Jaroslawl ist eine der historisch reichsten Gegenden Russlands. Die Goldene-Ring-Stadt liegt etwa 200 Kilometer nordöstlich von Moskau an der Wolga und ist heute ein Industriezentrum mit rund 650.000 Einwohnern. Aber bereits im Mittelalter war Jaroslawl eine der größten Städte der Alten Rus und vor allem ein religiöses Zentrum. Die Stadt hatte ihre eigene Ikonenmalerei-Schule und vom 16. bis ins 19. Jahrhundert die größte Kirchen- und Kirchenkunstdichte im Land.
Vergeistigtes Handelszentrum
Jaroslawl wurde im 11. Jahrhundert von Jaroslaw dem Weisen gegründet, einem der bedeutendsten Herrscher der mittelalterlichen Rus. Schon 200 Jahre später bestand die Stadt bereits aus zahlreichen Ziegelsteinkirchen und Klöstern, als die meisten Gebäude noch aus Holz gebaut wurden.
1238 wurde Jaroslawl von der Goldenen Horde auf ihrem Streifzug gen Westen überfallen. Die Befreiung von den Okkupanten aus dem Osten verlief langsam und erst die Union mit dem Großfürstentum Moskau im 15. Jahrhundert ermöglichte der Stadt eine wirkliche Integration in eine größere politische und wirtschaftliche Struktur.
Jaroslawl profitiert natürlich von seiner geografischen Lage: Die Wolga dient als Transportweg für allerlei Waren, aber auch als Zugang zum Russischen Norden – bis zur von Iwan IV. gegründetenHafenstadt Archangelsk, die über das Weiße Meer einen Zugang sowohl gen Westen nach Europa als auch später gen Osten in Richtung Sibirien gewährleistete. Damit zog Jaroslawl stets zahlreiche Kaufleute an – darunter auch aus England, Holland und Deutschland.
Denkmal des russischen Einfallsreichtums
Wie durch ein Wunder überlebten viele Gotteshäuser in der Stadt nicht nur die Zeit der Wirren, sondern auch die atheistische Sowjetzeit: Die Johannes-der-Täufer-Kirche im heutigen Stadtteil Toltschkowo an dem kleinen Wolga-Arm Kotorosl ist ein besonderes Beispiel dafür. Die Toltschkowo-Kirche wurde sechzehn Jahre lang – von 1671 bis 1687 – gebaut. Beteiligt waren sowohl einfache Gemeindemitglieder als auch die Unternehmerbrüder Rodion und Leontij Jeremin, die Ledermanufakturen in der Gegend Umsatz betrieben.
Zum Bauplan gehörte sowohl eine geschlossene Galerie über drei Seiten der rechteckigen Grundfläche sowie je zwei Kapellen im Ostflügel. Die Ziegelfassade wurde mit Säulen und dekorativen Elementen wie kleinen Miniaturbögen aus gemustertem Ziegel über den Säulen geschmückt.
Besonderen Einfallsreichtum legten die anonymen Baumeister allerdings bei der Gestaltung der zwei Kapellen an den Tag, die den drei Heiligen Basilius dem Großen, Gregorij dem Gelehrten und Johammes Chrysostom sowie den Kasaner hailigen Wunderheilern Gurij und Warsonofius gewidmet sind. In einer vollkommen einzigartigen Konstruktion erheben sich die Kappelsimse bis auf die Höhe des Hauptschiffes. Im Resultat liegen alle Dächer auf einer Ebene, was dem Betrachter einen geradezu übermächtigen Eindruck vermittelt.
Zur Toltschkowo-Kirche gehörten außerdem noch einige Zusatzgebäude, zum Beispiel eine kleinere Winterkirche. Gebaut zwischen 1659 und 1665, überstand sie jedoch nur knapp 300 Jahre: In den sowjetischen 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie zugunsten einer neuen Fabrik abgerissen.
Der dominanteste Teil des gesamten Kirchenensembles jedoch ist natürlich der Glockenturm, der im 18. Jahrhundert im Stile des bekannten „Moskauer Barock“ ergänzt wurde. Er ist über 150 Fuß hoch und mit Ziegelelementen dekoriert, indem russische und holländische Stile kombiniert wurden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelteder russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Suzdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Zahlreiche russische Webseiten führen nun Teile dieser Kollektion auf.