Vierteilen und Erschießungskommandos: Wie in Russland die Todesstrafe vollstreckt wurde

Natalja Nosowa
1997 wurde in Russland die Todesstrafe abgeschafft. In der Geschichte des Landes wurden Straftäter jedoch über viele Jahrhunderte oft mit grausamen Methoden hingerichtet.

Das letzte Mal wurde die Todesstrafe in Russland im August 1996 vollstreckt. Der letzte Hingerichtete soll angeblich der Serienmörder Sergej Golowkin gewesen sein (rus), der wegen der Vergewaltigung und Ermordung von mehr als 30 Jungen zum Tode verurteilt worden war. Andere Quellen nennen den September 1996 als Zeitpunkt der letzten Hinrichtung. 

Andrei Tschikatilo. Von 1982 bis 1990 ermordete und vergewaltigte er brutal über 50 Kinder und junge Frauen. Er wurde 1994 nach einem zweijährigen Prozess hingerichtet.

Mit dem Beitritt zum Europarat im April 1997 verpflichtete sich Russland, in Friedenszeiten auf die Todesstrafe zu verzichten. Etwas mehr als zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, ein kurzer Zeitraum, gemessen an der langen russischen Geschichte. Wir erklären, wer wann in Russland und der Sowjetunion warum hingerichtet wurde. 

Ein Leben für ein Leben

Die Todesstrafe ist keine russische Erfindung. Als Bestrafung gab es sie schon in der Antike und überall auf der Welt. Im Mittelalter, als es noch kein verbindliches Rechtssystem gab, war es üblich, dass die Familie eines Mordopfers den Täter töten durfte. 

„Hinrichtung eines Bojaren“

Die Herrschenden hielten sich bei der Vollstreckung der Todesstrafe zurück. Es galt, sofern ein Opfer keine Verwandten hatte, als ausreichend, wenn der Mörder einen Obolus in die fürstliche Kasse entrichtete und sich so freikaufte. Es gab keine gesetzlich festgeschriebenen Hinrichtungsmethoden. Wie grausam sie durchgeführt wurden, hing von der Vorstellungskraft der Henker ab.

Doch nachdem die Kiewer Rus sich im Jahr 988 dem Christentum zuwandte, wurden heidnische Priester und Zeremonienmeister, die sich weigerten zu konvertieren, zum Beispiel bei lebendigem Leibe verbrannt.   

Grausame Führer 

Mit der wachsenden Macht der Moskauer Fürsten entstanden auch komplexere Gesetze mit Auswirkungen auf die Todesstrafe. Die Dwinskaja Gramota (rus) von 1398 sah zum Beispiel vor, dass ein Dieb, der zum dritten Mal erwischt wurde, gehängt werden sollte.

Öffentliche Hinrichtung im mittelalterlichen Russland

Die Vollstreckung der Todesstrafe war nun eine Angelegenheit des Staates. Vom Großfürstentum Moskau wurden mehr und mehr Straftaten mit der Todesstrafe geahndet. Das Sudebnik-Gesetz (rus) von Ivan III. von 1497 führte die Todesstrafe für „Diebstahl, Raub, Mord oder böswillige Verleumdung zum Zweck der Erpressung ein. Unter Iwan III. wurden jedoch auch von ihm unerwünschte Personen hingerichtet, etwa Ketzer. Diese wurden lebendig verbannt. 

Ein Sadist auf dem Thron 

Aber es war Iwan IV., bekannt als Iwan der Schreckliche (der zwischen 1533 und 1584 regierte), der die Todesstrafe sowie die Folter auf eine neue Stufe der Grausamkeit hob. In der Zeit der Opritschnina wurden mindestens 4 500 Menschen hingerichtet. Neben der Enthauptung war es eine weit verbreitete Methode, den Todeskandidaten in Stücke zu reißen. Die Verurteilten wurden auch mit Eisenstäben durchbohrt. Der Henker achtete darauf, nicht zu früh wichtige Organe zu verletzten, um die Todesqual zu verlängern.

Iwan der Schreckliche

Verräter wurden in Wasser, Wein oder Öl gekocht. Der Zar selbst war erfinderisch im Hinblick auf neue Hinrichtungsmethoden. So schreibt (rus) der Historiker Wladimir Ignatow in seinem Buch „Henker und Hinrichtungen in der Geschichte Russlands und der UdSSR“, dass er einmal befohlen habe, den Gouverneur Nikita Kasarinow, der das Mönchsgelübde abgelegt hatte, an ein Fass Schießpulver zu binden und ihn in die Luft zu sprengen, denn Mönche gehörten in den Himmel. 

>>> Des Zaren dunkle Reiter: Wer waren die „Opritschniki“?

Exekutionen à la Romanow 

„Verbrennung von Protopopen Awwakum“

Nach der anarchisch geprägten Zeit der Wirren (1598-1613) übernahmen die Romanows die Macht im Lande. Der Ratskodex von 1649 (rus), das wichtigste Gesetzbuch des Russischen Reichs für die folgenden 200 Jahre, sah nun die Todesstrafe für 60 Arten von Straftaten vor. Zu den amtlich vorgeschriebenen Bestrafungsarten gehörte beispielsweise das Verbrennen bei lebendigem Leibe wegen Gotteslästerung oder das Vierteilen. Fälscher, Abtrünnige, Vergewaltiger, Mörder und Diebe sollten immer hingerichtet werden. Bei geringfügigeren Vergehen wurden die Täter ausgepeitscht.

