Mondtagebuch letzter Teil: Was ich von meiner Mission mitnehme

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Anastasia Stepanowa hat an einem simulierten Weltraum-Isolationsprojekt teilgenommen. Und obwohl sie nicht im All, sondern mitten in Moskau war, hat dies ihren Blick auf das Leben auf der Erde verändert.

Unsere Sirius-19 hat die letzten Untersuchungen der Mondoberfläche abgeschlossen. Wir haben uns mental von dem kalten Trabanten verabschiedet und nehmen Kurs auf etwas Neues. Eines Tages werden wir von einer Mondumlaufbahnstation direkt zum Mars fliegen, aber jetzt kehren wir erst einmal zu unserem schönen Planeten Erde zurück. 

Wo es einen Farbenrausch gibt und nicht nur das endlose Grau, Braun und Grün. Wo man Regen, Gras, Parfüm und Abgase riechen kann. Wo man die Wärme der Sonne oder den kalten Herbstwind auf dem Gesicht spürt und nicht nur Schweißtropfen, die nach dem Training auf dem Laufband über das Gesicht rinnen. Wo die Leibspeise oder ein neues Gericht den Gaumen kitzeln und wo Essen nicht nur eine Notwendigkeit zum Auffüllen der Energiereserven ist. Wo Millionen von Menschen mit ihren Sorgen und Nöten, aber auch ihren Lieben leben und nicht nur sechs Personen, die aber auch mehr als Kollegen geworden sind: Freunde, Familie. Wo das Rauschen der unzähligen Informationen die innere Stimme übertönt, ablenkt und uns die Gedanken anderer Menschen aufdrängt. 

Wir hatten etwas, das für die Bewohner von Großstädten zu einem Luxus geworden ist: ein Informationsvakuum oder Informations-Detox. Hier konnten wir uns voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren, auf die eigene Entwicklung, nicht nur auf die wissenschaftlichen Experimente, sondern auch auf uns selbst.

Einige Menschen könnten durch die vielen Einschränkungen irritiert sein, sogar depressiv werden. Andere nutzen es als Gelegenheit, die längst vergessene Fähigkeit wiederzuentdecken, einfache Freuden zu genießen. 

Bei Sirius-19 freut man sich über jede Sekunde unter der lang ersehnten heißen Dusche. Es fühlt sich an, als würden nach zehn Tagen täglichem Training ein Kilo Salz und Fett abgespült werden. Man weiß es plötzlich sehr zu schätzen, in frischer Bettwäsche und sauberen Schlafanzügen zu schlafen. 

Die Briefe von Familie und Freunden sind heilig. Es ist kein oberflächlicher, schneller Austausch wie mit einer Messenger-App. Zuerst überlegst du, worüber du schreiben sollst, dann suchst du die richtigen Worte, um all deine Emotionen und Gedanken auszudrücken. Du schickst Fotos vom Leben auf der Raumstation mit. Alles wird an das psychologische Support-Team weitergeleitet, das dafür sorgt, dass die Post auch bei den Adressaten ankommt. 

Wenn die ganze Besatzung morgens still zusammensitzt, jeder mit einem Lächeln auf dem Gesicht, dann ist klar, dass es Nachrichten von der Erde gab. Jedes Wort wird verschlungen, die Fotos immer wieder betrachtet. Das sind die Momente, wo wir dem Alltag im All entfliehen konnten. 

Die Crew teilte die Neuigkeiten miteinander. Wir zeigten uns gegenseitig Fotos, freuten uns aufrichtig und nahmen Anteil am Leben des besten und liebsten Kapitäns, des Besatzungsingenieurs, des Besatzungschirurgen, der amerikanischen Besatzungsmitglieder. 

Werden wir Sirius-19 vermissen? Diese stetige Routine mit interessanter wissenschaftlicher Arbeit und täglichem körperlichem Training? Könnte sein. 

Wir haben hier unsere Freizeit damit verbracht, Bücher zu lesen, uns zu unterhalten und Filme anzusehen. Hier ist es fast immer ruhig und es gibt keine Aufregung. So war unser normales Leben an Bord.

Das wertvollste, was ich nach diesem Experiment für mich selbst gelernt habe, ist zu wissen, dass ich ein, wenn auch sehr kleiner, Teil bin, der zu dem komplexesten und unglaublichsten Abenteuer der Menschheit beiträgt - der Erforschung des Weltraums.

Wir sehen uns auf der Erde!

>>> Mondtagebuch, Teil 1: Wie bereitet man sich auf vier Monate auf dem Mond vor?

>>> Mondtagebuch Teil 2: Frauen und das Weltall – wie füreinander geschaffen

>>> Mondtagebuch Teil 3: Meine Hassliebe zum Weltraum-Laufband

>>> Mondtagebuch Teil 4: Wie lebt es sich in einer Raumstation?

>>> Mondtagebuch Teil 5: Wie übersteht man 36 Stunden ohne Schlaf?

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