Der sowjetische Traum vom Meer: Warum Sie im Sommer nach Anapa fahren sollten

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PEGGY LOHSE
Auf den ersten Blick sind die Schwarzmeerstrände von Anapa vor allem laut, überfüllt und grell bunt. Für die meisten Russen ist Anapa der Innbegriff für Billigurlaub im sonnigen Süden. Aber jenseits des Geruchs von Schaschliki, Mais und Bier hat die Kleinstadt auch antikes Kulturerbe zu bieten, für das sich ein Besuch allemal lohnt.

Der erste Eindruck trügt

So haben Sie sich eine Kleinstadt in Südrussland ganz sicher nicht vorgestellt! Wir steigen am Busbahnhof aus dem Linienbus - von Krasnodar nach Anapa fährt man gute drei Stunden - uns stehen sofort mitten im bunten Treiben: ein Souvenirstand nach dem anderen.

Etwas Abwechslung bringen nur die unzähligen Straßencafés. Die wiederum verbreiten einen schweren Geruch nach frisch gegrilltem Schaschlik-Spieß und laute Pop-Musik mit stampfenden Beats. Die Evergreens der 80er, 90er und von heute. Rotgebrannte Bierbäuche und viel zu knappe Bikinis in Neonfarben spazieren durch die immerhin verkehrsberuhigte bis ganz autofreie Innenstadt. Kinderstimmen drängeln zum Karussell, ins Dinosaurier-Museum oder ins Wachsfigurenkabinett.

Wann sind wir nur bald am Strand, damit wir uns von diesem Trubel erholen können? Tja, der Strand ist nicht mehr weit - er kommt direkt hinter dem großen Erlebnisbad „Solotoj Pljasch“ (deutsch: „Goldener Strand“). Aber von Erholung kann hier keine Rede sein: Wie die Sardinen in der Dose reiht sich hier im heißen Schwarzmeersand Urlauberschulter an Urlauberschulter. Und nur zwischen den vielen plantschenden und hüpfenden Pünktchen lukt ab und an mal ein Stück des leuchtend blautürkisen Meerwassers hervor.

Schon zu Zarenzeiten war Anapa ein beliebter Touristenort. Nachdem die Stadt 1828 im Zuge des Russisch-Türkischen Krieges russisch wurde, entwickelte sie sich schnell zum Erholungs- und Urlaubsort. In der langgezogenen Bucht liegt das Meer meist still, der Einstieg ist weitestgehend flach und die Badesaison dauert hier um die 200 Tage im Jahr; die angrenzende Nehrung mit ihren kaum begrasten Sanddünen lädt zum Spazieren ein und die Meeresluft gilt als heilend.

1900 entstand dann hier auch das erste Sanatorium für Wasser- und Schlammbäder. Zu Sowjetzeiten dann wandelte sich Anapas Profil hin zu einem populären Kinderkurort, den gesamten Küstenbogen entlang wurden Heil-Pionierlager errichtet. Viele Russen lernten Anapa so schon als Kinder kennen und verbinden den Ort wohl bis heute mit den schönen Urlaubserinnerungen ihrer Jugend. Und bringen darum heute auch ihre Kinder oder schon Enkelkinder hierher.

Die Stadt unter der Stadt

„Horrorurlaub“, denken Sie nun sicher, „wozu muss ich das alles wissen?“ Erstens, weil dieser erste Eindruck Anapa nicht wirklich gerecht wird – am Steinstrand 500 Meter weiter beispielsweise ist es schon spürbar ruhiger. Und zweitens, weil es hinter dieser dicken Schall- und Duftmauer auch echte Sehenswürdigkeiten gibt: Die beeindruckendste ist das antike Dorf Gorgippa, beziehungsweise dessen Überreste, und das Museum, das die Ruinen heute ergänzt.

Denn lange schon, bevor die Rede von Anapa sein konnte, stand an dessen Stelle die zweitgrößte Stadt nach Phanagoria am sogenannten Kimmerischen Bosporus (die heutige Straße von Kertsch zwischen der Krim und Südrussland) und der Taman-Halbinsel zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer: Gorgippa.

Beide Städte lebten vom Getreidehandel mit ihren Nachbarn. Besonders eng waren die Beziehungen zu den Griechen, was die hellenifizierten Grabplattenaufschriften in den Grüften und heute im Museum der Ausgrabungsstätte belegen.

Gorgippa entstand als griechischer Stadtstadt Polis zwischen 400 und 500 v. Chr., 300 n. Chr. wurde es von den Goten zerstört. Aufgrund der günstigen Hafenanlagen und seiner Lage auf den üblichen Handelswegen wurde sie immer wieder neu gegründet, im 13. Jahrhundert sogar einmal von italienischen Kaufleuten unter dem Namen Mappario bzw. kurz Mapa.

Die Türken benannten den Ort im folgenden Jahrhundert in Anapa um. Jenes türkische Anapa aber erlangte vor allem traurige Berühmtheit durch seinen großen Sklavenmarkt, die Mädchen und Frauen der Einheimischen landeten nicht selten in den Harems Istanbuls. 

Flucht in die Stille

Heute können Sie wenige Schritte von dem bunten Halligalli am Stadtstrand in sonniger Ruhe durch das frisch renovierte Museum und rund um einen Teil der ehemaligen Stadt Gorgippa spazieren. Das Freiluftgelände bietet auch Führungen durch die Kellerruinen der antiken Stadt an.

Für Geschichtsbegeisterte: Von hier aus führt auch eine vollständig begrünte und schattige Allee bis zum örtlichen Heimatkundemuseum. Dort erfahren Sie dann mehr über Anapa als türkische Festungsstadt und warum mitten in der Stadt plötzlich ein antikes „Russisches Tor“ steht.

Und dann gibt es auch für Naturliebhaber und Wellenlauscher den perfekten Erholungsort unweit des Anapaer Massentourismus: die Anapaer Dünen auf der Witjasewo-Nehrung. Kleiner natürlich als die Kurische Nehrung, bieten sie dennoch natürliche Stille, Möwengeschrei und viel Raum für romantische Strandspaziergänge und Meeresträumerei.

Anfahrt:

Anapa liegt 170 Kilometer südlich von Krasnodar und an der Schwarzmeerküste in einer Reihe mit der Militärhafenstadt Noworossijsk und den Küstenorten Gelendschik, Sotschi und Adler.

Es bietet sich also durchaus auch ein Road Trip entlang der russischen Schwarzmeerküste an. Infrastruktur ist in jeder Hinsicht vorhanden. 

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