„Stepan Rasin“

Während der Regierungszeit von Alexej Michailowitsch Romanow (1645-1676) arbeiteten 50 professionelle Henker in Moskau. 7 000 Menschen starben durch ihre Hand.

Auch während der Regierungszeit von Alexejs Sohn Peter I. (1682-1725) floss viel Blut. Nach der Niederschlagung des Aufstandes der Strelizen 1698 wurden die Aufrührer auf dem Roten Platz hingerichtet. Zehn Tage dauerte das grausame Spiel. Die Mehrheit wurde gehängt, viele enthauptet, andere gerädert. Peter I. hat höchstpersönlich fünf Enthauptungen vorgenommen.  

„Morgen der Hinrichtung der Strelizen“

Eine kurze Atempause 

Ab dem 18. Jahrhundert waren die häufigsten Hinrichtungsarten Enthauptungen und Erschießungen durch Erschießungskommandos. Mit der Thronbesteigung von Elisabeth (regierte von 1741 bis 1762) änderte sich alles. Die Kaiserin war eine überzeugte Gegnerin der Todesstrafe und unterzeichnete während ihrer Herrschaft kein einziges Todesurteil. Sie empfand die Todesstrafe als Sünde und wollte ihr Gewissen nicht durch die Anordnung einer Ermordung belasten.  

Die Kriminellen, die zuvor hingerichtet worden wären, wurden nun gebrandmarkt oder anderweitig grausam gefoltert. Zudem drohte ihnen lebenslange Zwangsarbeit.

Die Todesstrafe gab es unter den Romanows nur noch für Staatsfeinde oder diejenigen, die der Zarenfamilie nach dem Leben trachteten. Zu den zum Tode Verurteilten gehörten Jemeljan Pugatschow, die Anführer des Dekabristenaufstandes und die Mörder von Alexander II. Von 1826 bis 1905 wurden in Russland lediglich 525 Menschen hingerichtet. Doch im 20. Jahrhundert änderte sich wieder alles. 

>>> Gegen Unterdrückung und Demütigung: Die größten Aufstände im zaristischen Russland

Bürgerkrieg 

Zwischen 1905 und 1910 wurden unter Nikolaus II. mehr als 3 700 Menschen hingerichtet, hauptsächlich durch Erhängen. Die Todesstrafe wurde in Folge der Aufstände, die das Russische Reich erschütterten, häufig verhängt.  

Nach der Oktoberrevolution 1917 und der Machtergreifung durch die Bolschewiki, erreichte die Gewalt einen neuen Höhepunkt. Nachdem die Todesstrafe im Oktober 1917 bis Februar 1918 zunächst abgeschafft worden war, hatte Lenins Regierung sie nicht nur wieder für zulässig erklärt, sondern es musste nun nicht mal mehr ein Gerichtsverfahren stattgefunden haben, um sogenannte Klassenfeinde hinrichten zu lassen.

Dies markierte den Beginn einer neuen Ära des Terrors. Die Bolschewiki eliminierten zwischen 1918 und 1922 systematisch alle, die ihre Vorstellungen von der idealen Gesellschaft ihrer Meinung nach nicht teilten. Wie viele Menschen dem zum Opfer fielen, ist unbekannt. Die Schätzungen liegen zwischen 50 000 und über einer Million. 

>>> Wie viele Opfer forderte der Rote Terror?

Hinrichtungen wie am Fließband 

Eine neue Welle des Terrors erfasste die UdSSR in den 1930er Jahren unter Josef Stalin. Nach konservativsten Schätzungen wurden zwischen 1930 und 1953 mehr als 780 000 Menschen hingerichtet. Nach dem Gesetz von 1935 durften Personen bereits ab dem zwölften Lebensjahr mit dem Tode bestraft werden. 

Während dieser schrecklichen Zeit wurden die Todesurteile wie am Fließband vollstreckt, durch professionelle Henker, die Mitglieder der KGB-Vorläuferorganisationen OGPU, NKWD oder MGB waren. 

>>> Kämpfen mit Fakten: Wie viele Opfer forderte Stalins Terror wirklich?

Das Ende der Todesstrafe 

Nach Stalins Tod im Jahr 1953 wurde die Todesstrafe weitaus seltener verhängt, blieb aber während der gesamten Sowjetzeit ein Instrument der Kontrolle über die Gesellschaft. Zwischen 1962 und 1989 erließen die Justizbehörden der UdSSR mehr als 24 000 Todesurteile (rus)

Knapp 2 500 dieser Todeskandidaten wurden begnadigt. Hinrichtungen erfolgten ausschließlich durch Erschießung. Im neuen Russland, das nach dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1990 entstand, wurde die Todesstrafe in viel geringerem Umfang verhängt: zwischen 1991 und 1996 gab es 163 Todesurteile. 

Die russische Regierung hat sich deutlich dagegen ausgesprochen, jemals wieder zur Todesstrafe zurückzukehren.

>>> Bußgeld für Mord? – So viel war ein Menschenleben im alten Russland wert

>>> Drei Schwerstverbrecherinnen, die in der UdSSR zum Tode verurteilt wurden

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!