Das Leben in einer Kommunalka: Fünf Überlebenstipps

Geschichte
ALEXANDRA GUSEWA
Das Zusammenleben in der Kommunalka, einer sowjetischen Gemeinschaftswohnung, war gewiss kein Zuckerschlecken. Hier sind unsere fünf ungewöhnlichen und nützlichen Haushaltsregeln, die auf dem Erfahrungsschatz der Sowjetbürger basieren.

Vorschrift Nummer Eins: Dem Spießbürgertum den Kampf ansagen

Nach der Revolution von 1917 erließ die neue bolschewistische Regierung einen Auftrag zur Optimierung des Wohnungsbaus. Große Wohnungen, besonders im Zentrum von Moskau und Sankt Petersburg, wurden in Gemeinschaftswohnungen umgewandelt. Die Besitzer hatten für ihre Familie und ihren Besitz nur einen Raum zur Verfügung und teilten die restlichen Räume mit Fremden und dessen Familien. Als Reaktion darauf wurden endlose Trennwände erbaut, um große Räume sowie Badezimmer zu teilen, ein Vorgang, den Michail Bulgakow in seinem Roman „Hundeherz“ darstellt.

Die Bolschewiki riefen die Menschen auf, sich gegen die bürgerliche Lebensweise auszusprechen, indem sie behaupteten, dass sie lediglich dazu diente, vom Aufbau des Kommunismus abzulenken. „Das Leben in unserem Zimmer war eigentlich ganz gemütlich, doch in der Schule brachte man uns bei, dass Bequemlichkeit für Spießbürgertum steht“, erinnert sich Autorin Lidija Lebedinskaja. „Als ich einmal von der Schule nach Hause kam, sah ich mich um und stellte fest, dass ich sofort gegen das Spießbürgertum etwas unternehmen musste. Die Erwachsenen waren immer noch nicht daheim, also nahm ich die Schere und schnitt die Tüllvorhänge am Fenster ab. Dann nahm ich alle Bilder und Porträts von den Wänden und warf Messer und Gabeln auf sie. Ich band alles mit einem Tischtuch zusammen und schmiss es in den Müll... Gerade als ich versuchte, den Teppich zu entfernen, kehrte mein Vater von der Arbeit zurück.“

Vorschrift Nummer Zwei: Auf den Zeitplan achten

Alles in den Gemeinschaftswohnungen lief nach einem strengen Zeitplan und strengen Regeln ab. Jeder Bewohner hatte nur etwa 30 Minuten pro Tag, um das Badezimmer zu benutzen. In dieser Zeit musste man es schaffen, sich, seine Kinder sowie seine Kleidung zu waschen. Dauerte der Aufenthalt im Bad zu lange, klopften die Nachbarn aufgebracht an die Tür. Es existierte sogar ein spezieller Zeitplan, wann die Wäsche getrocknet werden sollte, und so hingen Unterwäsche und Wäsche oft im Bad oder in der Küche.“

„Jeden Morgen stand man fürs Bad und die Toilette Schlange. Die Leute waren wütend: „Was macht er dort so lange?“ Alte Damen warteten geduldig mit den Nachttöpfen ihrer Enkelkinder“, erinnert sich der Künstler Soja-Serko.

Vorschrift Nummer Drei: Auf die Nachbarn achten

Manchmal gab es bis zu 15 Zimmer in einer Kommunalka, die jeweils von einer Familie bewohnt wurden. Sie können sich das Chaos in der Küche also vorstellen! Es gab mehrere Öfen und Tische, wobei man immer darauf achten musste, die eigenen Teller und Speisen nicht mit denen eines Nachbarn zu verwechseln, da sich sonst die Gemüter zu erhitzen drohten. Die Kinder sorgten oftmals für zusätzlichen Lärm und manchmal konnten in so einer Wohnung bis zu neun Katzen leben.

