt.: Kerle) sind die am weitesten verbreitete Kaste in russischen Vollzugsanstalten. Im Gegensatz zu den Blatnýjesind diese Leute keine Berufsverbrecher oder regelmäßige Gefängnisbesucher. Die Mitglieder dieser Kaste landen in der Regel wegen eines einzelnen Vergehens im Gefängnis, nicht wegen systematischer krimineller Aktivitäten. Die meisten Muschikíkooperieren zwar nicht mit der Gefängnisverwaltung, nehmen aber auch nicht am Gefängnisleben teil und halten sich bei internen Streitigkeiten im Hintergrund. Sie verrichten ohne Murren ihre Arbeit im Gefängnis und hoffen, nach Verbüßung ihrer Strafe nicht in den „Bau“ zurückzukehren.  

  1. Активисты, козлы, суки (aktivísty, kaslý, súki – Aktivisten, Ziegenböcke, Schlampen)

Die Mitglieder dieser sozialen Schicht tragen unterschiedliche Namen. Sie sind bereit, mit den Aufsehern zusammenzuarbeiten und können sogar einen Posten in der Sónabekleiden.

Sie werden von den anderen Kasten offenkundig nicht gemocht. In Vollzugsanstalten, in denen die Warý w sakónje das Sagen haben, können diese Insassen von anderen getrennt gehalten werden, um sie vor zahlreichen blutigen Konflikten und/oder Vergeltungsmaßnahmen zu schützen.  

Hat die Gefängnisverwaltung jedoch die volle Kontrolle und erteilt harte Strafe für verschiedene Erscheinungen der Panjátija, genießen die „Aktivisten“ ein höheres Maß an Sicherheit oder sogar eine privilegierte Stellung – die Wärter drücken öfters einmal ein Auge bei ihnen zu und räumen ihnen Vergünstigungen im Gegenzug für das entsprechende Verhalten ein.

Mit козёл (Kasjól,dt.: Ziegenbock) wird in der Regel jemand bezeichnet, der durch sein Verhalten auffällt, und zwar nicht dadurch, dass er die ihm zugewiesenen Pflichten erfüllt; zeigt ein Insasse jedoch den aktiven Wunsch, mit der Gefängnisverwaltung zusammenzuarbeiten, um Vorteile zu erlangen, kann er sicher sein, dass er in den Rang einer сука (Súka,dt.: Schlampe, wörtlich: Hündin) herabgestuft wird.

  1. Петух oder опущенный

Einпетух(Petúch, dt.: Hahn)oder auchопущенный(Opústschennyj, dt.: Heruntergekommener, Bloßgestellter) gehört zur alleruntersten Schicht der Gefängnishierarchie und wird oft von den anderen Häftlingen isoliert. Er hat sein eigenes Geschirr (meist mit einem Loch versehen) und seinen eigenen Schlafplatz (oft in der Nähe der Toilette). Es ist den anderen Insassen strengstens untersagt, ihn oder seine Sachen zu berühren oder sich von ihm Essen oder Zigaretten zu leihen, um nicht selbst zu einem Petúch „degradiert“ zu werden – selbst wenn derjenige zu Unrecht eine Strafe im Gefängnis verbüßt.

Die Heruntergekommenenselbst müssen sich von den Mitgliedern der anderen Kasten fernhalten und an der Wand stehen bleiben, wenn diese an ihnen vorbeigehen, um sie durchzulassen. Alle schmutzigen Arbeiten – wie die Reinigung der Toiletten u. ä. – werden in der Regel den Mitgliedern dieser Kaste überlassen.  

Zu den Heruntergekommenen zählen diejenigen, die entweder in der „Zone“ eine schwere Verfehlung begangen haben (z. B. eine Schuld nicht beglichen oder andere Insassen bestohlen haben) oder draußen zu einer unvorteilhaften Kategorie gehören (wenn man schwul ist, fällt man automatisch in diese Kategorie). Dazu können auch diejenigen gehören, die eine gegen sie gerichtete Straftat nicht gerächt haben oder aber eine Straftat begangen oder einen anderen Insassen unehrenhaft behandelt haben und sich vor dem „Gericht“ der Blatnyjenicht rechtfertigen konnten. Man kann auch in dieser Kaste landen, wenn man sich mit einem Zurückgestuften abgibt oder dessen Sachen ausleiht oder benutzt – auch wenn es sich um ein Versehen handelt.

  1. Шестерки, шерстяные, черти, чушки, крысы, мусора u.a.

Neben den oben genannten Kasten gibt es in der russischen Gefängnishierarchie auch weniger wichtige Gruppen, die man in den Vollzugseinrichtungen im ganzen Land antreffen kann.  

Шестерки (Schestjórki,  dt.: Handlanger, wörtlich: Sechser, abgeleitet von der kleinsten Karte im russischen Kartenspiel) sind diejenigen, die die Hilfsarbeiten für die Blatnyje ausführen. Ein шерстяной(Scherstjenój, dt.: Gewalttäter, wörtlich: aus Wolle bestehend) ist jemand, die mit koordinierten Angriffen auf andere Häftlinge beauftragt wird, normalerweise auf Geheiß der Gefängnisverwaltung. Einчерт(Tschort, dt.: Teufel) ist ein gewissenhaft arbeitender Häftling. Die крыса(Krýsa, dt.: Ratte) verpfeift andere Insassen, wohingegen мусор (Músor, dt.: Bulle, wörtlich: Müll) der russischer Slangausdruck für Polizist ist – ein Músor ist also ein ehemaliger Gesetzeshüter, die hinter Gitter gebracht wurde. 

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