Goldener Ring im Wandel der Zeit - am Beispiel der Mariä-Entschlafens-Kathedrale in Wladimir

Reise
WILLIAM BRUMFIELD
Lesen Sie die spannende Entstehungsgeschichte der Mariä-Entschlafens-Kathedrale in Wladimir: Dieses mittelalterliche russische Meisterwerk veränderte sich stetig und zählt seit 1992 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Wladimir-Festung wurde im Jahr 1108 am Kljasma-Fluss von Wladimir Monomach gebaut, der als Großfürst zwischen 1113 und 1125 in Kiew regierte. Unter seiner Führung wurden Wladimir und die umliegenden Siedlungen in den östlichen slawischen Gebieten zum Zentrum politischer und ökonomischer Macht. Unter Monomachs Nachkommen erlebte das Wladimir-Gebiet in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts eine starke Zunahme von Kirchenbauten, die aus Kalkstein, auch als weißer Stein bekannt, bestanden.

Die Mariä-Entschlafens-Kathedrale zählt zu den wichtigsten Kirchenbauwerken. Ihre Errichtung wurde im Jahr 1158 durch Prinz Andrei Bogoljubski initiiert. Der Entwurf, nach dem die Mariä-Entschlafens-Kathedrale gebaut wurde, stimmte mit dem Entwurf der Kirchen in Kiew und Nowgorod überein, die für die damalige Zeit typischen Merkmale großer Kirchen wie das Kuppelgewölbe im Zentrum des Baus aufwiesen. In den Steinfassaden sind ein paar Hochreliefs zu finden.

Die Ursprünge dieser fachlich qualifizierten Arbeit sind jedoch unklar. Die Nestorchronik erwähnt, dass die Meister von „überall her“ kamen, später gibt es auch Hinweise, dass „Nemzy“, Deutsche, daran beteiligt waren – ein Begriff der zu der Zeit oft verallgemeinernd für Ausländer verwendet wurde. Es wird angenommen, dass die Künstler Bogoljubskij im Auftrag von Frederick Barbarossa gesandt wurden.

Wenngleich manche Merkmale der Kirchen in Wladimir, wie die Eingänge und die Steinornamente, einen Einfluss westlicher Romantik nahelegen, hindeuten, blieb die Grundstruktur der traditionellen Architektur byzantinischer Kirchen, die in Folge vom mittelalterlichen Russland adoptiert wurde, verpflichtet.

Die Mariä-Entschlafens-Kathedrale wurde unter der Herrschaft von Andrej Bogoljubskijs Halbbruder Wsewolod dem III. bald zu einem größeren und komplexeren Gebäude umgebaut. Den Anstoß dafür gab im Jahr 1185 ein Brand, bei dem Wladimir und die Mariä-Entschlafens-Kathedrale erheblich beschädigt wurden.

Beim Wiederaufbau der Kathedrale zwischen 1185 und 1190 zerlegten die Baumeister die angeschlossenen Emporen, behielten aber die Originalstruktur der Wände als Baukern für die neue Kathedrale bei, auch wenn diese durch das Feuer beschädigt waren. Der Innenraum wurde erweitert, indem im Norden, Westen und Süden Seitenschiffe angebaut wurden. Die hinzugefügten Wände erstreckten sich über zwei Etagen, hatten aber nicht die volle Höhe des Originalbaus. Aus diesem Grund spielte der umgebaute Baukörper auf geniale Weise mit dem Verhältnis zwischen Neu und Alt.

Die Kathedrale krönten vier Nebenräume, die diagonal zu der Hauptkuppel platziert wurden. Die dreiteilige Apsis im Ostflügel, die auf Prokudin-Gorskis Farbfotografie zu sehen ist, wurde mit ausgebauter Tiefe wieder hergestellt.

Die neuen Fassaden wurden in der Mitte mit Schnitzverzierungen versehen. Ein Teil des Steinornaments der nördlichen und südlichen Wände wurde der ursprünglichen Kathedrale entnommen. Die neue Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Zentrum des Moskauer Kremls wurde Ende des 15. Jahrhunderts, in den 1470er Jahren, zum Vorzeigebeispiel des Wiederauflebens der Moskauer Architektur.