„Hausfrauen rannten mit Töpfen durch den Flur. Neben jedem Tisch in der Küche kochten die Leute Essen für den Abend und den nächsten Morgen vor. Es war durch all die Stimmen und die zischenden Öfen, dem ständigen Dampf, der aus dem Herd stieg, sehr laut und eine Reihe verschiedener Gerüche lag in der Luft, die den Hausflur und die Zimmer durchdrangen“, erinnert sich Soja-Serko.

In den siebziger Jahren gab es, um die Zeit, als die Leute anfingen, ihre eigenen Wohnungen zu erhalten und die Kommunalkas zu verlassen, einen bekannten Witz. Der traditionelle Hausfrauen-Stereotyp „Maria Iwanowna“ betrat, als alle noch schliefen, früh am Morgen die Küche und gab in die Töpfe der Nachbarn ein Abführmittel hinzu. Leider erinnerte sie sich erst nach etwa einer Woche daran, dass sie mittlerweile alleine lebte.

Vorschrift Nummer Vier: Eine funktionale Küche haben

Die neuen Wohnungen waren oft unglaublich klein und die Küche ungefähr fünf Quadratmeter groß, doch die Leute waren glücklich, weil sie endlich ein eigenes Zuhause hatten. Die neuen Küchen waren mit den gleichen Möbeln, der gleichen Heimelektronik und den gleichen Nahrungsmitteln, die in dutzenden von Dosen gelagert wurde, ausgestattet. Jene Dinge, die in der Küche keinen Platz mehr fanden, wurden gerne auf dem Balkon gelagert.

„Ich schrieb meine Doktorarbeit in der Küche, wir begrüßten die Gäste dort, plauderten bis in die frühen Morgenstunden und erzählten Witze“, erinnert sich der Moskauer Wjatscheslaw Sintschenko. „Der Lieblingsfeiertag war Silvester, mit den dazugehörigen Mandarinen, dem Oliviersalat und Fleisch in Aspik, was wir auf dem Balkon aufbewahrten. Da es viele Gäste gab, mussten wir den Oliviersalat in einer großen Emaillenschale mischen. Und natürlich war der Silvesterabend ohne den Film „Ironija Sudjby“ (Ironie des Schicksals) nicht vollständig.“

Vorschrift Nummer Fünf: Keine neuen Stiefel in weit entfernte Bezirke anziehen

In den 1960er und 1970er Jahren begannen die Menschen, von den Gemeinschaftswohnungen in der Innenstadt Moskaus, in entferntere Viertel zu ziehen. Dort wurden für sie vom sowjetischen Staat Wohnungen in neuen Gebäuden zur Verfügung gestellt. Einige Stadtteile lagen jedoch nicht nur vom Stadtzentrum, sondern auch von den öffentlichen Verkehrsmitteln weit entfernt.

Die Moskauerin Tatjana Starostina erinnert sich: „Im Jahr 1977 erhielten wir eine neue Drei-Zimmer-Wohnung am Ende der Birjuljewskaja Straße. Als wir dort ankamen, waren wir überrascht. Es war so ruhig, die Geräusche unserer Schritte hallten durch das ganze Viertel. Es gab ein großes leeres Grundstück hinter unserem Haus und man konnte den Wald in der Ferne sehen... Es war alles in Ordnung, außer der Tatsache, dass die nächste Bushaltestelle 15 Minuten zu Fuß entfernt lag und man bis zur nächsten U-Bahn-Station 25 bis 30 Minuten fahren musste. Meine erste Fahrt endete dramatisch. Ich kam eine Stunde zu spät zur Arbeit, brach den Absatz meiner neuen schwarzen Stiefel ab, für die ich vier Stunden lang im Kaufhaus GUM anstand und verlor schließlich alle Knöpfe, die noch an meinem Mantel dran waren.“

Die Ausstellung „Alte Wohnung“ (Link auf Russisch), in der rekonstruierte Innenräume des frühen 20. Jahrhundert bis in die 1990er Jahre zu sehen sind, kann bis zum 10. April im Moskauer Museum besichtigt werden.

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