Ich war 18 Jahre alt und trank gerade ein Bier in einer Kneipe im Sommer. Sie war neu und modern genug, um in der Nacht jeden meiner Zeitgenossen in der nicht allzu großen Stadt Skopje treffen zu können. Und während sich alle im Kreis drehten, tat mein Kumpel Scharko sein Bestes, um mir zu zeigen, dass ich überhaupt nichts über irgendjemanden wusste und es Dinge gab, die mein Verständnis übertrafen.
Es hörte sich ungefähr so an: „Das ist A, ein Architekturstudent. Das ist B, der macht Ethnologie und Anthropologie. C studiert Mathematik, D Politikwissenschaften, E Schauspiel, F Jura, G Anglistik, H wird auch Schauspielerin und I macht Defektologie...“
Und ich war mir so sicher, dass das ganze Alphabet hier, mich eingeschlossen, nur daran interessiert war, auszugehen, Spaß zu haben, dumme Witze weiterzuerzählen, Zeit zu verplempern, die Schule zu schwänzen und flachgelegt zu werden... Doch auf einmal verwandelten sie sich in Studenten, die ihrer Zukunft direkt in die Augen blickten, ein wenig Ahnung von Wissenschaft erworben hatten und im Begriff waren zu akademischen Bürgern und Draufgängern zu werden! Du meine Güte! Das schien so seltsam. So unfair! Sie hatten also all die Jahre ihre wahre Natur absichtlich vor mir verborgen. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich wie ein Volltrottel fühlte. Denn ich selbst wusste nicht, wohin ich gehen und was ich mit dem Tag anfangen sollte, abgesehen davon, die Welt und die Menschen zu beobachten.
Ich bestellte noch ein Bier...
„Wie wäre es, wenn du dich zu mir gesellst, hm?“, fragte mich Scharko. Er meinte damit Linguistik. Er hatte nämlich beschlossen, sein ganzes Leben dem Verständnis seiner einheimischen mazedonischen Sprache zu widmen.
„Nein, danke.“
„Wie wäre es mit einer Fremdsprache?“
Jetzt lachte er in mein Gesicht. Er wusste, dass ich vier Jahre gebraucht hatte, um drei Wörter auf Französisch zu lernen: Chapeau, voiture... und noch eins.
„Es gibt eine Sprache, bei der du bei Null anfangen kannst“, sagte Scharko.
„Ja, wirklich? Welche?“, fragte ich.
“Russisch, Alter!“
Ich dachte eine Weile über den Vorschlag nach und versuchte mich zu erinnern, was ich über Russland wusste... nicht viel. Ich versuchte mich außerdem daran zu erinnern, wie ich mich fühlte, als ich Dostojewski gelesen habe sowie an die Namen ein paar anderer russischer Schriftsteller. Okay, Dostojewski muss reichen, dachte ich. Erleichtert bestellte ich für mich und meinen Freund zwei Flaschen Bier. Nun hatte ich endlich das Gefühl, dass ich, wie jeder andere in meinem Alter, eine Aufgabe hatte.
Der Rest der Geschichte ist es nicht wert, erzählt zu werden. Bald stellte ich fest, dass Russisch zu lernen ein schwachköpfiger Einfall gewesen ist. Dann erinnerte ich mich jedoch daran, dass es die einzige Idee war, die ich hatte. Es gab noch das „Cherchez la femme“-Element, das natürlich eine russische Frau war. Übrigens habe ich diesen Satz aus einem russischen, nicht aus einem französischen Buch gelernt. Später wurde ich zu einem erstklassigen Studenten und danach zum Gastdozent für mazedonische Sprache an der Staatlichen Universität Moskau. Allerdings ein sehr schlechter, um ehrlich zu sein.
Letztendlich kann ich nicht wirklich sagen, dass ich in Russland lebe, weil ich einmal durch einen Zufall angefangen habe, die Sprache zu lernen. Ich kann aber auch nicht behaupten, dass es mir leid tut. Ich wünschte nur, die großen Entscheidungen würden bewusster getroffen werden, doch andererseits, wen interessiert es... Wenn Sie mich fragen, gibt es keine guten oder schlechten, netten oder rau klingenden Sprachen. Da wir nicht mehr im Mittelalter leben, gibt es keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Menschen. Ob Moskau, Reykjavik, Valparaíso oder die kleine, alte Stadt Skopje ... jeder Ort ist ein guter Ort, wenn man das Leben auf der Welt gerne beobachtet.
Hätte ich nicht angefangen, Russisch zu lernen, wäre ich eventuell zwar nach Russland gekommen, hätte aber sicherlich ich nicht den größten Teil meines Erwachsenenlebens dort verbracht.
In meinem Fall gab es beim Erlernen der Sprache mehrere Etappen, von „Brauche ich das wirklich?“, „Es sieht so aus, als ob ich sie niemals sprechen werde“ und „Was stimmt nicht mit den Leuten, die mir zu meiner Aussprache gratulieren? Sind sie taub?“ bis hin zu „Ich habe wahrscheinlich die Grenze meiner Möglichkeiten erreicht, also ist es mir nun echt egal, wie ich spreche.“
Ich schrieb „bis hin zu“, doch eigentlich gibt es beim Lernen einer Sprache kein Ende. Das Leben in Russland erlaubt es einem nicht, sich zu entspannen. Man selbst legt die Messlatte immer höher, verlangt immer mehr von sich. Man hofft zwar nicht mehr darauf, einen Roman auf Russisch zu schreiben und verabschiedet sich von dem Gedanken, einen Russen zu spielen, ohne synchronisiert werden zu müssen, nichtsdestotrotz gibt es immer etwas, wonach man streben kann.
Im Moment beschäftigt mich vor allem die Frage, ob ich bei der Kindererziehung mit den Kindern Russisch sprechen sollte. Die Kinder, die gestern das Bewusstsein verloren hatten, weil sie in ein Mumbarak statt obmorok fielen (zu Deutsch in Ohnmacht fallen), korrigieren heute plötzlich meine Grammatik und Aussprache.
Und wenn sie dann in der ersten Klasse sind, sagen sie dir, dass dieses Wort mit „y“ nicht mit „i“ geschrieben wird, während man gleichzeitig die Rolle eines Erwachsenen, dem die Kinder gehorchen müssen und der manchmal seine Stimme erhebt, übernehmen muss.
Gerade wenn man denkt, dass man alles, woran sie sich ihr Leben lang erinnern werden, im Griff hat, sieht man das schlaue Lächeln des Kindes und realisierst, dass man totalen Unsinn spricht. Doch vielleicht ist das okay so? Ich selbst fand immer, dass Eltern jede Gelegenheit nutzen sollten, nicht so pathetisch zu klingen.
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