Weniger als ein halbes Jahrhundert später wurde das Fürstentum Wladimir von den Mongolen, die in Russland eingefallen waren, eingenommen. Im Februar des Jahres 1238 wurde die Stadt umzingelt und viele ihrer Bewohner umgebracht. Der damalige Großfürst und Wsewolods Sohn wurde einige Tage später in der finalen Schlacht mit der mongolischen Armee ermordet. Als Jurijs Ehefrau Agafija und andere Familienmitglieder in der Kathedrale Zuflucht suchten, lehnten die Mongolen brennende Holzbalken gegen die Wände, sodass alle Insassen durch den Rauch erstickten.

Trotz dieser verhängnisvollen Ereignisse blieb die Mariä-Entschlafens-Kathedrale erhalten. Im Jahr 1408 wurde Wladimir erneut von den Mongolen überfallen und die Kathedrale ausgeraubt und beschädigt. Die zwei renommierten Maler Andrej Rubljow und Daniil Horny wurden daraufhin mit der Wiederherstellung der kirchlichen Innenräume beauftragt. Rublews bis heute erhaltene Freskoarbeiten befinden sich im westlichen Teil der Kathedrale und haben das Jüngste Gericht zum Thema. Darüber hinaus malten die beiden Künstler für die Ikonenwand neue Ikonen. Und obwohl die Ikonenwand im späten 18. Jahrhundert im Barockstil neu gemacht wurde, blieben manche von Rublews Ikonen erhalten und sind heute in der Tretjakow-Galerie in Moskau zu sehen.

Von 1785 bis 1790 befand sich der östliche Bereich der Kathedrale im Auftrag der Regionalverwaltung im Umbau. Das im neoklassischen Stil entworfene, drei Etagen hohe Gebäude wurde als „disharmonisches Element“, das sich zwischen der mittelalterlichen Mariä-Entschlafens-Kathedrale und dem St. Demetrius gewidmeten Wsewolod-Palast befindet, kritisiert. Nichtsdestotrotz hielt die solide gebaute Struktur stand und dient weiterhin der Stadt.

Während eines Besuches im Jahr 1767 wurde Katharina der Großen in Wladimir die Mariä-Entschlafens-Kathedrale gezeigt. Sie unterstützte daraufhin die Renovierungsarbeiten, darunter auch die Schaffung der bereits erwähnten aufwändig gestalteten Ikonenwand. Obwohl mit bester Intention restauriert, veränderten diese und in den folgenden Jahrzenten durchgeführten Arbeiten das Aussehen der Kathedrale erheblich.

In 1810 wurde ein großer Glockenturm im Norden der Kathedrale errichtet und in 1862 wurde eine dem Heiligen Georg gewidmete Kirche von Nicholas Artleben im neugotischen Stil konzipiert, um den Raum zwischen dem großen Glockenturm und der Nordfassade der Kathedrale zu füllen. Diese Ergänzungen schafften eine neue Sichtweise auf die Nordseite der Kathedrale, die auf die Moskauer Straße, der Hauptstraße der Stadt, blickt. Diese Nordperspektive wird auf Prokudin-Gorskis Kontaktabzug klar und deutlich wiedergegeben, das Originalnegativ ging jedoch verloren.

Die fachkundigen Restaurationsarbeiten in den 1880er Jahren behoben die meisten Unstimmigkeiten und Störungen, die in dem vorangegangenen Jahrhundert verursacht worden waren und legten weite Teile von Rubljows Fresken offen. Die letzte Restauration der Mariä-Entschlafens-Kathedrale wurde in den 1980er Jahren abgeschlossen.

Im Jahr 1992 wurde die Mariä-Entschlafens-Kathedrale in die Liste des Unesco-Welterbes aufgenommen. Die Verantwortung für dieses großartige kulturelle und historische Denkmal teilen sich nun die Vladimir-Suzdal Museum-Reserve und das Bistum von Wladimir, für die die Mariä-Entschlafens-Kathedrale als Hauptkathedrale dient.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelteder russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Suzdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Zahlreiche russische Webseiten führen nun Teile dieser Kollektion auf.