MEINUNG: Vergessen Sie den Valentinstag! Es ist veraltet.

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JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA
Es ist keine schlechte Sache, am 14. Februar mit einem Fremden in seiner Wohnung Wein zu trinken. Aber es ist schon traurig, das zu tun, nur um an diesem Abend nicht allein zu sein.

Haben Sie jemals nach dem Valentinstag in Internetforen Kommentare von Frauen gelesen? Ich werde Ihnen davon erzählen. Die emotionalen Diskussionen beginnt häufig mit „Mädchen, das tut weh!“, gefolgt von einer Tirade darüber, wie sie sich auf diesen Tag vorbereitet und er ihn vergessen hat. Bald schon mischt sich ein Unbekannter mit der unpopulären Meinung in das Gespräch, „dieser ganze Druck, etwas zu schenken, geht mir auf die Nerven“. Der Anonymus wird einem Shitstorm ausgesetzt, die Diskussion kehrt zurück in die „richtige“ Richtung, unter dem Motto: „Und bei mir war es noch schlimmer“. Soviel zum Nachgeschmack dieses Feiertags.  

Dabei wissen die meisten Russen nicht einmal, wer dieser heilige katholische Valentin eigentlich war. Aber alle haben amerikanische Filme gesehen, in denen das Thema des Valentinstages genauso intensiv behandelt wird wie eine Alien-Invasion. Auch in Russland kaufen wir Blumen, Schokoladenherzen, Tassen mit Teddybären und Schmuck – zum dreifachen Preis. Wir tun alles in der besten Tradition eines Feiertags, von dem wir praktisch nichts wissen.

Zwanghaftes Bedürfnis

Vor zwei Jahren, erzählten uns Analystenvon Yandex, was und wie viel die Russen am Valentinstag berappen: Männer geben mehr, Frauen weniger aus – im Durchschnitt 50 Euro bzw. 30 Euro. Meistens schenken wir uns gegenseitig Telefone, teure Kugelschreiber, Tassen, T-Shirts, Kosmetika oder Tee. Das ist viel weniger als das, was Briten oder Amerikaner ausgeben (durchschnittlich jeweils 110 Euro für ein Geschenk). Wichtiger jedoch ist das Ritual selbst. Selbst wenn Sie irgendwelchen Plunder schenken (eine halbverwelkte Rose mit einer kitschigen Gratulationskarte), ist es doch ritueller Plunder. Ein Geschenk wird erwartet und diese Erwartung kann den ganzen Feiertag verderben. Denn sie stimmt selten mit der Realität überein. Viel öfter kommt es jener Frustration nach dem Feiertag, über die ich eingangs gesprochen habe.

Aber wirklich Mitleid verdient haben die Singles. Der Valentinstag ist für sie ein gnadenloses Ereignis. Besonders, wenn man eine Frau ist. Und vor allem, wenn man über 30 ist. Eine Single-Frau in Russland zu sein, ist weniger angenehm als ein Single-Mann. An diesem Tag fühlt man das besonders gut. So betrinkt man sich beim Film Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück, schaltet das Radio nicht ein (denn zwischen Rihanna und dem Wetterbericht wird immer ein Liebesgeständnis übermittelt) und, Gott bewahre, dass man an diesem Tag allein ins Kino oder Restaurant geht.

Am 15. Februar ist dann alles vorbei. Als Single ist man wieder eine eigenständige Person, die für ihr Glück niemand anderen benötigt. Die Frage ist, ob dieser Feiertag den Druck wert ist. Ursprünglich sollte dieser Tag einsamen Herzen ein wenig beistehen, indem ein einfaches anonymes Kompliment ihnen ein wenig Freude bereitet. Aber die Idee wurde pervertiert: In Russland ist der Valentinstag ein Tag sowohl für frisch verliebte Paare als auch für solche, die bereits seit Jahrzehnten verheiratet sind, sowie eine Mischung aus Mutter- und Kindertag (denn auch Mütter und Kinder beschenken sich am Valentinstag einander und sagen, dass sie sich lieben). Wie auch immer – dies ist der Tag der glücklichen und erfolgreichen Menschen, die einander lieben. Wer niemanden zum Lieben hat, möge das Weite suchen. Das einzig Beruhigende dabei ist: Die Tradition verliert an Popularität. 

