Die russische Regierung diskutiert (rus) über eine kürzere Arbeitswoche. Der technische Fortschritt mache dies möglich, erklärte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew auf einer Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft die Vier-Tage-Woche Standard in Arbeitsverträgen und im Sozialsystem sein wird.”
Medwedew verwies auf Henry Ford, der vor hundert Jahren die Wochenarbeitszeit von 48 auf 40 Stunden reduzierte, was allen Vorteile brachte. Zudem berichtete er von der neuseeländischen Firma Perpetual Guardian, die im vergangenen Jahr die Vier-Tage-Woche einführte, um die Produktivität zu steigern. „Wir brauchen neue Ansätze ... flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, Anwesenheit im Büro nur, wenn dies unbedingt notwendig ist”, sagte Medwedew. Die Russen könnten also ganz entspannt in die Zukunft blicken.
Das sind doch gute Neuigkeiten. Oder etwa doch nicht? Nach einer Umfrage (rus) des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung sind 48 Prozent der Russen nämlich dagegen. 17 Prozent der Befragten haben zur Vier-Tage-Woche noch überhaupt keine Meinung.
Es stellte sich heraus, dass diese Nachrichten die meisten Menschen eher beunruhigten. Die Russen glauben, dass es bei weniger Arbeitstagen auch weniger Lohn geben wird. Nur wenige Leute glauben an gleichbleibende Löhne bei weniger Arbeitsstunden. Vierzehn Prozent der Russen fürchten sogar, dass bei mehr Freizeit der Alkohol- und Drogenkonsum in der russischen Gesellschaft steigen wird.
Experten sehen diese Befürchtungen durchaus als begründet an: „Wenn die Menschen weniger Stunden arbeiten, ist zu erwarten, dass auch die Löhne sinken. In einigen Bereichen kann sogar die Produktivität zurückgehen”, sagt (rus) Dmitri Lesnjak von der Rechtsanwaltskanzlei BMS zu „Gazeta.Ru”. Es könnte sich herausstellen, dass die Russen es sich gar nicht leisten können, einen zusätzlichen Tag frei zu haben, meint auch die Nichtregierungsorganisation Opora Rossii, die die Interessen kleiner und mittelständischer Unternehmen vertritt.
Ministerpräsident Medwedew geht ohnehin davon aus, das eine Umstellung viel Zeit in Anspruch nehmen wird und dass es noch einiges zu klären gibt, einschließlich der Lohnfrage.
Sehr viel. Nach Angaben der OWZE (eng) gehört Russland zu den fünf Ländern mit der höchsten Gesamtzahl an Arbeitsstunden – 1.980 Stunden pro Jahr. Das ist mehr als in Frankreich (1.526), Deutschland (1.356), den USA (1.780) und Japan (1.710). Russland hat eine 40-Stunden-Woche.
Aber wissen Sie, was paradox ist? Zugleich haben die Russen mehr freie Tage im Jahr als die Beschäftigten in jedem anderen Land. Alleine die Neujahrsfeierlichkeiten dauern ganze neun Tage. Dazu gibt es ein anderes Neujahr, das als „altes Neujahr” bekannt ist, geschlechtsspezifische Feiertage für Männer oder Frauen, einige freie Tage nach dem Tag der Arbeit im Mai oder dem Tag des Sieges zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Dazu kommen noch weitere Feiertage, deren Bedeutung die Russen selbst nicht kennen. Aber feiern kann man sie trotzdem!
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