Das Tjumener Dreifaltigkeitskloster: Testament eines sibirischen Schicksals

1912

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Sergej Prokudin-Gorski
Kulturen, Konflikte und Kunsthandwerk prägten über Jahrhunderte diesen architektonischen Schatz in Westsibirien: das Dreifaltigkeitskloster in Tjumen.

1999

Das Tor nach Osten

Die Erschließung Sibiriens bedeutete für die russischen “Kolonisten” im 16. und 17. Jahrhundert beschwerliche Reisen durch unbekanntes und wildes Land. Meist unternahmen Kaufleute diese Reisen, deren kommerzielles Interesse an der Öffnung des östlichen Marktes damals mit dem Appetit der Zaren nach Expansion zusammenfiel. Die heute westsibirische Stadt Tjumen wurde 1586 am Zusammenfluss der Tura und Tjumenka gegründet und war die erste dauerhafte und feste Siedlung der Russen in Sibirien. Initiiert hatte die Stadtgründung Boris Gordunow, der mächtige Drahtzieher hinter dem damaligen Zaren Fjodor I., der 1598 dann auch selbst Zar wurde.

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Die einflussreiche Adelsfamilie Stroganow zog dazu Kosaken-Einheiten von deren Handelszentren nach Sibirien zusammen, um die Macht des Tatarenherrschers Khan Kutschum in Schach zu halten. Ihr Anführer Jermak Timofejewitsch und seine Männer sollen in der Vergangenheit als Flusspiraten aufgefallen sein, bevor die Stroganows sie in ihren Dienst stellten.  Anfang der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts erreichten die Einheiten Tjumen, das damals noch Tschingi-Tura hieß. Und so begann Thumens Geschichte wie die der meisten westsibirischen Städte als eine Festung für die Kosaken und andere Truppen, die die Handelsrouten nach China überwachten.

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Die Lage Tjumens war strategisch klug gewählt: Von hier aus waren das ebenfalls von Gordunow östlich des Ural-Gebirges gegründete Werchoturje sowie die Flüsse Tobol, Irtysch und letztlich die damalige sibirische Handelshauptstadt Tobolsk günstig zu erreichen. Damit spielte Tjumen als „Tor nach Osten“ eine Schlüsselrolle bei der Erschließung ganz Sibiriens.

Das Kiew Sibiriens

Leider gibt es keinerlei architektonische Zeitzeugen aus Tjumens erstem Jahrhundert mehr. Die ersten Gebäude bestanden aus Holz, sogar die Festungsmauern, und vielen spätestens dem großen Feuer in der Stadt 1695 zum Opfer. Daraufhin ordnete die Sibirien-Abteilung der Regierung in Moskau an, von nun an mit Ziegel- und weißem Stein zu bauen. Die neuen Stile sollten dann auch dem Geschmack des jungen Reformer-Zaren Peter I. entsprechen, der trotz des parallel verlaufenden heftigen Krieges gegen die Schweden auch die weitere Erschließung Sibiriens intensiv vorantrieb. Aber auch diese Gebäude gingen leider 1705 und 1766 in Flammen auf.

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Der imposanteste Bau aus dem wertvollen weißen Gestein ist das Dreifaltigkeitskloster, das um 1616 am rechten Ufer des Tura-Flusses am nördlichen Rand Tjumens gegründet wurde. Das war zunächst der Verklärung des Erlösers geweiht worden, aber im 18. Jahrhundert gestaltete der energische Geistliche Filofej (Rafail Leschtschinski), der 1702 sein Amt als Metropolit für Tobolsk und Sibirien antrat, es um.

Leschtschinski hatte an der Geistlichen Akademie in Kiew studiert und stieg dann Schritt für Schritt in der Hierarchie des berühmten Kiewer Höhlenklosters auf. So ist es wenig verwunderlich, dass die von ihm eingeschlagene Architekturrichtung sehr an den Ukrainischen Barock erinnern.

Im Zentrum des Ensembles steht das die Dreifaltigkeitskathedrale (Bauzeit 1709 – 1715). Von der Dekoration der Außenwände bis hin zur Formung der Kuppeln entspricht der Bau dem damals populären Kiewer Stil. Kein Wunder, denn auch der Baumeister stammte aus Kiew.

Im Zentrum des Ensembles steht das die Dreifaltigkeitskathedrale (Bauzeit 1709 – 1715). Von der Dekoration der Außenwände bis hin zur Formung der Kuppeln entspricht der Bau dem damals populären Kiewer Stil. Kein Wunder, denn auch der Baumeister stammte aus Kiew.

Steinverbot, Plünderungen und "Auferstehung"

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Filofej nutzte weiter erfolgreich seine Beziehungen in die Politik, um das Tjumener Kloster weiter auszubauen. Peter der Große verbot von 1714 bis 1722 zeitweise den Mauerbau im Land, da er sämtliches Gestein des Landes zum Bau der neuen Hauptstadt Sankt Petersburg benötigte. Darum konnte auch Filofej erst nach Ende jenes Erlasses die mittlerweile dritte Kirche in seinem Kloster errichten. Materialmangel und der Tod Filofejs jedoch verzögerten die Fertigstellung um Jahrzehnte – bis 1755.

Die Kommunisten ließen das Kloster wie so viele Schicksalsbrüder im Land natürlich schließen. Ab 1923 wurde das Ensemble geplündert und entweiht. Und dann bedrohte auch noch der Bau eines Wasserkraftwerks unweit des Klosters die Stabilität der Klostermauern.

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Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Kloster jedoch mittlerweile umfassend restauriert und strahlt erneut in fast altem Licht am hohen Ufer über dem Fluss Tura.

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