10 Wörter um das alte Russland zu verstehen

Kira Lisitskaya (Photo: Maxim Dmitriev; Public domain)
Jeder der folgenden Begriffe war früher für die Russen grundlegend und entscheidend für ihr Leben. Wir erklären im Detail die Wörter, ohne die man sich das alte Russland nicht vorstellen kann.

 Isbá

Landschaft mit einer Isba von Alexej Sawrasow.

Im vorrevolutionären Russland war eine изба (isbá, dt.: Hütte, Stube) im Grunde jeder Raum oder Teil eines Raumes, der mit einem Ofen beheizt wurde. Sogar die Räumlichkeiten der Zarenpaläste konnten als isbá bezeichnet werden – so war beispielsweise die передняя изба (perédnjaja isbá, vordere Stube) der erste Raum, den die männlichen Gäste des Palastes betraten, und die отхожая изба (atchóschaja isbá) war die Latrine. So lebten sowohl Bauern als auch Zaren in Russland in einer isbá. Aber eine isbá  war ebenfalls ein alleinstehendes Haus, dessen zentraler Teil (ein Blockhaus mit vier Wänden) als клеть (kljetj, dt.: Zelle) bezeichnet wurde. Wenn diese Zelle nicht auf dem Boden, sondern auf einem hölzernen oder steinernen Sockel, einem подклет (padklét), stand, wurde das Ganze горницa (górniza) genannt.

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Obstschína (Mir)

Das Treffen der Bauern von Firs Schurawljow.

Die община (abstschína, dt.: Gemeinschaft, Gemeinde) war eine Organisationsform der bäuerlichen Gesellschaft. Sie wurde auch мiр (mir) genannt, nach den Regeln der vorrevolutionären Rechtschreibung mit dem so genannten Dezimal-i geschrieben, um es von dem Homonym  мир (dt.: Frieden) zu unterscheiden. Die Gemeinschaft war kollektiv für ihre Mitglieder verantwortlich, konnte Vertreter aus ihrem Umfeld wählen und gemeinsam über Fragen entscheiden, die alle ihre Mitglieder betrafen. Eines der wichtigsten sozialen Ziele der Bolschewiki nach der Revolution von 1917-1918 war die Zerstörung dieses Systems der Gemeinde, um die Grundlagen des ursprünglichen bäuerlichen Kollektivismus aufzulösen.

Wétsche

Die Wetsche von Apollinarij Wasnezow

Вече (wétsche) war der Name einer Volksversammlung in den russischen Landen, die einberufen wurde, um dringende Fragen des öffentlichen Lebens zu diskutieren. Die wétsche war eine Form der direkten Demokratie. An ihr nahmen die мужи (muschi), die Oberhäupter der freien Familien, teil, deren Stimmgewicht durch ihren sozialen Status bestimmt wurde. Vom Wort wétsche ist das Wort совет (sawjét, dt.: Rat) abgeleitet. Nach der Gründung des russischen Staates gab es eine Zeit lang den земский собор (sémskij sabór), eine Ständeversammlung, deren Mitglieder aus allen Landen zusammenkamen, um wichtige öffentliche Fragen zu lösen. Der земский собор konnte den Zaren auf dem Thron bestätigen, die Einberufung einer Bürgerwehr verkünden und wichtige staatliche Dokumente wie den Gesetzeskodex oder die Соборное Уложение (Sabórnoje Ulaschénije), das Reichsgesetzbuch, verabschieden.

Knjas

Der Hof eines Provinzfürsten von Apollinarij Wasnezow.

Князь (knjas, dt.: Fürst) war der Name des Stammesführers, des Oberhauptes eines Clans. Im Laufe der Zeit wurde dieses Wort zur Bezeichnung für die Oberhäupter der frühen Feudalstaaten, der Fürstentümer. Dort war der Fürst der Anführer der Streitkräfte, der die Bevölkerung vor Überfällen und Plünderungen schützte, der oberste Schlichter bei Rechtsstreitigkeiten und das religiöse Oberhaupt. Mit der Entwicklung der Gesellschaft und des Staates kam es zu einer Unterteilung in die великие князья (welíkije knjásja, dt.: Großfürsten) – die Häupter von Fürstentümern – und die удельные князья (udjélnyje knjásja, dt.: Lehensfürsten) – weniger bedeutende Herrscher, die oft kein eigenes Fürstentum besaßen und den großen Fürsten dienten. Iwan der Schreckliche war der erste Großfürst von Moskau, der zum Zaren gekrönt wurde – es gab also einen Zaren in Russland, im Vergleich zu dem alle anderen Fürsten eine geringere Bedeutung hatten.

Druschína

Fürst Wladimir ruht sich nach einer Jagd aus von Wiktow Wasnezow.

