Der Smolensker Kreml – Russlands Bollwerk gen Westen

2014

2014

William Brumfield
Die Smolensker Festungsanlage überdauert bereits Jahrhunderte voller Konflikte.

Das heutige Smolensk ist eine entspannte, sehr grüne Provinzhauptstadt mit rund 325.000 Einwohnern. Doch diese gelassene Erscheinung täuscht über seine turbulente Geschichte hinweg. Bis heute hat Smolensk einige der ältesten Kirchen in Russland.

An der Kreuzung der Achsen der Macht

Smolensk gehört zu den ältesten historischen Stätten Russlands. In den mittelalterlichen Chroniken wurde es erstmals 862 als Zentrum des ostslawischen Kriwischi-Stammes erwähnt. Am oberen Dnjepr-Lauf gelegen, war die strategisch außerordentlich wichtige Position auf den wichtigen Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des europäischen Teils Russlands für die Stadt sowohl Segen als auch Fluch.

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts gehörte die Stadt zum Einflussbereich Kiews, dem Zentrum der Waräger-Fürsten der Rjurik-Dynastie am mittleren Dnjepr. Es lag an der lukrativen Handelsroute zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer, von "den Warägern zu den Griechen". Vom 16. Jahrhundert bis zum 20. Jahrhundert erlebte die Stadt mehrere Zusammenstöße mit dem Westen.

Mit der christlich-orthodoxen Taufe der Kiewer Rus unter Großfürst Wladimir 988 erreichten auch byzantinische Formen aus Architektur und Kunst das Dnjepr-Becken. In den 1050er Jahren wurde Smolensk dann ein Fürstentum, das schließlich stets mit der Macht Kiews konkurrierte.

Smolensk blieb die Verwüstung durch die mongolischen Invasoren im Winter 1237-38 erspart, während Kiew 1240 weitgehend zerstört wurde. In den folgenden vier Jahrhunderten wechselte Smolensk zwischen immer wieder die Verbündeten – zwischen dem Großherzogtum Litauen, Polen und Moskau. Die Einnahme von Smolensk im Jahr 1514 durch den Moskauer Großfürsten Wasilij III gilt als ein wichtiges Ereignis in der russischen Geschichte.

Ein monumentales Projekt

Die strategische Bedeutung von Smolensk erkannte erst Zar Boris Godunow (1551-1605), der es als Bollwerk gegen Polen ansah und zwischen 1595 und 1602 den grundlegenden Wiederaufbau der Stadtmauern anstrengte. Die Festung war eines der größten russischen Bauvorhaben der Zeit vor der Herrschaft Peter des Großen. Der Kreml besaß 38 Türme entlang der mehr als vier Meilen langen Mauern. Zum Vergleich: Die Moskauer Kreml-Mauern sind weniger als 1,5 Meilen lang.

Den Bau betreute der renommierte Ingenieur Fjodor Kon. Die Arbeiten erforderten enorme Ressourcen, Zwangsarbeiter aus dem ganzen großen Gebiet des Moskauer Staates, aus Klöstern und privaten Ziegeleien, die zum Staatsdienst angeworben worden waren. Produktion und Arbeitskräfte wurden unter einem zentralisierten Verwaltungssystem organisiert, das unter Godunows Anleitung erweitert wurde. Eine der Hauptkomponenten dieses Systems war der Mauer-Erlass von 1584. Jeder andere Mauerbau, der nicht mit dem Smolensker Kreml verbunden war, wurde für die Bauzeit unter Androhung der Todesstrafe verboten. Die Produktion von einer Million Ziegel, die für die Smolensker Mauern benötigt wurden, der großen Menge an Kalksteinblöcken für den Grund sowie Kalk, Eisen und anderen Komponenten forderte eine rasche Standardisierung von Baumaterialien, insbesondere Ziegelgrößen.

Die langen Kremlmauern besaßen im Inneren Geheimgänge und waren mit Zinnen gekrönt, um sich vor feindlichem Feuer zu schützen. Viele der Türme waren quadratisch, aber besonders wichtige Punkte wurden von massiven polygonalen Türmen wie dem Adler-Turm an der Südwand dominiert.