Ein Fest für die Kleinen

„Die Hälfte der russischen Bevölkerung lehnt den Valentinstag ab“, wurde 2019 berichtet. Die von der Dating-Plattform Mamba durchgeführte Umfrage zeigt, dass  41 % der Männer und Frauen das russische Äquivalent dieses Feiertags bevorzugen – den Tag der Familie, Liebe und Treue. Der wird am 8. Juli gefeiert – dem Gedenktag der orthodoxen Heiligen Petrus und Febronia. Die Legende lautet: Fürst Peter erkrankte an Lepra und nur die Tochter eines Imkers konnte ihn heilen. Er heiratete sie, aber nicht sofort, sondern erst nachdem die Lepra ihn wieder befallen hatte. Die Geschichte soll sich Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts ereignet haben. Heute wird unser „Valentinstag“ ihnen zu Ehren gefeiert. 

Ja, der 8. Juli scheint in Russland eine bessere  Variante zu sein als der 14. Februar, schon allein deshalb, weil er unsere Heiligen ehrt. „Das ist nicht unser Feiertag! Warum müssen wir andere nachäffen und ein fremdes Fest feiern?“, ist der beliebteste Einwand derer, die sich gegen den Valentinstag sträuben. Jedes Jahr am 14. Februar fordern Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche empört ein Ende dieses Unfugs. 

Glaubt man einer Analyse des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung aus dem Jahre 2016, hatte der Medien-Hype um den Valentinstag seinen Höhepunkt im Jahre 2012 und seit fünf Jahren nimmt die Aufmerksamkeit für diesen Feiertag stetig ab. Man könnte davon ausgehen, dass die Russen verstärkt den 8. Juli feiern, aber auch das ist nicht der Fall. Nur wenige Menschen gedenken am 8. Juli ihrem Heimatland. Für mich ist offensichtlich, warum: Über diesen Tag werden keine romantische Komödien gedreht, die Geschäfte schmücken ihre Schaufenster nicht mit Kunststoffherzen, niemand ruft bei den Radiosendern an, um seiner oder ihrem Liebsten zu gratulieren. Kurz gesagt, ohne den ganzen Trubel, den wir so sehr hassen, gibt es keinen richtigen Feiertag.

Der Valentinstag in Russland ist heutzutage nicht mehr so beliebt und ich bin mir sicher, dass er nie wieder so populär sein wird wie früher. Denn wenn es nur darum geht, nicht vergessen zu werden oder ein Geschenk zu bekommen, ist dieser Feiertag vollkommen überflüssig. Wenn sich so viele Menschen dadurch schlecht fühlen, ist es ein unnötiger Feiertag.  

Meinen schönsten Valentinstag erlebte ich in der dritten Klasse. Ich brachte sieben Valentinskarten von der Schule mit nach Hause und hatte keine Ahnung, von wem sie waren. Es war überraschend, aufregend und sehr angenehm. Mein schlimmster Valentinstag? Es waren so viele, dass ich mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern kann. Es ist ein schöner Feiertag, wenn man jung ist und keine Erwartungen erfüllen muss. Wenn man erwachsen ist, lädt man einfach eine Dating-App herunter. Ein paar Swipes und ein Partner für heute Abend ist gefunden. Aber wie traurig wäre es, sich mit einem Fremden in der Wohnung bei einem Glas Wein wiederzufinden und sich gegenseitig zu gestehen, dass man nur aus einem Grund hier war – um sich heute Abend nicht allein zu fühlen. Ich war schon mal in dieser Situation. Es war nicht die angenehmste Erfahrung in meinem Leben. 

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