Wie lebt es sich als Vegetarier in Russland?

Lifestyle
KSENIA SUBATSCHJOWA
Den russischen Winter ohne Fleisch überstehen und sich ständig für die eigenen Essgewohnheiten rechtfertigen müssen: Wie lebt es sich als Vegetarier in Russland?

1. Wie viele Russen sind Vegetarier?

Es gibt keine genauen Angaben über die Zahl der Vegetarier im Land. Es wird geschätzt, dass der Anteil bei drei bis fünf Prozent der Bevölkerung liegt. Die Mehrheit lebt in den Großstädten, vor allem in Moskau und Sankt Petersburg. In dieser Schätzung sind auch Veganer mit inbegriffen.

Die Gründe für die fleischlose Ernährungsweise sind sehr unterschiedlich. Manche mögen einfach den Geschmack von Fleisch nicht, andere halten es für gesünder, keine Tiere zu essen und wieder andere haben ethische Bedenken.

„Fleisch hat mir schon als Kind nicht geschmeckt, aber ich habe es dennoch lange gegessen, einfach, weil es überall auf den Tisch kam“, sagt Olga aus der russischen Stadt Serow. Sie ist nun Veganerin. „Der ethische Aspekt kam etwas später dazu, aber sehr schnell“, erzählt sie. Sie hat eine Weile in Indien gelebt und dort den Wert des Lebens entdeckt. Von da an verzichtete sie auf Fleisch, weil der Verzehr eine Industrie unterstütze, die Tiere schlecht behandelt.

Bekannte russische Vegetarier sind Pawel Durow, der Gründer der führenden Social-Media-Plattform des Landes, und einer der berühmtesten russischen Naturwissenschaftler der 81-jährige Nikolai Drosdow, der seit über 45 Jahren kein Fleisch mehr gegessen hat!  

2. Gibt es vegetarische Cafés, Restaurants und Geschäfte?

Die Zahl der Menschen, die fleischlos leben, wächst und ebenso die Zahl der Unternehmen, die ihre Bedürfnisse bedienen. Es gibt mehrere vegetarische und vegane Restaurants in Moskau und Sankt Petersburg sowie Lebensmittelgeschäfte, in denen es jede Menge Fleischersatz und gesunde Kost zu kaufen gibt.

„Ich bin vor fünf Jahren Vegetarier geworden und ein paar Monate später zog ich für ein Jahr nach Nischni Nowgorod. Dort war es fast unmöglich, diesen Lebensstil zu pflegen“, erzählt Erwann aus Frankreich. „Mittlerweile hat sich die Situation dort gebessert und es wurden einige neue Läden eröffnet. In Moskau ist alles viel einfacher. Hier gibt es viele vegetarische Geschäfte und Restaurants.“

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3. Gibt es russische Produkte und Gerichte, die für Vegetarier geeignet sind?

Die russische Küche ist sehr fleischlastig, aber es gibt dennoch leckere Alternativen für Vegetarier. Wareniki, fleischlose Varianten von Schtschi und Borschtsch oder Vinaigrette-Salat sind nur ein paar Beispiele für solche Gerichte.  

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4. Wie denken die Russen über Vegetarier?

Die Öffentlichkeit in Russland, vor allem außerhalb der Großstädte, hat immer noch eine ziemlich konservative Haltung, was den Verzicht auf Fleisch betrifft. Nur jeder Fünfte gab in einer Befragung im Jahr 2018 (rus) an, dass vegetarische Ernährung gut für die Gesundheit sei. 39 Prozent sind vom Gegenteil überzeugt.

Oft müssen sich Vegetarier rechtfertigen und erklären, warum sie auf Fleisch verzichten. „Wenn bei einem Treffen ein Vegetarier dabei ist, konzentriert sich in der ersten halben Stunde alles auf ihn und seine Essgewohnheiten“, sagt die Moskauer Journalistin Alexandra. „Wenn Sie sagen, dass Sie Vegetarier sind, hält man Sie entweder für einen Psycho oder geht davon aus, dass Sie nur einem Trend hinterherjagen.“

5. Kann man den russischen Winter überleben, ohne Fleisch zu essen?

Ohne Fleischkonsum ist es unmöglich, den harten russischen Winter zu überstehen. Das ist das häufigste Argument, das in Russland gegen vegetarische Ernährung vorgebracht wird. Maria Dobrowolskaja von der Russischen Akademie der Wissenschaften erklärt (rus), dass sich die russische Landwirtschaft im Norden zu Beginn der Kleinen Eiszeit nur langsam entwickelte. Daher hatten die Menschen keine andere Wahl, als das zu essen, was da war, und das war Fleisch und Fisch. 

Doch heutzutage ist das Überleben ohne Fleisch keinesfalls ein Ding der Unmöglichkeit, wie viele Erfahrungsberichte beweisen. Tamara, 32, Universitätsprofessorin aus Moskau, entschied sich vor zwei Jahren aus ethischen Gründen für den Verzicht auf Fleisch. Sie hatte keine Probleme durch den russischen Winter zu kommen.

6. Was sind die Hauptprobleme für Vegetarier und Veganer in Russland?

Anna aus Moskau war sieben Jahre lang Vegetarierin, dann hat sie im Jahr 2015 aufgegeben. Planung und Zubereitung der Mahlzeiten sei zu aufwendig gewesen und zudem sei vegetarische Ernährung zu teuer. „Mit einem mittleren Einkommen kann man sich das nicht leisten“, sagt sie.

Doch alle sagen, dass es für Vegetarier in Russland leichter geworden ist. „In Großstädten gibt es immer mehr Cafés, Restaurants, Geschäfte oder Bücher für Veganer und Vegetarier“, sagt Olga. Ihr Kreis wächst in Russland. Sie inspirieren sich gegenseitig und teilen ihre Erfahrungen und Geschichten online.”