Trotz dieser abschreckenden Mauer verlor Russland Smolensk während der Zeit der Wirren doch wieder an Polen. Seit Godunows Tod 1605 bis zum Ende der 1610er Jahre wurde Russland von ausländischen Invasionen geplagt. Im Juni 1611 fiel Smolensk nach 20 Monate lang andauerndem Widerstand an die Polen. Ein Versuch, Smolensk während des Russisch-Polnischen Krieges 1632/34 (auch bekannt als der Smolensk-Krieg) zurückzuerobern, scheiterte schmählich.

Smolensk kehrte erst 1654 in den Moskauer Machtbereich zurück. Mit dem Andrusowo-Waffenstillstand von 1667 wurde Moskaus Besitz formell von Polen anerkannt und 1686 erneut durch den Frieden zwischen beiden Ländern bestätigt.

100 Jahre Chaos

Die nächste militärische Katastrophe der Stadt ereignete sich Mitte August 1812 mit einer der Hauptschlachten gegen die französische Armee unter Napoleon. Wie auch Lew Tolstoi in „Krieg und Frieden“ eindringlich beschreibt, erlaubte die Schlacht bei Smolensk der russischen Armee, sich in geordneter Weise zurückzuziehen – aber mit katastrophalen Verlusten und einer verbrannten Stadt als Folge. Nur Kirchen und die meisten Festungsmauern blieben relativ intakt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Smolensk dann auch ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und erlebte das Chaos des Ersten Weltkriegs und des Russischen Bürgerkrieges ganz intensiv mit. Während der 1930er Jahre blieben die Überreste des Smolensker Kremls  weitgehend erhalten, während mittelalterliche Befestigungsanlagen in anderen Städten als Baumaterial abgebaut wurden.

Das größte Unheil aber ereilte die Stadt wie viele andere mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht  in die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die Schlacht von Smolensk im Spätsommer 1941 führte zu einem der schlimmsten Verluste auf sowjetischer Seite, aber die verzweifelten Kämpfe in diesem Gebiet konnten der Roten Armee eine benötigte Zeit verschaffen, um Verteidigungsanlagen vor Moskau aufzubauen.

Smolensk wurde Ende September 1943 von der Roten Armee befreit, aber die Stadt hatte enorme materielle und menschliche Verluste erlitten. Zum Glück blieb der Großteil der Festungsmauern erhalten. In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde ein Großteil der historischen Stadt umfassend wiederaufgebaut und renoviert. Völlig zerstörte Abschnitte im Norden, Osten und Süden wurden rekonstruiert, die meisten Türme haben jetzt steile Holzkappen.

Besonders beeindruckend ist die Nordwand entlang des Dnjepr mit der großen Mariä-Entschlafens-Kathedrale, die sich auf einem Hügel erhebt. Die Mauern sind jetzt von Parks, Wiesen und Hainen umgeben, die eine attraktive Naturzone rund um die Smolensker Innenstadt bilden.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der russische Chemiker und Fotograf Sergej Prokudin-Gorski ein aufwändiges Verfahren für die Farbfotografie. Seine Vision der Fotografie als eine Form von Bildung und Aufklärung zeigt sich besonders in seinen Fotografien der mittelalterlichen Architektur historischer Siedlungen wie Susdal und Wladimir. Zwischen 1903 und 1916 reiste er durch das Russische Imperium und schoss mit seiner neuen Technik über 2000 Fotografien, die drei Aufnahmen auf einer Glasplatte beinhalten. Im August 1918 verließ er Russland mit seiner Kollektion von Glasnegativen und ging nach Frankreich. Nach seinem Tod im Jahr 1944 in Paris verkauften seine Erben diese Kollektion an die Kongressbibliothek. Im frühen 21. Jahrhundert digitalisierte die Bibliothek die Prokudin-Gorski-Kollektion und machte sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Zahlreiche russische Webseiten führen nun Teile dieser Kollektion auf.

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