Wie Russen mein Leben verändert haben: Martin aus den Niederlanden

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Martin Hamming kam 1989 zum ersten Mal aus beruflichen Gründen nach Russland. Er blieb drei Jahre, erlebte den Untergang der UdSSR und lernte seine russische Ehefrau kennen. Der Aufenthalt hat ihn geprägt und für immer verändert.

Kurz vor dem Zusammenbruch der UdSSR wurde Martin nach Moskau geschickt, um in einer Fabrik des sowjetischen Plattenlabels „Melodija" beim Aufbau der Produktion von CDs zu helfen. Damals war er 30 Jahre alt und hatte Zweifel. Während des Kalten Krieges wuchs er in Amsterdam auf. Die „rote Gefahr“ und ein Einmarsch der UdSSR in Europa waren in den niederländischen Medien ständig präsent. Er erinnert sich, dass er jedes Mal Angst vor einem Atomangriff hatte, wenn er ein Flugzeug hörte. Als er in der niederländischen Armee diente, war ein großer Teil seiner Ausbildung auf die Verteidigung seines Landes gegen die Sowjetunion ausgerichtet. Diese persönliche Geschichte machte diese erste Geschäftsreise in die Sowjetunion zu etwas ganz Besonderem. 

Seine Vorurteile bestätigten sich bei seiner Ankunft in Moskau. Ihm fiel sofort die starke Polizeipräsenz auf. „Ich wurde überall kontrolliert. Die Zeiten, in denen ich in meinem Hotel ankam, wurden dokumentiert. Ohne Reservierung konnte ich in kein Restaurant gehen. Ich war mit der kyrillischen Schrift nicht vertraut. Ich erinnere mich noch, dass ich die russischen Buchstaben in römischer Schrift las und Restaurant daher als ‚pec-to-pah‘ aussprach. In dieser ersten Woche wollte ich wieder nach Hause“, erzählt Martin. 

Er fühlte sich verloren und wandte sich hilfesuchend an einen Landsmann. Der nahm ihn unter seine Fittiche und zeigte ihm gute Restaurants. Dort lernte Martin einige Russen kennen, die ihn zu einer Geburtstagsparty in ihrem Haus einluden. „Dort habe ich eine ganz andere Welt gesehen. Die Gastfreundschaft, mit der ich im Haus von Fremden empfangen wurde, war eine einzigartige Erfahrung. Die engen Familienbande, das Essen, die Lieder, die Trinksprüche. Ich war überwältigt von der Herzlichkeit." 

Martin erlebte den Übergang vom Sozialismus zu einer freien Marktwirtschaft, als die UdSSR zusammenbrach. Als er 1989 kam, war Gorbatschow Präsident und die sozialistischen Verhältnisse waren noch sehr präsent. „Das Niveau der Bürokratie war extrem hoch, aber ich fühlte mich immer sicher. Das änderte sich, als ich zum zweiten Mal nach Russland kam, nachdem der ‚Putsch‘ stattgefunden hatte. Unter Jelzin haben sich die Hotels und der Luxus enorm verbessert, aber es ist ein gefährliches Land geworden. Die Kriminalität, auch unter den Bürgern, stieg sprunghaft an. Wir konnten nirgendwo mehr ohne Personenschutz hingehen. Einmal fand in einem Restaurant, in dem ich zu Abend aß, eine Schießerei statt. Das war der schrecklichste Moment, den ich in Russland hatte", sagt Martin. 

Martin lernte ein wenig russisch und lernte auf einer Party seine zukünftige Ehefrau Elena kennen. Dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, hatte nichts mit ihrer russischen Nationalität zu tun, sagt er. Martin empfand sie einfach als einen ganz besonderen Menschen. Auf die Frage nach den Unterschieden zwischen russischen und niederländischen Frauen gibt es seiner Meinung nach keine klare Antwort: Russische Frauen halten sich an die traditionelle Rollenverteilung. Ein Mann sollte für das Haus sorgen, während die Frau sich um das Haus kümmert. Russische Frauen erniedrigen sich keineswegs, indem sie an diese Tradition glauben, aber sie halten strikt an dieser Rolle fest.“  

Nachdem er drei Jahre in Russland verbracht hatte, kehrte Martin mit Elena und ihrem Sohn in die Niederlande zurück. Er hat viele Gewohnheiten und Erinnerungen mitgenommen, die sein Leben bis heute prägen. Noch immer genießt er russische Gerichte wie Soljanka, Borschtsch, Plov und Pelmeni. Am meisten inspiriert haben ihn jedoch die russischen Menschen. 

„Die Russen sind widerstandsfähiger als jedes andere Volk, das ich kennen gelernt habe. Aufgrund jahrelanger Unterdrückung und Unsicherheit mussten sie in jeder Hinsicht erfinderisch sein. Sie haben einen Schutzschild um sich herum entwickelt, der unmöglich zu durchdringen scheint. Nichts kann den Geist des russischen Volkes töten. Ich war erstaunt, über das Bildungsniveau in Russland, vor allem auf kultureller Ebene. Ich würde das russische Volk als furchtlos, stolz, erfinderisch und hochintelligent beschreiben", sagt Martin.

Martin lebt nun schon seit einiger Zeit wieder in den Niederlanden. Aber er erwägt, nach Russland zurückzukehren, sollte sich die Lage in Europa verschlechtern. „Ich bin besorgt über das Ausmaß an Kontrolle, das die Regierung den Bürgern in Europa auferlegt. Ich verstehe, dass Russland auch seine Schattenseiten hat, aber ich glaube nicht, dass das russische Volk unmenschliche Gesetze und Maßnahmen akzeptieren würde, die von der Mehrheit der Menschen hier in Holland akzeptiert werden. Der russische Geist ist dafür nicht geschaffen. Vielleicht ist das der Grund, warum ich Russland als einen guten Ort zum Leben betrachte." 

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