Die дружина (vom Wort друг, dt.: Freund) war die Armee eines Fürsten. Ursprünglich bestand die druschína aus dessen engsten Freunden und Kameraden, die nicht nur Gefährten, sondern auch militärische und zivile Berater des Fürsten waren. Ab dem 12. Jahrhundert teilte sich die druschína auf: Zu der лучшая дружина (lútschaja druschína)gehörten Bojaren, die engsten Freunde und Berater des Fürsten, die ihm im Kampf während der Schlacht stets zur Seite standen – die Bezeichnung bojár stammt vom Wort бой (boj, dt.: Kampf). Die молодшая дружина (maladjóschnaja druschína, dt.: junge Gefolgschaft)war eine zahlreichere Garde des Fürsten, die auch an Schlachten und Feldzügen teilnahm, aber den Fürsten nicht beriet. Starb der Fürst, konnte die druschína aufgeteilt werden und an seinen Nachfolger oder Bezwinger übergehen. Mit der Gründung des Moskauer Staates hörte die druschína auf zu existieren und wurde durch die Bojarenorganisation ersetzt.

Charómy

Der Palast in Kolomenskoje, eine Rekonstruktion von 1932.

In der Rus waren хоромы (charómy) große Holzgebäude, das aus vielen Zellen bestanden und mit Übergängen verbunden waren. In ihnen lebten die Zaren, die Bojaren und die Edelleute. Waren die Gebäude aus Stein, nannte man sie nicht mehr charómy, sondern paláty. Die charómy hatten nie eine Standardarchitektur – je einzigartiger der Bau war, desto angesehener war er. Die charómy von Zaren und Fürsten zum Beispiel wurden ständig umgebaut und erweitert. Diese ungeordnete Architektur und die ständige Rekonstruktion sollten die Macht und den Reichtum des Herrschers zeigen.

Rjad

Im modernen Russisch bezeichnet ряд (rjad, dt. Reihe) eine Abfolge von Objekten oder Erscheinungen. Aber im alten Russland bedeutete dieses Wort Vertrag oder auch  Vereinbarung. Deshalb leiten sich aus dieser Wurzel Wörter wie порядок (parjádok, dt.: Ordnung) und Dutzende weitere Substantive und Verben mit diesem Sinn ab. Das Dokument, das diesen rjad festschrieb, wurde рядная грамота (rjadnája grámota) genannt. Ein rjad konnte sowohl zwischen sozial gleichgestellten Menschen als auch zwischen dem Fürsten und seinem Gefolge, zwischen dem Fürsten und seinen Untertanen und sogar zwischen Städten und Ländern geschlossen werden. Der rjad wurde in der Regel in Anwesenheit von Zeugen, den sogenannten послухи (pósluchi), abgeschlossen, deren Namen in der rjadnája grámota angegeben wurden.

Krom

Krom in Pskow.

Das Wort кром (krom) bezeichnete in der Rus ein befestigtes Gebäude, das der Verteidigung gegen Feinde diente. Es ist eines der ältesten Wörter der russischen Sprache und stammt vom protoeuropäischen *kʷrom (dt.: Zaun). Von diesem Wort ist auch Kreml abgeleitet – so wurden die Festungen in Russland genannt. Einige von ihnen haben diesen Namen bis heute beibehalten – die Bewohner von Pskow beispielsweise nennen ihre Festung Krom und nicht Kreml.

Bárin

Als барин (bárin, dt.: Gutsbesitzer) wurde in der Rus ein hochgestellte Figur, ein wohlhabender Mann oder eine ehrenhafte Person bezeichnet. Das Wort stammt von bojár (siehe oben). Bojár konnte aber nur ein Mitglied des fürstlichen Rates genannt werden, für alle anderen Adligen wurde bárin verwendet. Mit dem Aufkommen der Leibeigenschaft begann man, jeden Grundbesitzer, der Bauern besaß, als bárin zu bezeichnen. Dieses Wort ist der Ursprung des Wortes барщина (bárstschina), das die Fronarbeit der Bauern für ihren Grundherrn bezeichnet.

Kopéjka

In Russland war die копейка (kopejka, dt.: Kopeke) eine Tauschmünze, deren Nennwert sich nie änderte – er betrug immer (bis heute) 1/100 eines Rubels. Ab 1535 begann man in Russland, eine Münze zu prägen, auf der der Heilige Georg (im Volksmund Jegórij oder Reiter genannt) mit einem Speer in der Hand abgebildet war – daher die Bezeichnung Kopeke, denn das Wort stammt von копьё (kapjó, dt.: Speer). Die Kopeke als Geldeinheit hatte für die Russen immer eine besondere Bedeutung: Das Sprichwort Wer die Kopeke nicht ehrt, ist den Rubel nicht wert kommt nicht von ungefähr. In Russland gibt es sogar einige Denkmäler für die Kopeke. Auch wenn die Kopekenmünzen heute keine praktische Bedeutung mehr haben, wurden sie jedoch bisher nicht offiziell aus dem Geldumlauf genommen.

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