Am 17. Dezember 2016 fiel der entscheidende Startpfiff. Seitdem verkehren wöchentlich zwei schicke neue Hochgeschwindigkeitszüge aus dem Hause der spanischen Waggonbauer Talgo unter dem klangvollen Namen „Strisch“ (deutsch: Mauersegler) zwischen der deutschen und der russischen Hauptstadt – Moskau-Berlin freitags und sonntags, Berlin-Moskau samstags und montags.
Die Gliederwagen in den Farben der russischen Trikolore ziehen am Moskauer Weißrussischen Bahnhof die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Sie erinnern an die russischen „Sapsan“-Schnellzüge oder auch den deutschen ICE. Am Nachbarbahnsteig steht ein weniger moderner Zug ins weißrussische Brest.
Mit großen Augen und ebenso großen Koffern stehen die ersten Fahrgäste auf dem Bahnsteig und stiefeln zu den „Stewards“. So nennen sich die Zugbegleiter hier. Der Service erinnert an Flugzeuge. Hier finden Sie Kopfhörer und Radiosender, ins zugeigene WLAN-Netz können Sie sich folgendermaßen einloggen usw.
Im „Strisch“ gibt es vier verschiedene Klassen: Sitzwagen mit modernen Liegesitzen, die fast bis in die Horizontale verstellt werden können; klassische Coupé-Wagen mit vier Schlafplätzen, Luxus-Single-Abteile und die absolut elitäre, sogenannte „weiche Klasse“. Die Ticketpreise für eine einfache Fahrt starten bei rund 11.000 Rubel (ca. 180 Euro) und können bei Knappheit in den Luxusklassen auf bis zu 45.000 Rubel (rund 600 Euro) steigen.
Der „Strisch“ hat die klassischen Coupé-Fernzüge zwischen Moskau, Berlin und Paris (im Sommer sogar Nizza!) nicht abgelöst. Er verkehrt zusätzlich. Und obwohl die Tickets natürlich spürbar teurer sind, bietet er doch einen großen Vorteil: eine Zeiteinsparung von bis zu fünf Stunden. Grund: die unterschiedlichen Spurweiten. 1520 Millimeter sind es in Russland und den GUS, nur 1435 Millimeter in Mitteleuropa.
Während an den herkömmlichen Waggons am Spurweitengrenzbahnhof Brest in Belarus (gleichzeitig Grenzübergang zwischen Polen und der EU sowie der Zollunion Belarus/Russland) in einer mehrere Stunden dauernden Prozedur in der bahnhofsnahen Werkshalle die Fahrgestelle gewechselt werden müssen, besitzt der „Strisch“ umspurbare Gestelle und muss nur eine sogenannte Umstellspur passieren. Das dauert keine halbe Stunde. In der Werkshalle hängen noch mehrere Moskau-Paris-Waggons in der Luft und warten auf neues Räderwerk, als der „Strisch“ schon die EU-Grenze hinter sich lässt.
Wichtig ist, dass Sie es bei einer Fahrt noch schaffen, bis zum Abend und bis zur EU-Grenze im Restaurant zu speisen. Denn aufgrund der strengen Brüsseler Einfuhrbestimmungen gibt es nach der Grenzüberfahrt nur noch Kartoffelpuffer, Haferbrei und Salat. Kein Fleisch, keine Milchprodukte aus Russland. So will es die Regelung. Und dann kommen Grenze, Passkontrolle und Spurweitenänderung – alles geht vorbei wie im Fluge.
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Das Publikum im „Strisch“ unterscheidet sich deutlich von dem der älteren Passagierzüge. Während in jenen viele Familien mit Kindern und riesigen Gepäckfuhren reisen, ist dafür im „Strisch“ weniger Platz. Ebenso für die klassischen Zugunterhaltungen. Hier sitzen Geschäftsleute am Laptop oder erholen sich mit Stöpseln im Ohr. In den Luxus-Abteilen können sich die Fahrgäste vom Reiseplan bis zum Abendessen alles ins Abteil bringen lassen. Die „Stewards“ sind im Dauerstress.
Dafür entsteht am Berliner Ostbahnhof ein besonderes Bild: In der Haupthalle schallen die ersten russischen Worte durch die Luft. Viele deutsche Passanten kommen neugierig auf den Bahnsteig gucken, was denn da für ein ungewöhnlicher Zug mit Ziel Moskau steht. Die „Stewards“ stehen derweil stramm jeder an seiner oder ihrer Tür.
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