Erhabenes Exil: Fürbitte-Kloster in Susdal

William Brumfield
Ein architektonisches Wunderwerk in der altrussischen Kleinstadt birgt eine komplexe Geschichte.

Moskauer Chic für die russische Provinz

Das 1364 gegründete Kloster wurde bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts vollständig aus Holz gebaut. Dann nahm sich der Moskauer Großfürst Basilius III. seiner an. Mit seiner Unterstützung begannen 1510 die Arbeiten an der 1514 geweihten Kathedrale der Fürbitte der Jungfrau Maria.

Die Backsteinstruktur wies deutliche Merkmale der Moskauer Kirchen auf, wie z. B. die spitzen dekorativen Kokoschniki in achteckiger Anordnung an der Basis der die zentrale Kuppel tragenden Trommel. Im Laufe der Jahrhunderte wurde diese vertikale Krone durch eine barocke Kuppel modifiziert und erhöht.

Eine Restaurierung in den späten 1950er Jahren durch den renommierten Spezialisten Alexei Warganow brachte die Kuppel in ihre ursprüngliche Form zurück. Neben der Hauptkuppel hat die Fürbitte-Kathedrale zwei kleinere Kuppeln über den Kapellen an den östlichen Ecken im Stil der Mariä-Verkündigungs-Kathedrale des Moskauer Kreml.

Die Fassaden der Fürbittenkathedrale zeigen blinde Bögen und eine Reihe abgerundeter Giebel (Sakomary), die vor der mongolischen Eroberung 1237 bis 1240 in der susdalschen Architektur üblich waren. Diese Formen wurden im späten 15. Jahrhundert mit dem Wiederaufbau der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Kreml wiederbelebt. Die im 18. Jahrhundert eingeebneten Sakomary wurden auch von Warganow restauriert. 

Exil für die gehobenere Damenwelt

Das Fehlen eines männlichen Erben und die Gefahr dynastischer Instabilität führten Basilius 1525 mit der Unterstützung von Metropolit Daniil zur Scheidung seiner Ehe. Die Ex-Frau Solomonija wurde in das Moskauer Kloster der Geburt der Jungfrau Maria gebracht, wo sie den religiösen Namen "Sophia" annahm. Kurz darauf wurde sie im selben Susdaler Fürbitte-Kloster ins Exil geschickt. Sie starb dort im Dezember 1542. Basils spätere Heirat 1526 mit Elena Glinskaja (ca. 1508-38) brachte schließlich 1530 einen männlichen Erben hervor: den ersten russischen Zaren Iwan IV, später besser bekannt als Iwan der Schreckliche.

Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde Solomonija-Sophia als Heilige und sogar als Märtyrerin verehrt. Wunder wurden später ihrer Macht zugeschrieben, Patriarch Joseph erlaubte 1650 ihre lokale Verehrung als Sophia von Susdal, eine Entscheidung, die die Zahl von Pilgern zum Fürbitte-Kloster erhöhte.

Solomonija-Sophia aber war lange nicht die einzige oder letzte Frau mit edlem Status, die im Fürbitte-Kloster eingesperrt wurde. Zu diesen Unglücklichen gehörte auch Anna Vasiltschikowa, die Iwan der Schreckliche sich 1575 zur fünften Frau nahm. Bald darauf wurde sie ins Fürbitte-Kloster gezwungen, wo sie 1579 starb.

Der berüchtigtste Fall aber war der von Eudoxia Lopuchina (1669-1731), der ersten Frau Peters des Großen. Die Ehe, die drei Söhne hervorbrachte (von denen zwei im Säuglingsalter starben), war unglücklich, und der Lopuchin-Clan hatte wenig Sympathie für Peters Neigungen zur westlichen Kultur. Im Jahre 1698 schickte der verärgerte Peter Eudoxia unter dem Namen Elena ins Fürbitte-Kloster, wo sie die nächsten 19 Jahre ihres Lebens verbrachte.

Aber die makabre Geschichte endete nicht mit ihrem Exil. 1716 vermutete Peter einen Komplott gegen ihn, in den sein Sohn und Thronfolger Alexei (1690-1718) verwickelt war. Zunehmend verängstigt, unternahm Alexei 1717 einen vergeblichen Flug nach Österreich. Nach der Rückkehr von Alexei Anfang 1718 verursachten längere Verhöre seinen Tod in jenem Sommer.

Die verzweigte Untersuchung führte zu Eudoxia zurück, die in den Jahren 1709-10 mit dem adeligen Armeeoffizier Stepan Glebow die klösterliche Akese missachtete. Obwohl keine schlüssigen Beweise gefunden werden konnten, um Eudoxias Sympathisanten mit Alexeis Flucht zu verbinden, wurde Peter von Informationen über Glebows Verhalten so erzürnt, dass er Glebow im März 1718 anhaltend foltern und dann brutal auf dem Roten Platz hinrichten ließ. Eudoxia wurde im fernen Ladoga Dormition Convent ins Exil geschickt. Die Folgen der "Susdal-Affäre" sollten sich in weiteren Verhaftungen über Jahre hinweg wiederholen.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Susdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Zahlreiche russische Webseiten führen nun Teile dieser Kollektion auf.

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